»Ich habe dem Kinde nichts zu Leide gethan,« sagte ich, kaum wissend, ob ich mehr erstaunt, oder unwillig sein sollte. »Er stürzte dort von der Mauer herab und ich war so glücklich, ihn aufzufangen, während er köpflings von jenem Baume herabhing, und wer weiß, welche Katastrophe zu verhindern.«
»Ich bitte um Verzeihung, Sir,« stammelte sie, sich plötzlich beruhigend — das Licht der Vernunft schien in ihren bewölkten Geist zu brechen und ein leichtes Erröthen bedeckte ihre Wangen. Ich kannte Sie nicht, und ich dachte —«
Sie hielt inne, um das Kind zu küssen, und schlang zärtlich ihren Arm um dessen Hals.
»Sie dachten wahrscheinlich, daß ich im Sinne habe, Ihren Sohn zu stehlen.«
Sie streichelte seinen Kopf mit halbverlegenem Lachen und antwortete:
»Ich wußte nicht, daß er die Mauern zu erklettern versucht hatte. — Ich glaube das Vergnügen zu haben, mit Mr. Markham zu sprechen,« fügte sie etwas abrupt hinzu.
Ich verbeugte mich, erlaubte mir aber, zu fragen, woher sie mich kenne.
»Ihre Schwester hat mich vor einigen Tagen mit Mrs. Markham besucht.«
»Ist die Aehnlichkeit denn so auffallend,« fragte ich etwas erstaunt und von der Idee nicht so schmeichelhaft berührt, wie ich wohl hätte sein sollen.
»Ich glaube, einige Aehnlichkeit um die Augen und in der Gesichtsfarbe zu finden,« antwortete sie, indem sie mein Gesicht etwas zweifelhaft überschaute — »«und ich glaube sie am Sonntags in der Kirche gesehen zu haben.«
Ich lächelte. — In diesem Lächeln oder in den Erinnerungen, welche es erweckte, mußte etwas für sie ganz besonders Unangenehmes liegen, denn sie nahm plötzlich wieder das stolze, eisige Gesicht an, welches meine verderbte Natur in der Kirche so unaussprechlich aufgeregt hatte.
Ein Aussehen zurückstoßender Verachtung, das so leicht und ohne die mindeste Entstellung eines einzigen Zuges angenommen wurde, daß es, so lange es sich dort befand., der natürliche Ausdruck des Gesichtes zu sein schien, und mir um so ärgerlicher war, als ich es nicht für affektiert halten konnte.
»Guten Morgen, Mr. Markham,« sagte sie und zog sich, ohne weiter ein Wort oder einen Blick an mich zu richten, mit ihrem Kinde in den Garten zurück; und ich kehrte erzürnt und unzufrieden heim — weshalb, vermöchte ich Ihnen kaum zu sagen — und will es daher auch nicht versuchen.
Ich verweilte nur so lange, um Flinte und Pulverhorn hinwegzulegen und einem von den Knechten einige nothwendige Weisungen zu geben, und verfügte mich dann nach dem Pfarrhause, um mich durch die Gesellschaft und Unterhaltung Elise Milwards zu erquicken und mein aufgeregtes Gemüth zu beschwichtigen.
Ich fand sie, wie gewöhnlich, mit Sticken beschäftigt — die Wuth, mit bunter Wolle zu sticken, war damals noch nicht eingetreten — während ihre Schwester am Kaminwinkel saß, die Katze auf dem Schooße hatte und einen Haufen von Strümpfen stopfte.
»Mary — Mary, stecke hinweg,« sagte Elise hastig, als ich in das Zimmer trat.
»Gott bewahre!« war die phlegmatische Antwort, und mein Erscheinen verhinderte seine Fortsetzung der Diskussion.
»Sie treffen es so unglücklich, Mr. Markham,« bemerkte die jüngere Schwester mit einem ihrer schelmischen Seitenblicke — »der Papa ist soeben ausgegangen und wird unter einer Stunde nicht wieder zurückkehren.«
»Das thut nichts, ich werde wohl ein paar Minuten bei seinen Töchtern zubringen können, wenn sie es mir erlauben wollen, sagte ich, indem ich einen Stuhl an das Feuer setzte und mich darauf, ohne erst auf eine Einladung zu warten.
»Nun, wenn sie sehr gut und unterhaltend sein wollen, so haben wir nichts dagegen.«
»Ich bitte um unbedingte Erlaubniß, denn ich komme nicht, um Vergnügen zu bereiten, sondern es zu suchen,« antwortete ich
Ich hielt es indeß für angemessen, einige kleine Anstrengungen zu machen, um mich meiner Gesellschaft angenehm zu erweisen, und war darin, wie es schien, glücklich genug, denn Miß Elise hatte sich nie in besserem Humor befunden.
Wir schienen gegenseitig aneinander Gefallen zu finden und unterhielten ein munteres und belebtes, wenn auch nicht sehr tiefes Gespräch; es war wenig besser als ein tête-à-tête, denn Miß Milward öffnete die Lippen nur, um mitunter eine unbedachte Behauptung oder einen übertriebenen Ausdruck ihrer Schwester zu berichtigen und einmal, um sie aufzufordern, ihr den Garnknäul, welcher unter den Tisch gerollt war, aufzuheben Dies thue ich jedoch geziemender Weise selbst.
»Ich danke Ihnen, Mr. Markham,« sagte sie, als ich ihr denselben hinreichte, »ich würde Ihn selbst aufgehoben haben, wollte aber nur die Katze nicht stören.«
»O, liebe Mary, das wird Dich in Mr. Markhams Augen nicht entschuldigen,« sagte Elise; »er wird die Katzen wohl eben so herzlich hassen, wie die alten Jungfern, wie alle Mannen — nicht wahr, Mr. Markham?«
»Ich denke, daß es für unser unliebenswürdiges Geschlecht natürlich ist, die Geschöpfe zu hassen,« entgegnete ich, »denn Ihr Damen verschwendet zu viele Liebkosungen an sie.«
»Gott segne die lieben, kleinen Dinger,« rief sie in einem plötzlichen Ausbruch den Enthusiasmus, indem sie sich plötzlich umwendete und das Schooßthier ihrer Schwester mit einer Fluch von Küssen überhäufte.
»Laß sie gehen, Elise,« sagte Miß Milward etwas Verdrießlich, indem sie sie ungeduldig bei Seite schob. — «
Es wurde aber Zeit, daß ich ging: ich mochte eilen, wie ich wollte, so kam ich doch zu spät zum Thee und meine Mutter war die Ordnung und Pünktlichkeit selbst. —
Meine schöne Freundin nahm offenbar nicht gern Abschied von mir. Ich drückte ihr zärtlich die kleine Hand und sie belohnte mich mit ihrem sanftesten Lächeln und bezauberndsten Blicke.
Ich ging sehr glücklich heim und mein Herz strömte von Selbstgefälligkeit und Liebe zu Elisen über.
Drittes Kapitel.
Eine Controverse.
Zwei Tage nachher machte Mrs. Graham einen Besuch in Linden-Car, gegen alle Erwartungen Rosa’s, die die Idee hatte, daß die geheimnisvolle Bewohnerin von Wildfell Hall die gewöhnlichen Pflichten des civilisirten Lebens gänzlich aus den Augen setzen würde — in welcher Ansicht sie die Wilsons unterstütztem welche behaupteten, daß weder ihr Besuch, noch der der Milwards bis jetzt erwiedert worden sei
Jetzt wurde indeß der Grund der Unterlassungssünde erklärt, wenn auch nicht ganz zu Rosa’s Zufriedenheit
Mrs. Graham hatte ihren Sohn mitgebracht, und als meine Mutter ihr Erstaunen und gab, daß er so weit gehen könne, antwortete sie:
»Es ist ein weiter Weg für ihn, aber ich mußte ihn entweder mitnehmen oder den Besuch ganz unterlassen, denn ich lasse ihn nie allein, — und werde Sie bitten müssen, Mrs. Markham, mich bei den Milwards und Mrs. Wilson zu entschuldigen, wenn Sie sie wieder sehen, da ich fürchte, mir das Vergnügen, sie zu besuchen, versagen zu müssen, bis mein kleiner Arthur im Stande sein wird, mich zu begleiten.«
»Aber Sie haben eine Dienerin,« sagte Rosa, »könnten Sie ihn nicht bei der lassen.«
»Sie hat ihre eignen Geschäfte zu besorgen und ist überdies zu alt, um einem Kinde nachzulaufen, und Er zu lebhaft, um sich immer bei einem ältlichen Frauenzimmer aufzuhalten.«
»Aber Sie ließen ihn doch zu Hause, um in die Kirche zu gehen?«
»Ja, einmal, aber ich würde dies auch unter keinen andern Umständen gethan haben und denke, daß ich es in Zukunft so einrichten muß, daß ich ihn mitbringe oder selbst zu Hause bleibe.«
»Ist er denn so bösartig?« fragte meine Mutter ungemein entsetzt.
»Nein,« entgegnete die Dame mit trübem Lächeln und streichelte das lockige Haar ihres Sohnes, der ihr zu Füßen auf einem niedrigen Schemel saß, »aber er ist mein einziger Schatz, und ich sein einziger Freund, so daß wir uns nicht gern von einander trennen.«
Читать дальше