Das Baby begann zu schreien, und sie eilte ins Haus.
Als er die Garagentür geöffnet hatte und sich noch einmal nach ihr umsah, war sie im Inneren verschwunden.
Länger als ein Jahr war Arnold jetzt nicht mehr im »Goldenen Löwen« gewesen, doch während er sicher war, sich in der Zwischenzeit gewandelt zu haben, hatte sich hier nichts geändert. Die schwere Wirtshaustür wurde immer noch durch den abgewetzten Lederbalg am Zuschlagen gehindert, der rote Fliesenboden im Hausflur war immer noch so wellig, daß sich die Feuchtigkeit des Putzwassers an den tiefen Stellen sammelte, und die Schwelle zum Schankraum war genauso ausgetreten wie früher. Es roch nach Schweinebraten, Rauch und schalen Bierresten.
Das sogenannte Hinterzimmer, ein kleiner Raum neben der Küche, war Arnold ebenfalls wohlvertraut, denn hier hatten die Herren vom Stammtisch gefeiert, wenn sie aus gegebenem Anlaß einmal ganz unter sich sein wollten. Es gab hier einen langgestreckten Tisch aus dunklem Holz, an der Wand eine lange und eine kurze Bank übers Eck gestellt, davor ein paar alte Stühle.
An diesem Sonntagmorgen wirkte das Zimmer geradezu trostlos. Da die Fenster nach Norden hinausgingen, drang kein Schimmer des frühsommerlichen Glanzes herein. Arnold schauderte es in seinem leichten Hemd.
Am Kopfende des Tisches saß ein kleiner, rundlicher, sehr adrett angezogener Herr, der erwartungsvoll aufblickte, als Arnold hereinkam. Er schüttelte die gestärkte Manschette hinunter, um auf das eckige Zifferblatt seiner goldenen Armbanduhr zu sehen, sprang dann mit der Elastizität eines Gummiballs auf und kam Arnold entgegen.
»Engelbrecht mein Name«, erklärte er mit einer zweifachen Verbeugung, bei der sich Arnold Einblick auf eine schüttere Stelle mitten auf dem Hinterhaupt bot.
»Miller … Arnold Miller …« Er überlegte, ob er die Hand reichen sollte oder nicht, und unterließ es dann; aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß sich außer ihm und Herrn Engelbrecht noch drei junge Burschen im Raum befanden, die sich unsicher am anderen Ende des Tisches lümmelten.
»Herr Miller, Sie sind von der Konkurrenz!« knallte ihm Herr Engelbrecht entgegen.
»Aber nein … wieso denn?« Arnold war verwirrt. »Ich weiß ja nicht mal, um was es bei Ihrem Unternehmen geht!«
»Ja, eben das wollen Sie erfahren!«
»Ich suche Arbeit, das ist alles. Eine möglichst lukrative Beschäftigung.«
»Hm. Ja. So. Naja.« Wieder schüttelte Herr Engelbrecht seine Manschette zurück, um festzustellen, wie spät es war. »Wir haben noch ein paar Minuten … ich werde Ihnen erklären …« Er begab sich zum Kopfende des Tisches zurück.
Arnold folgte ihm. »Nur keine Angst. Ich habe nicht vor, in Ihre Geheimnisse zu dringen«, erklärte er mit einem Anflug von Ironie.
Herr Engelbrecht nahm ihn ernst. »Wenn Sie wirklich Arbeit suchen, sind die für Sie auch ganz uninteressant. Es handelt sich um die Einführung eines neuen Artikels … die Erschließung eines neuen Kundenkreises …«
»Das klingt doch verlockend.«
»Ja, es liegen große Chancen drin …« Herr Engelbrecht hob die Stimme, »große Chancen für junge Leute! Aber … um Ihnen jede Enttäuschung zu ersparen, Herr Miller … klipp und klar von vornherein: Sie sind nicht der richtige Mann für diesen Job!«
Arnold war entschlossen, sich nicht abwimmeln zu lassen. »Wie können Sie das denn beurteilen, Sie wissen ja noch nichts von mir!«
Herr Engelbrecht lächelte mit schmalen Lippen. »Genug … ich weiß genug. Sie sind nicht mehr jung. Über Vierzig. In einem Alter also … bitte, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten … in dem es zumindest ungünstig ist, ganz von vorne anzufangen. Sie haben noch nie als Reisender gearbeitet, denn sonst müßten Sie heute längst Kolonnenführer, wenn nicht Generalvertreter sein.«
»Gut und schön. Ich will das alles nicht leugnen. Aber das besagt doch nicht, daß ich nicht imstande wäre, mich einzuarbeiten. Oder wollen Sie etwa behaupten, ich kann weniger als die da?« Er machte eine Kopfbewegung in Richtung der jungen Burschen.
»Einarbeiten! Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund! Sie müßten sich einarbeiten … und sehen Sie, das eben käme meiner Firma zu teuer. Wir sind ein seriöses Unternehmen, zahlen von Anfang an ein volles Gehalt … und bei einem Mann Ihres Alters kommen uns die Abgaben einfach zu hoch! Erzählen Sie mir jetzt nicht, Sie wollen sich mit einem Minimum begnügen! Wir nutzen niemanden aus, leisten die vollen Sozialabgaben … nein, es geht nicht!«
»Und wenn ich mein Glück erst mal auf Provisionsbasis versuchen würde?« schlug Arnold vor.
»Kämen Sie nicht zurecht«, erwiderte Herr Engelbrecht prompt, »wie gesagt, es handelt sich um einen Artikel, der erst eingeführt werden muß. Ich bedaure es außerordentlich, lieber Herr Miller, aber jetzt muß ich Sie bitten, mich nicht länger aufzuhalten. Leben Sie wohl!«
Er ließ Arnold stehen, umging ihn geschickt und eilte einem schlaksigen Jungen entgegen, der gerade hereingekommen war. »Engelbrecht mein Name! Bitte, kommen Sie gleich mit hoch, Sie auch, meine Herren, rücken wir näher zusammen, dann verstehen wir uns besser!«
Arnold sah sich ausgeschaltet. Ihm blieb jetzt nur noch die Wahl, aggressiv zu werden – aber was hätte ihm das genutzt? – oder das Zimmer zu verlassen.
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