Beklommen, wie ich natürlich über das Eintreten dieser zweiten und höchst ungewöhnlichen Gleichzeitigkeit war, und Beute vielfacher widersprüchlicher Gefühle, bei denen Verwunderung und Grauen vorherrschten, bewahrte ich trotzdem so viel Geistesgegenwart, nicht durch irgendeine Bemerkung die nervöse Sensibilität meines Gefährten zu erregen. Ich war keineswegs sicher, ob er die Geräusche wahrgenommen hatte; allerdings war während der verflossenen Minuten in seiner Haltung eine auffallende Änderung vor sich gegangen. War er mir bisher gegenübergesessen, so hatte er allmählich den Sessel so gedreht, dass sein Gesicht der Zimmertür zugekehrt war. Dadurch konnte ich es nur teilweise sehen, bemerkte aber doch, dass seine Lippen sich bewegten, als murmle er unhörbar irgendetwas. Sein Kopf war auf die Brust gesunken – aber ich wusste, dass er nicht in Schlaf gefallen war, weil ich von der Seite einen Blick auf sein Profil tun konnte: das Auge war weit aufgerissen. Auch die Bewegung seines Körpers passte nicht dazu – denn er wiegte ihn langsam, aber stetig und gleichmäßig hin und her. Nachdem ich mir in aller Eile dieses Bild gemacht hatte, nahm ich den Erzählfaden Sir Launcelots wieder auf, der weiter berichtet:
»Und da der Recke der schrecklichen Wut des Drachen entkommen war, besann er sich auf den ehernen Schild und des diesem innewohnenden, nunmehr gebrochenen Zaubers, räumte den Kadaver beiseite und näherte sich über den silbernen Boden hinweg tapfer der Stelle, wo der Schild an der Wand hing, der wahrhaftig nicht erst auf Ethelreds Kommen wartete, sondern mit lautem und schauerlich dröhnendem Getöse vor ihm auf den silbernen Boden fiel.«
Kaum hatte ich die letzten Silben ausgesprochen, drang mir ein deutlicher, hohler, metallisch klingender, aber offenbar gedämpfter Widerhall in die Ohren – als sei in eben diesem Augenblick ein eherner Schild schwer auf einen Silberboden geprallt. Gänzlich außer mir sprang ich auf, aber das regelmäßige Hin- und Herschwanken von Ushers Oberkörper dauerte an. Ich stürzte zu dem Sessel, in dem er saß. Seine Augen blickten gerade vor sich hin, sein Gesicht war zu steinerner Starre gefroren. Als ich ihm die Hand auf die Schulter legte, erschauerte er am ganzen Körper, ein gequältes Lächeln spielte um seine Lippen. Ich sah, dass er in rasender Eile leise und undeutlich vor sich hin sprach, als sei er sich meiner Gegenwart nicht bewusst. Ich beugte mich nah zu ihm hin und verstand entsetzt die grässliche Bedeutung seines Gemurmels.
»Ich es nicht hören? – O ja, ich höre es, ich habe es gehört. Lange – lange – lange – viele Minuten, viele Stunden, viele Tage habe ich es gehört und wagte doch nicht – bedauere mich, den elenden Wicht, der ich bin! – Ich wagte es nicht – ich wagte nicht zu sprechen. Wir haben sie lebendig in den Sarg gelegt! Sagte ich nicht, dass meine Sinne scharf sind? Jetzt sage ich dir, dass ich ihre ersten schwachen Bewegungen in dem hohlen Sarg gehört habe. Ja, gehört – vor vielen, vielen Tagen schon – und doch wagte ich es nicht – wagte nicht zu sprechen! Und jetzt – heute Nacht – Ethelred – haha! – das Krachen der Tür des Einsiedlers, und das Todesröcheln des Drachen, und der Klang des Schilds! – sag lieber das Knirschen des Sargdeckels, und das Kreischen der Eisenangeln ihres Gefängnisses, und ihr Kampf mit dem kupfernen Bogengang des Gewölbes! Wohin soll ich fliehen? Wird sie nicht jeden Augenblick hier sein? Kommt sie nicht, um mir Übereilung vorzuwerfen? Höre ich nicht ihren Schritt auf der Treppe? Kann ich nicht das schwere, furchtbare Schlagen ihres Herzens hören? WAHNSINNIGER!« Er sprang heftig auf und schrillte seine Worte heraus, als wolle er in diesem Ausbruch die Seele aufgeben. »WAHNSINNIGER! ICH SAGE DIR, SIE STEHT JETZT VOR DER TÜR!«
Als hätte die übermenschliche Kraft der geschrienen Worte die Macht eines Zaubers – so öffnete die Tür mit den hohen altertümlichen Füllungen, auf die Usher deutete, in diesem Augenblick langsam die schweren, ebenholzdunklen Kiefer. Es war vielleicht das Werk eines gewaltigen Windstoßes – aber da stand die schlanke, in Weiß gehüllte Gestalt Lady Madeline Ushers unter der Tür. Blutflecken waren auf dem Leichentuch und Spuren verzweifelter Anstrengungen auf dem abgezehrten Körper. Einen Augenblick verharrte sie zitternd und schwankend auf der Schwelle, dann stürzte sie mit einem leisen, schmerzlichen Stöhnen nach innen auf ihren Bruder, der während ihres schweren, endgültigen Todeskampfs leblos mir ihr zu Boden sank, Opfer des Entsetzlichen, das er vorausgefühlt hatte.
Gehetzt floh ich aus dem Zimmer und diesem Haus. Der Sturm tobte noch in voller Wut, als ich mich auf dem alten Weg wiederfand. Mit einmal flutete ein Schimmer darüber hin. Ich drehte mich um, um zu sehen, wovon der ungewöhnliche Schein ausgehen mochte, denn hinter mir waren nur das mächtige Haus und seine Schatten. Das Leuchten kam von einem Teil des untergehenden blutroten Vollmonds, der hell durch den einst kaum wahrnehmbaren, bereits erwähnten Riss schien, der vom Dach des Hauses im Zickzack zum Fundament gelaufen war. Während ich darauf starrte, erweiterte er sich rasch. Wieder ein heftiger Windstoß, und das ganze Rund des Satelliten stand vor meinen Augen. Mir schwindelte der Kopf, als ich sah, dass die mächtigen Mauern auseinanderbarsten. Ein langes, lautes Getöse wie das Brausen von tausend Wasserfällen, und der tiefe dunkle Teich schloss sich düster über den Trümmern des HAUSES USHER.
1839 Übersetzung von Otto Weith
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