Papa soll sich mit seiner Frisur gerade melden! Ich finde ja sowieso, dass es am HSV überhaupt gar nichts auszusetzen gibt, schon gar nicht von Papa, der alten Meckerziege!
20. April 1985
HSV – Bayern München 2:1
HSV spielt gegen Bayern, und Papa und ich fahren mal wieder mit dem D-Zug von Husum nach Hamburg, allerdings nicht ohne uns von Mama, bevor wir losfahren und sie uns einige belegte Brote einpackt, noch sagen lassen zu müssen, dass wir schön aufpassen sollen, wenn wir in Hamburg sind.
Wenn man mit Papa Fußball guckt, wird es meistens ein bisschen anstrengend und schon auf der Hinfahrt ist Papa, während ich mit dem Lüftungsgitter in der Abteiltür herumspiele, nur am Quaken, was Mark McGhee doch für eine Pflaume sei, und ich denke, wenn hier heute einer aufpassen muss, dann ja wohl Papa, so ein loses Mundwerk, wie der hat. Der soll man im Stadion nicht an den Falschen geraten, mit seinem ewigen Gemecker. Okay, HSV hat letzte Woche bei Bayer Uerdingen verloren, aber was Papa hier so alles vom Stapel lässt, geht doch zu weit. McGhee ist eine Pflaume? Dann kann Papa ja nachher mal nach unten auf den Rasen gehen und mitspielen und dann kann er mal sehen, wo er bleibt! Selber Pflaume!
Und überhaupt soll der sich melden! Das Stadion ist heute nämlich dermaßen ratzeputzevoll, dass Papa nur noch Karten für die Ostkurve bekommen hat. Nicht zu fassen! HSV spielt gegen Bayern und wir stehen in der Ostkurve! Aber groß am Meckern! Während die Westkurve auf der anderen Seite heute besonders super aussieht, stehen wir also mit ein paar Bayern-Fans und Rentnern und Vätern mit ihren Kindern in der Ostkurve und ich gucke genervt rüber zu Papa und denke nur: „Mannmannmann!“
Das Spiel wird angepfiffen und mein Papa hört gar nicht mehr auf mit Meckern gegen McGhee. Ich überlege mir, dass ich nun langsam alt genug sein müsste, bald mal alleine ins Stadion zu gehen. Und ich male mir aus, wo ich später mein Dosenbier kaufen kann und wie ich über die Kinder lachen werde, die mit ihren Vätern in der Ostkurve stehen, da rauscht ein Schuss von Mark McGhee vom Strafraumeck aufs Bayern-Tor und drin ist er! 1:0! Papa und ich umarmen uns und Papa brüllt mir ins Ohr: „Das war ja echt ein Supertor von McGhee!“ Und ich gucke Papa das ganze Spiel über von der Seite an und bin richtig stolz und freue mich, dass er McGhee jetzt auch super findet. Genauso wie ich!
Als wir abends wieder zu Hause sind und gemütlich mit Mama und meiner Schwester auf dem Sofa hocken, da sagen sie im Aktuellen Sportstudio im ZDF, dass McGhee eigentlich flanken wollte und nicht schießen, und weil der Wind so doll war, ist der Ball „aus Versehen“ im Bayern-Tor gelandet, so dass das Tor nur „Windtor“ genannt wird. Klar, dass mein Vater nun auch noch seinen Senf dazugeben muss: „Kein Wunder. Ohne den Wind hätte McGhee in zehn kalten Wintern kein Tor geschossen. Die Pflaume.“ Und ich Blödmann dachte, Papa ist jetzt auch McGhee-Fan. Ich hätte das besser wissen müssen…
3. August 1986
Rot-Weiß Niebüll – HSV 1:8
Heute spielt HSV bei uns, fast um die Ecke, in Niebüll. Klar, dass Papa und ich da hinmüssen. Zumindest ich. „Fahren wir nun da hin, Papa? Fahren wir nun da hin?“, nerve ich so lange rum, bis der irgendwann nachgibt. „Ja, wenn’s denn unbedingt sein muss, dann fahren wir da eben hin!“
Ich jubele laut los und bin den ganzen Tag damit beschäftigt, das Auto für das große Spiel schön herzurichten. Für das Spiel Rot-Weiß Niebüll gegen HSV! Soll ja jeder sehen, dass wir zum HSV fahren, und so ziehe ich meinem HSV-Schlumpf den Schal, die Mütze, den Pulswärmer aus und außerdem hab ich noch die Bettwäsche von oben geholt und dann hab ich alles schön sauber auf die Rückbank von unserem neuen Opel Rekord gelegt.
Leider hat Papa den Blumenkranz, den unsere Nachbarn an die Stoßstange geflochten haben, schon abgenommen. Wir sind letzte Woche, glaube ich, jeden Tag auf sämtlichen Straßen kreuz und quer über Nordstrand gefahren, damit auch alle sehen, was wir für eine neue Karre haben. Und dann sind wir irgendwann tatsächlich an Maik vorbeigefahren und ich hab schön das Fenster runtergekurbelt und den Arm locker raushängen lassen und dann gerufen: „Ey, Maik! Geile Karre, was!?“ Der hat vielleicht Augen gemacht!
Wir kommen nach einer Stunde Fahrt und – die Aufregung – zwei Pinkelpausen in Niebüll an, wo Papa für mich und für sich bezahlt und – na klaro – nicht vergisst, kräftig über diese „total wahnsinnigen Eintrittspreise“ von knapp fünf Mark zu fluchen: „Beim TSV Nordstrand kommt man noch für ’n Appel und ’n Ei rein, Leute! Für ’n Appel und ’n Ei!“, und er guckt zu mir rüber und sagt mit ernstem Blick: „Diese Halsabschneider!“
Für mich ist das, was so alles passiert, unfassbar. Ich sehe die ganzen HSV-Stars von Nahem und hole mir von fast allen – bis auf Manfred Kaltz, den ich noch gar nicht gesehen habe – Autogramme. Irgendwann warten alle auf den Einlauf der Mannschaften und ich stehe vor den Kabinen rum, wo ich ein wenig Smalltalk mache, wie man unter den Erwachsenen sagt, und zwar mit den jungen HSV-Dachsen – das sagt mein Zweitlieblingsradioreporter Günther Koch immer zu jungen Spielern – wie Bernd Bressem und Jens Duve.
Die Spieler sind echt nett und werden von mir über allerhand Weltbewegendes befragt, weil nämlich, ich will doch wirklich mal aus erster Hand wissen, ob Uli Stein eigentlich auch so nett ist und die WM in Mexiko und das ganze Trara mit dem Rauswurf durch Teamchef Beckenbauer gut überstanden hat und warum Mark McGhee eigentlich verkauft worden ist, mein Lieblingsspieler – was ich ihnen allerdings lieber nicht sage, sonst sind die noch traurig, dass sie nicht auch meine Lieblingsspieler sind. Schließlich frage ich noch, ob die beiden den Schnauzbart von Heinz Gründel auch so gut finden wie ich, ob Jakobs sich in der Kabine rasiert und was Kaltz so von zu Hause erzählt: „Ist das mit Manni und seiner Frau wieder alles roger, Leute? Man hat da ja in der Presse so einiges gelesen!“ Also ehrlich, ich fühle mich einfach super, wie ich hier so stehe und tatsächlich mit HSV-Spielern rede!
Dann kommt’s aber ganz dicke, echt jetzt, weil, plötzlich spaziert Manfred Kaltz – der Manfred Kaltz! – aus der Kabine und will an mir vorbei. Ich fall fast in Ohnmacht, so unglaublich, wie ich das finde. „Manfred Kaltz will an mir vorbei“, denke ich noch, da guckt mir der superste Außenverteidiger aller Zeiten auch schon in die Augen, berührt mich ein bisschen mit seiner Hand und ich denke noch: Wie super ist das denn? Manfred Kaltz berührt mich! Doch dann sagt Kaltz laut: „Ey! Hau ab, du Klotz!“
Ich dreh mich schnell um und frage mich empört, was für ein frecher Fettwanst da Manfred Kaltz – dem Manfred Kaltz! – den Weg versperren will, aber da steht niemand anderes. Manfred Kaltz meint mich. Oh Mann. Ich fang gleich damit an, mich zu entschuldigen, weil, das wollte ich ja nun nicht, Manfred Kaltz den Weg versperren. Der winkt nur genervt ab und ich find das noch voll nett, dass Kaltz nicht noch weiter rumpöbelt, und bin dann zu Papa hin, um ihm aufgeregt zu erzählen: „Papa! Papa! Ich hab Kaltz den Weg versperrt! Ich hab Kaltz den Weg versperrt!“
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