Da sündigte ich schon wieder, und diesmal wurde ich durch einen plötzlichen Rippenstoß von dem Ellbogen meines vorwitzigen Bruders darauf aufmerksam gemacht. Für jetzt konnte ich die Beleidigung nur dadurch rächen, daß ich meinen Fuß auf seine Zehen setzte und verschob die weitere Rache, bis wir aus der Kirche kommen würden.
Nun, Halford, ehe ich diesen Brief schließe, will ich Ihnen sagen, wer Elise Milward war. Sie war die jüngste Tochter des Vikars und ein recht einnehmendes Geschöpfchen, dem ich nicht wenig gewogen war — und sie wußte es, obgleich ich mir nie eine direkte Erklärung erlaubt und auch keine entschiedene Absicht hatte, dies zu thun, da meine Mutter, die behauptete, daß es zwanzig s Meilen in der Runde Keine gäbe, die gut genug für mich sei, den Gedanken nicht ertragen konnte, daß ich das unbedeutende, kleine Ding zur Frau nähme, das außer seinen zahlreichen übrigen Eigenschaften, die es dazu untauglich machten, keine zwanzig Pfund besaß.
Elisens Gestalt war schlank, aber voll, ihr Gesicht klein und fast so rund, wie das meiner Schwester, — Teint, dem dieser etwas ähnlich, aber zarter und nicht so außerordentlich blühend, — Nase retroussée — Züge im Allgemeinen unregelmäßig — und im Ganzen genommen war sie eher reizend als schön; aber ihre Augen — diese bemerkenswerthen Theile ihres Gesichts, darf ich nicht vergessen, denn darin lag ihre hauptsächlichste Anziehungskraft, wenigstens im Aeußern — sie waren lang und schmal geformt, die Augäpfel schwarz oder von sehr dunklem Braun, der Ausdruck wechselnd und immer veränderlich, aber stets entweder übernatürlich — ich hätte fast gesagt satanisch — schelmisch oder unwiderstehlich bezaubernd — oft beides. Ihre Stimme war sanft und kinderartig, ihr Schritt leicht und unhörbar wie der einer Katze und ihr ganzes Wesen meist das eines hübschem muthwilligen Kätzchens, das bald vorwitzig, bald schelmisch, bald furchtsam, bald demüthig ist, wie es gerade will.
Ihre Schwester Mary war um mehrere Jahre älter, mehrere Zoll länger und von stärkerem, gröberen Bau — ein häßliches, stilles, verständiges Mädchen, das ihre Mutter während ihrer letzten langen, schleichenden Krankheit geduldig gepflegt und von da an bis zum gegenwärtigen Augenblicke die Haushälterin und der Familie Aschenbrödel gewesen war.
Ihr Vater vertraute ihr und schätzte sie hoch, alle Hunde, Katzen, Kinder und Arme liebten sie und schmeichelten ihr und alle Uebrigen vernachlässigten sie und schätzten sie gering.
Seine Hochwürden, Herr Michael Milward selbst, war ein langer, schwerfälliger, ältlicher Herr, der einen breitkrämpigen, hinten aufgeschlagenen Hut über sein breites, viereckiges, massives Gesicht setzte, in der Hand einen dicken Spazierstock trug und seine noch kräftigen Beine in Kniehosen und Gamaschen, oder bei feierlichen Gelegenheiten in schwarz-seidene Strümpfe steckte.
Er war ein Mann von festen Grundsätzen, starken Vorurtheilen und regelmäßigen Gewohnheiten. Er duldete keinen Widerstand, in welcher Gestalt er auch erscheinen mochte und handelte nach der festen Ueberzeugung, daß seine Ansichten stets die richtigen seien und, wer von ihnen abwich, entweder bedauernswerth unwissend oder absichtlich blind sein müsse.
In der Kindheit war ich stets gewohnt gewesen, ihn mit ehrfurchtsvollem Schrecken zu betrachten, das ich erst seit ganz kurzer Zeit überwunden hatte, denn wiewohl er gegen gut erzogene Kinder eine väterliche Güte bewies, so war er doch ein strenger Freund der Disciplin und hatte unsere jugendlichen Fehler und kleinen Sünden oftmals hart bestraft und wenn er unsere Eltern besuchte, hatten wir immer vor ihn treten und unsern Katechismus hersagen, oder »was thut die kleine fleißige Biene« oder eine andere Hymne deklamirem oder — was das Schlimmste war, — uns über seinen letzten Text und die Theile seiner Predigt, deren wir uns nie entsinnen konnten, ausfragen lassen müssen.
Mitunter tadelte der gute Mann sogar meine Mutter darüber, daß sie gegen ihre Söhne so nachsichtig wäre und erging sich dabei in Beziehungen auf den alten Eli oder David und Absalom, die sie ganz besonders kränkten, und so hoch sie ihn und alle seine Worte auch verehrte, hörte ich sie doch einmal ausrufen: — »Ich wollte doch, daß er selbst eigen Sohn hätte, dann würde er nicht so bereitwillig sein, anderen Leuten immer Rathschläge zu geben — er würde sehen, was das heißt, wenn man ein paar Jungen in Ordnung halten muß.«
Er besaß eine löbliche Sorgfalt für seine körperliche Gesundheit — stand früh auf und ging bei Zeiten zu Bette, machte regelmäßig vor dem Frühstück einen Spaziergang, war ungemein eigen in Bezug auf warme und trockne Kleidung, hatte nie eine Predigt gehalten, ohne vorher ein rohes Ei zu verschlucken, obgleich er mit guten Lungen und einer kraftvollen Stimme begabt war, und war im Allgemeinen in Bezug, auf das, was er aß und trank, äußerst eigen, wenn auch keineswegs enthaltsam, und hatte eine ganz eigenthümliche Diät, indem er Thee und dergleichen Gewäsch höchlichst verachtete und dafür Bier, Speck und Eier, Schinken, Rauchfleisch und andere kräftige Speisen in Schutz nahm, die mit seinen Verdauungsorganen in gutem Vernehmen standen, weshalb er behauptete, . daß sie für Jedermann gut und gesund seien und sie den schwächlichsten, kranken oder an Unverdaulichkeit Leidenden eifrig empfahl und ihnen dann, wenn sie von seinen Recepten nicht den versprochenen Nutzen zogen, sagte, daß es nur daher komme, daß sie nicht lange genug damit fortgefahren seien, und wenn sie sich über unangenehme Folgen davon beklagten, ihnen versicherte, daß es nichts wie Einbildung sei
Ich will zwei andere Personen, die ich erwähnt habe, nur kurz berühren und dann diesen langen Brief schließen. Dies sind Mrs. Wilson und ihre Tochter.
Erstere war die Witwe eines wohlhabenden Gutsbesitzers, eine engherzige, schwatzhafte alte Frau Base, deren Charakter keine Beschreibung verdient. Sie hatte zwei Söhne, Robert, einen rauhen, verbauerten Landmann und Richard, einen schüchternen, fleißigen, jungen Mann, der unter Beihilfe des Vikars die classischen Sprachen studierte und sich für die Universität vorbereitete, um später in die Kirche zu treten.
Ihre Schwester Jane war eine junge Dame von einigem Talent, aber noch größerem Ehrgeiz. Sie hatte ihrem eigenen Wunsche zufolge, eine ordentliche Pensionats-Erziehung, die vornehmer war, als sie irgend ein Mitglied der Familie vor ihr erhalten hatte, genossen; sie hatte die Politur gut angenommen, höchst elegante Manieren erhalten, ihren Provinzialaccent gänzlich verloren und konnte sich größeren Wissens rühmen, als die Töchter des Vikars.
Man hielt sie überdies für eine Schönheit, sie konnte mich jedoch nie auch nur auf einen Augenblick zu ihren Bewunderern zählen. Sie war etwa sechsundzwanzig, « ziemlich lang und sehr schlank, ihr Haar weder kastanienbraun noch auburn, sondern von höchst entschiedenen grellem hellen Roth. Ihr Teint auffallend weiß und brillant, ihr Kopf klein, Hals lang, Kinn gut geformt, aber sehr kurz, die Lippen schmal und roth, die Augen hellbraun, durchdringend und scharf, aber des Gefühls und der Poesie gänzlich ermangelnd. Sie hatte oder hätte in ihrem Stande eine Menge von Bewerbern haben können, wies sie aber alle verächtlich zurück oder ab, denn ihrem feinen Geschmacke konnte nur ein Gentleman gefallen und ihrem Ehrgeize nur ein reicher Mann genügen. Es gab einen Gentleman, der ihr in der lebten Zeit ziemlich auffallende Aufmerksamkeit bewiesen und auf dessen Herz, Namen und Vermögen, wie man sich zuflüsterte, sie ernsthafte Absichten hatte.
Dies war Mr. Lawrence, der junge Gutsherr, dessen Familie früher Wildfell Hall bewohnt, es aber vor etwa fünfzehn Jahren verlassen hattest, um ein moderneres und bequemeres Haus im benachbarten Kirchspiele zu bewohnen.
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