Papa scheint wenig beeindruckt zu sein.
„Und, was hat er gesagt?“
„Hau ab, du Klotz!“
Was Papa überhaupt nicht lustig zu finden scheint: „Was für ein Riesenarschloch ist das denn bitte? Na warte, der kann was erleben!“
Und schon ist Papa unterwegs, Richtung Spielfeldrand.
Das Spiel hat längst begonnen und als Manfred Kaltz einige Minuten später an Papa vorbeitrabt, da kann ich Papa laut rufen hören: „Kaltz, du Opa, was bist du bloß für ein Arsch! Kannst das ja mal mit mir aufnehmen, falls du dich traust!“
Papa lässt auch noch einiges mehr vom Stapel. 45 Minuten lang macht mein Papa ein Riesenspektakel an der Außenlinie und ich denke: Was Papa an Beleidigungen draufhat, einfach stark, bleibe aber doch lieber weiter hinten stehen, was wohl besser so ist, nicht, dass Kaltz mich neben meinem Papa stehen sieht und dann noch saurer auf mich wird, und wenn ich dann noch daran denke, was meine Mama zu den ganzen Ausdrücken hier sagen würde, wenn sie das mitbekommen würde, dann aber Prost Mahlzeit!
Als ich abends im Bett liege und die HSV-Torschützen vom 8:1-Sieg aufschreibe und notiere, dass Kaltz gleich die ersten beiden Tore gemacht hat, da denke ich: Kaltz hat das bestimmt nicht so gemeint. Und so liege ich in meinem Bett und denke noch ein bisschen an HSV, als Papa zum Gutenachtsagen nach oben kommt und wir noch ein bisschen über das Spiel sprechen. Ich frage Papa, ob er glaubt, dass HSV mit der jungen Truppe, die wir heute gesehen haben, mal wieder ganz oben in der Tabelle landen kann und ob er den Schnauzbart von Heinz Gründel auch so super findet wie ich und ob er denkt, dass Kaltz jetzt sauer auf mich und auf ihn ist, weil wir ihm ja schließlich erst den Weg versperrt und ihn dann auch noch wie nichts Gutes angepöbelt haben, und wie ich so frage und frage, da kommt Papa ein bisschen weiter runter zu mir und sagt: „Junge, merk dir eins…“
Und ich denk noch, wie lieb ich Papa trotz all seinem Fußballgemecker habe, und dann hat er jetzt auch noch einen guten Ratschlag für mich! Papa ist vielleicht 1a! Er beugt sich zu mir runter und sagt: „Junge, merk dir eins: Kaltz ist und bleibt ein Riesenarschloch!“
28. März 1987
HSV – Bayern München 1:2
Endlich ist HSV mal wieder Zweiter und vielleicht werden sie Meister, vielleicht aber auch nicht, denn Bayern ist mal wieder Erster und nun spielt also der Zweite gegen den Ersten und Papa und ich fahren schon wieder mit der Bahn zum Bundesligaspitzenspiel. So langsam traut selbst meine Mama der ganzen Sache mit dem Stadion offenbar über den Weg und sagt zwar kurz: „Passt auf euch auf!“, aber das war’s dann auch schon, und sie macht dabei längst nicht so ein besorgtes Gesicht wie noch beim letzten HSV-Spiel, zu dem Papa und ich gefahren sind. Wie man also sieht, ich werde langsam erwachsen und kann bestimmt schon bald alleine nach Hamburg hin. Ich bin jetzt fünfzehn Jahre alt, da muss man sich um mich nun wirklich keine Sorgen mehr machen!
Und alles ist super und wie immer: Ich steh während der Bahnfahrt die ganze Fahrt im Flur rum, denn „gleich kommen die Flutlichtmasten“ und keine Schwester nervt rum, dass die auf der anderen Seite zu sehen wären.
Kaum in Hamburg-Altona angekommen, gehen wir dann zu McDonald’s und steigen anschließend in die proppevolle S-Bahn, in der es nochmal deutlich ruppiger zugeht als bei meinen bisherigen HSV-Heimspielbesuchen. Das Spiel heute ist scheinbar noch ausverkaufter als sonst gegen Bayern. Kein Wunder. Es geht ja auch um die Deutsche Meisterschaft.
In Stellingen steigen wir aus und sind froh, endlich wieder ein bisschen Luft zu bekommen, allerdings nur kurz, denn auch hier ist alles ein einziges Gedrängel und Gezerre und Gerülpse und Gebrülle und Geschubse, aber ich finde das alles trotzdem so super, dass ich gar nichts anderes mehr machen möchte, als nach Hamburg zu fahren und in Stellingen mit drängelnden und zerrenden und rülpsenden und brüllenden und schubsenden Leuten rumzulaufen und mich gemeinsam mit denen auf HSV zu freuen, am liebsten jeden Tag!
Während ich das denke, gehen wir in den langen Tunnel rein, der von der S-Bahn-Station – unter den Schienen und der Autobahn entlang – zum Stadion führt. Papa ermahnt mich immer wieder, dass ich nicht zu weit weggehen und in seiner Nähe bleiben soll. „Ich bin so was von mit den Nerven zu Fuß, bleib schön dicht bei mir!!“
Ich denke noch, dass ich kein Baby bin, und wir also rein in den Tunnel und wir sind grad so richtig mittendrin, da rennen von vorne die Leute plötzlich gegen den Strom und voll in unsere Richtung, zurück zur S-Bahn, was wirklich ziemlich gefährlich aussieht. Papa hat zum Glück sofort den totalen Durchblick: „Komm, wir stellen uns an die Seite!“, ruft er mir zu und zieht mich mit sich.
Wir stehen also an der Seite und wollen die rennende Masse an uns vorbeirennen lassen, weil, wie heißt es doch so richtig, „keine Panik auf der Titanic“, doch gerade als wir denken, wir wären so was von clever und alles sei in schöner Ordnung, reibt sich Papa die Augen und schreit mir ins Ohr: „Da ist Tränengas im Spiel, die Schweine!“
Wir rennen also genauso wie alle anderen Richtung S-Bahn zurück und aus dem Tunnel raus. Kaum habe ich das Wort „Tränengas“ gehört, da tränen mir die Augen auch schon und tränen von da an den ganzen Tag und das ganze Spiel über, das später auch noch 1:2 für Bayern ausgehen wird. Wie passend eigentlich, dass einem schon vor und während des Spiels die Augen getränt haben, da muss man wenigstens nach dem Spiel nicht mehr groß weinen.
Zum ersten Mal in meinem Leben haben wir übrigens Karten für die berüchtigte Westkurve, wobei Papa wegen „dieser verdammten Fußballkrawalle“ mit den Nerven so dermaßen „zu Fuß“ sei, wie er sagt, dass ich mir meinen ersten Westkurven-Besuch ohne Papa wohl erst mal von der Backe schmieren kann. Er lässt mich während der ganzen 90 Minuten nicht aus den Augen und fummelt ständig an mir rum und hier „Achtung!“ und da „Vorsicht!“.
Ich kann mir richtig vorstellen, was die harten HSV-Rocker neben uns, die Bier mit ins Stadion reingeschmuggelt haben und die leeren Dosen später einfach immer in die Menschenmenge reinwerfen und sich dafür von meinem Papa gehörig was anhören dürfen, zu mir sagen, wenn ich in ein paar Jahren alleine ins Stadion gehe: „Ey, bist du nicht der Dödel mit dem Vater, der uns 1987 gegen Bayern krumm angemacht hat, als wir die leeren Dosenbiere in die Menschenmenge geworfen haben?!“
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