Es folgte eine lange Pause.
Dann sagte jemand: »Nun mach schon!«
Und kurz darauf ein anderer: »Hey, guckt mal!«
Beifallsrufe erklangen, eine Rauchsäule stieg empor und alle stoben davon. Ich sah, wie Iggy sich die Brille wieder aufsetzte, und da wusste ich, was passiert war. Der Inhalt des Drahtmülleimers brannte lichterloh. Keine Ahnung, warum die Flammen gleich so in die Höhe schossen, aber durch die Hitze war wohl alles trocken wie Zunder.
Schon bald züngelten die Flammen so hoch, dass das Anschlagbrett aus Holz, von dem bereits die Farbe abblätterte, Feuer fing.
Nix wie weg hier , dachte ich und hatte mich schon erfolgreich unter die anderen Schüler auf dem Schulhof gemischt, als Mr Springham mit einem Feuerlöscher in der Hand im Mordstempo zum Mülleimer rannte.
»WER WAR DAS? WER AUCH IMMER DAS GETAN HAT, WIRD DAFÜR BÜSSEN!«
Nadia hat dann ihre Rachegelüste gestillt, indem sie überall rumerzählt hat, wie Iggy mit seinem Todesstrahl den Mülleimer in Brand gesteckt hat. Bald kam es dann auch den Lehrern zu Ohren. Daraufhin wurde Iggy mal wieder vom Unterricht suspendiert und die anderen, die zugesehen und ihn angefeuert hatten, mussten nachsitzen und bekamen Briefe nach Hause. Natürlich waren alle stinksauer, wodurch Iggy nicht unbedingt an Beliebtheit gewann.
Und Iggy selbst? Den habe ich danach kaum noch gesehen, obwohl wir im selben Dorf wohnen. Beste Freunde waren wir ja noch nie und nach der Sache haben Mam und Dad den Kontakt zu ihm verständlicherweise auch nicht gefördert.
Kurz vor Weihnachten trafen Tammy und ich ihn dann unten am See. Da hatte er ein Huhn dabei. Ein lebendiges!
Tammy hatte beschlossen, dass es das Steinweitwurf-Finale dieses Jahres werden würde. (Fünf Runden, der Verlierer muss dem Gewinner einen Muffin am Schulkiosk kaufen.) Nun stand es 2:2 und alles hing von meinem letzten Wurf ab. Ich holte weit aus, diesmal wollte ich sie unbedingt schlagen, doch mitten im Wurf rief jemand: »Suzy!« Das brachte mich total raus. Noch ehe der Stein im Wasser landete, wusste ich, dass ich verloren hatte. Wütend fuhr ich herum, um zu sehen, wer gerufen hatte. Tammy bog sich schon vor Lachen.
»Wer war …«, setzte ich an. Da tauchte Iggy am Ufer auf, im Arm ein rotbraunes Huhn. Er setzte es ab und entfernte sich ein paar Schritte, während das Huhn geduldig wie ein Hund wartete. Dann rief Iggy: »Suzy, komm!« Und daraufhin trippelte es doch tatsächlich zu ihm!
Tammy machte: »Ohhhhh!«, als wäre es ein süßes Kätzchen. Iggy bemerkte uns und kam rüber. Ich war noch immer sauer, dass ich seinetwegen das Spiel verloren hatte, und schnalzte leise mit der Zunge.
»Hühner sind schlauer, als man denkt«, sagte Iggy. »Wusstet ihr das schon? Suzy, sitz!«
Das Huhn blieb stehen und ließ sich nieder. Tammy schnappte erstaunt nach Luft und klatschte einmal in die Hände.
»Wo hast du das denn her?«, fragte ich argwöhnisch.
» Die , es ist eine Sie«, verbesserte mich Iggy. »Mein Vater meint, ich sollte mich um was kümmern. Damit ich lerne, ›Verantwortung zu übernehmen‹. Während seiner Entziehungskur hat er sich um Hühner gekümmert.« Dabei malte Iggy Anführungsstriche in die Luft. Für seinen Vater schämte er sich nicht die Bohne. »Als ob! Jedenfalls habe ich sie vor Tommy Natrass gerettet, der sie nicht wollte, weil sie nur winzig kleine Eier legt. Stimmt’s, Suzy?«
Als ihr Name fiel, schaute Suzy auf, als wäre sie ein Hund. Tammy und ich lachten beide. Tammy drückte meinen Arm und quiekte: »Wie niiiedlich!« Und auf dem Nachhauseweg summte sie ihr Lieblingslied Chicken Hop , diesen Oldie von einer Sängerin namens Felina, die schon lange tot ist. Nachmittags hatte Mam Hühnerpastete zum Tee gemacht. Tammy meinte, sie sei nicht hungrig.
So, das wär’s zu Iggy und Suzy. Bei unserer nächsten Begegnung habe ich ja dann Iggys Mutter fast die Finger mit dem Klavierdeckel gebrochen.
Es waren zwei Stunden vergangen, seitdem ich mit der Nachricht von Tammys Verschwinden hereingeplatzt war, und inzwischen wimmelte es im Pub von Leuten, die aufgeregt miteinander redeten oder telefonierten. Nach und nach trudelten auch die Suchtrupps ein, die alle Straßen nach Norden oder Süden und überall sonst in der Umgebung abgefahren waren, stets mit einem traurigen Kopfschütteln. Mam drückte mich fest an sich und dann musste ich ihr die ganze Geschichte noch mal von vorn erzählen.
Kurz darauf hielt ein Streifenwagen vorm Pub und zwei Beamte stiegen aus. Ich hatte schon gehört, dass die kleine Polizeiwache in Bellingham, dreißig Kilometer entfernt, über Weihnachten geschlossen war.
Dad nahm die Polizisten in Empfang.
»Ja, Sir, wir sind aus Hexam gekommen.«
»Sind Sie nur zu zweit?«, fragte Dad. Er trug noch immer die Spielzeugsoldatenuniform, aber keiner sagte was.
»Es ist Heiligabend, Sir. Da sind wir dünn besetzt. Aber wir haben die Autobahnpolizei um Hilfe gebeten, die werden gleich hier sein. Als Erstes müssen wir klären, womit wir es überhaupt zu tun haben.«
Und so begannen die Befragungen, die sich mit Unterbrechungen über die nächsten Tage hinziehen sollten. Leute kamen und gingen. Dad versuchte, alles im Griff zu haben. Ständig klingelte das Telefon: »Gibt es schon was Neues?« Und überall summten und bimmelten Handys.
Iggy und seine Mutter hatten uns viel Glück gewünscht und waren gegangen, nachdem Cora noch eine Weile mit geschlossenen Augen dagesessen und für gute Energie meditiert hatte. Nett eigentlich, wenn auch ein bisschen befremdlich.
Ich saß mit Gran in der Sofaecke, im Kamin brannte ein Feuer und Gran trank zitternd ihren Tee. Während ich den Polizisten, einer Frau, die offenbar das Sagen hatte, und ihrem jüngeren Kollegen, alles erzählte, machten sie sich Notizen.
Dann kam ich zu der Stelle mit dem Surren am See …
»Stopp mal, Ethan«, sagte die Polizistin, die ich ganz nett fand. »Was wolltest du denn überhaupt am Wasser?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich bin einfach dem Weg gefolgt. Ich habe mich … gewundert. War besorgt, hatte Angst um Tammy. Und dann war da dieses Geräusch.«
Ich versuchte, das Geräusch nachzuahmen, aber es gelang mir nicht so recht. Die beiden Beamten sahen sich stirnrunzelnd an und machten sich Notizen.
»Schnellboot?«, fragte der Polizist seine Kollegin.
Sie überlegte eine Weile, bis ich sagte: »Ein Schnellboot war es auf keinen Fall.«
»Dann vielleicht eine Drohne?«
Eine Drohne könne es schon gewesen sein, meinte ich daraufhin. Aber wer würde schon im Dunkeln eine Drohne fliegen lassen?
»Gut, vielen Dank, Ethan«, sagte die Polizistin und stand auf. Sie wandte sich an ihren Kollegen: »Kareem, wir nehmen das Auto und sperren den Weg und das Ufer ab. Das ist ein möglicher Tatort.« Sie sprach in ihr Funkgerät. »Mike zwo Lima Bravo hier, gibt es ein Lebenszeichen von der Autobahnstreife, die wir für die vermisste Person in Kielder angefordert haben?«
»Sind in zehn Minuten bei Ihnen, Sergeant«, kam die prompte Antwort.
Dad fuhr mit einem Mann los, um den Irrgarten abzusuchen. Im Winter ist er eigentlich geschlossen, aber wenn man wollte, konnte man da problemlos reingelangen. Nur warum sollte Tammy das wollen?
Mam, die neben mir auf dem verschlissenen Sofa saß, drückte meine Hand so fest, dass es wehtat, aber ich gab keinen Mucks von mir.
Die Polizistin sagte: »Mrs Tait, ich würde mit Ethan gern noch mal zu der Stelle fahren, wo er das Fahrrad Ihrer Tochter gefunden hat. Haben Sie jemanden, der Ihnen so lange Gesellschaft leisten kann?«
»Ich bleib bei ihr«, sagte Gran. »Noch ein wenig Tee, Mel?«, fragte sie. »Oder hättest du lieber was Stärkeres?«
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