– Der Portier Pierre Courtin ist früher Soldat gewesen.
– Der ist es nicht!
– Der Kutscher Francois Pingau aus der Champagne, ist der Sohn eines Bauern vom Gut meines Vaters.
– Ist es nicht!
– Der Stallbursche, auch aus der Champagne und gleichfalls der Sohn eines Bauern, den ich kenne. Dann der Diener, den Sie eben gesehen haben.
– Die sind es nicht!
– Sehen Sie, da werden Sie wohl einsehen, daß Sie sich irren.
– Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, ich irre mich bestimmt nicht. Da es sich um einen gefährlichen Verbrecher handelt, so bitte ich, haben Sie die Liebeswürdigkeit und lassen Sie in meiner Gegenwart vor mir das gesamte Personal erscheinen.
Ich wehrte mich zuerst, dann gab ich nach und ließ die Leute heraufkommen, männliche wie weibliche Dienstboten.
Der Polizei-Wachtmeister überlief sie mit einem Blick und sagte:
– Es sind nicht alle!
– O bitte sehr, jetzt ist nur noch meine Jungfer übrig, ein junges Mädchen, das Sie doch nicht mit einem Verbrecher verwechseln können.
Er fragte:
– Kann ich sie auch sehen?
– Gewiß.
Ich klingelte Rosa, die sofort erschien; aber sobald sie eingetreten war, gab der Wachtmeister zwei Leuten, die ich nicht gesehen, die hinter der Portiere standen, ein Zeichen, sie warfen sich auf das Mädchen, packten ihre Hände und fesselten sie.
Ich stieß einen Wutschrei aus und wollte mich auf die Leute stürzen, meine Jungfer zu verteidigen. Aber der Wachtmeister rief:
– Das Mädchen, gnädige Frau, ist ein Mann und heißt Johann Nikolaus Lecapet, 1879 wegen Lustmordes zum Tode verurteilt; die Strafe wurde in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt, er ist vor vier Monaten ausgebrochen, und seitdem suchen wir ihn.
Ich fiel beinahe um; ich konnte es nicht glauben, aber der Wachtmeister sagte lächelnd:
– Ich kann Ihnen den Beweis liefern, er ist am rechten Arm tätowiert.
Der Ärmel wurde aufgeschlagen, es war so.
Der Vertreter der Polizei machte noch den zweifelhaften Scherz:
– Was das übrige anbetrifft, können Sie sich auch auf uns verlassen!
Und meine Jungfer wurde abgeführt.
Nun, Du kannst mir schon glauben, daß in mir nicht am meisten die Wut kochte, daß ich so betrogen und lächerlich gemacht war, nicht die Scham, ausgekleidet und angezogen, massiert und berührt worden zu sein von diesem Mann, sondern eine tiefe Demütigung. Ich fühlte mich gedemütigt als Frau, verstehst Du?
– Nein, nicht ganz!
– Nun, so denke nach. Der Kerl war wegen Lustmordes verurteilt worden. Nun ich dachte an die, die er vergewaltigt hatte, und das, weißt Du, das demütigte mich etwas. Na, verstehst Du nun?
Margot antwortete nicht, sie blickte vor sich hin mit starrem seltsamem Blick auf die beiden leuchtenden Knöpfe der Livrée und mit jenem Sphinxlächeln, das die Frauen manchmal an sich haben.
Inhaltsverzeichnis
Es war die Theestunde, ehe die Lampen gebracht wurden. Die Villa hatte den freien Ausblick auf das Meer; die Sonne war untergegangen, und der Himmel strahlte in ihrem letzten Widerschein rosig, wie von goldenem Duft überhaucht.
Das Meer lag da, ohne Welle, ohne eine Bewegung, glatt, glänzend im Abendrot wie eine gewaltige, polierte Metallplatte.
In der Ferne rechts zeichneten die Berge auf dem blassen Purpur des Abendhimmels zackig ihr schwarz, gerändertes Profil ab.
Man sprach von der Liebe. Man behandelte dieses alte Thema, man sagte Dinge, die tausend Mal schon gesagt worden sind. Die sanfte Melancholie der Dämmerung ließ die Worte langsamer klingen, über die Seelen kam etwas wie ein Weichwerden, und dieses Wort Liebe, das immer wieder tönte, ab und zu von der kräftigen Stimme eines Mannes, dann wieder in leichtem Ton aus Frauenmund, schien den ganzen kleinen Salon zu erfüllen, herum zu stattern wie ein Vogel, umher zu irren wie ein Geist.
Kann man Jahre lang lieben?
Ja, behaupteten die einen, nein, versetzten die andern. Man erzählte Fälle, Besonderheiten, führte Beispiele an, und alle Damen wie Herren, erfüllt von heraufsteigenden, verwirrenden Erinnerungen, die sie aber nicht laut werden lassen konnten, schienen bewegt und sprachen von dieser banalen und doch alle beherrschenden Sache, vom zarten, rätselhaften Zusammenklingen zweier Wesen, mit tiefer Erregung und glühendem Interesse.
Aber plötzlich rief jemand, der in die Ferne hinaussah:
- O sehen Sie einmal da drüben, was ist denn das?
Ganz draußen am Horizont tauchte auf dem Meer eine ruhige, unbestimmte graue Masse auf.
Die Frauen waren aufgestanden und blickten hin, ohne dies Wunder zu verstehen, das sie noch nie gesehen hatten. Jemand sagte:
- Das ist Corsica. So erblickt man es zwei oder dreimal im Jahr unter ganz bestimmten, außergewöhnlichen Zuständen der Atmosphäre, wenn die Luft von vollkommener Reinheit ist und keinen Wasserdunst mehr enthält, der uns die Ferne verhüllt.
Man unterschied die Gipfel, es war, als sähe man den Schnee darauf. Alle waren erstaunt, fast erschrocken durch diese plötzliche Erscheinung einer Welt, durch dieses aus dem Meer gestiegene Phantom.
Vielleicht hatten die, die einst wie Columbus hinausgefahren in den unerforschten Ocean, solches Phantom gesehen.
Da sagte ein alter Herr, der bisher noch nicht gesprochen:
– Hören Sie einmal, auf dieser Insel, die da aufsteigt, als wolle sie selbst uns auf das, was wir sprachen, die Antwort geben und mich an ein sonderbares Vorkommnis erinnern, auf dieser Insel habe ich ein wunderbares Beispiel dauernder Liebe gefunden, wirklich seltenen Glücks. Hören Sie zu:
Vor fünf Jahren machte ich eine Reise durch Corsica. Diese Insel ist ein unbekanntes Stück Erde eigentlich uns weiter als Amerika, obgleich man sie manchmal, wie heute, von Frankreichs Küste aus sieht.
Stellen Sie sich eine noch im Chaos-Zustand befindliche Welt vor, ein wahres Ungewitter von Bergen, das enge Thäler durchschneiden, in denen Waldströme brausen; keine Flächen, nur riesenhafte Erdwälle mit dichtem Gestrüpp bewachsen oder mit hohen, gewaltigen Wäldern von Tannen und Kastanien.
Es ist ein jungfräulicher, unkultivierter, steriler Boden, obgleich man ab und zu ein Dorf sieht, wie ein Häufchen Felsblöcke auf einer Bergspitze. Kein Ackerbau, keine Industrie, keine Kunst. Nirgends sieht man ein Stück geschnitztes Holz, oder einen behauenen Stein, eine Erinnerung an den kindlichen oder verfeinerten Geschmack unserer Voreltern für schöne und liebreizende Dinge. Und was in diesem herrlichen, wilden Land ebenso auffällt: eine ererbte Gleichgiltigkeit gegen das Streben nach jenen gewinnenden Formen, die man Kunst heißt.
Italien, wo jeder Palast, voller Meisterwerke, selbst ein Meisterwerk ist, wo Marmor, Holz, Bronce, Eisen, jedes Metall und jeder Stein vom Genius der Menschheit redet, wo die kleinsten Gegenstände, die es in alten Häusern giebt, eine liebliche Form haben, ist für uns alle das heilige Vaterland, das man liebt, weil es uns zeigt und beweist: die Betätigung, die Größe, die Macht und den Triumph der schöpferischen Intelligenz.
Und Corsica ihm gegenüber ist ganz genau so wild geblieben, wie da es eben erschaffen. Und seine Bewohner, in ihren unschönen Behausungen, gleichgiltig für alles, was nicht ihre Existenz bedroht, oder Familienzwiste betrifft. Und mit ihren Fehlern, ihren Eigenschaften unzivilisierter Rassen, mit ihrem Haß, ihrer Heftigkeit, ihrer zügellosen Leidenschaft, sind ihnen geblieben die Gastfreundschaft, Großmut, Naivität, mit der sie dem Vorübergehenden die Thür öffnen und treue Freundschaft bieten für das geringste Zeichen von Sympathie.
Also ich irrte seit einem Monat durch diese wundervolle Insel, mit dem Gefühl, daß ich am Ende der Welt wäre. Keine Wirtshäuser, keine Kneipen, keine Straßen. Auf schmalen Saumpfaden erreicht man diese Dörfer, die an den Bergklippen hängen, über den Abgründen thronen, aus denen man Abends fortwährend den dumpfen Ton des Wildbached aus der Tiefe brausen hört.
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