Tristan wollte protestieren, weil er diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung auf sich bezogen hatte, aber dann merkte er, dass es gar nicht um ihn ging, und hielt den Mund.
Überhaupt war es plötzlich ganz still in der Küche. Poldi bellte nicht mehr und die Zwillinge hörten auf zu kreischen. Niemand gab einen Laut von sich, bis auf die rote Grütze, die in ihrem Topf vor sich hin blubberte.
»Stimmt das?«, fragten Amalia und Georgina nach einer Weile wie aus einem Mund.
»Nein«, sagte mein Vater.
»Lügner!«, rief ich und verlor dabei leider die Beherrschung. Ich hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Du hast unser Schloss an diesen Mr Bommel verkauft. Unser schönes, altes Schloss.«
»Echt jetzt?«, wollte Tristan wissen und nutzte die Dramatik der Ereignisse dazu, sich nicht weiter um die Schweinerei zu kümmern, die er auf dem Küchenfußboden angerichtet hatte.
Papa machte das, was er immer tat, wenn er nicht weiterwusste. Er streichelte Poldi und sah Hilfe suchend zu Mama.
»Nein«, sagte Mama.
»Ihr lügt«, kreischte ich. »Alle beide! Mr Bommel hat es mir gesagt. Ihr lügt! Ihr lügt!! Ihr lügt!!!«
Natürlich log ich auch, aber das war in diesem Fall erlaubt, hatte ich entschieden. Tatsächlich hatte ich diesen Mr Bommel ja gar nicht getroffen, sondern nur seinen Namen auf der Verkaufsurkunde in den verbotenen Zimmern des Ostflügels gelesen, und auch das nicht besonders deutlich.
»Wir lügen nicht«, sagte Mama und reichte mir ein Taschentuch. Keine Ahnung, wo sie das plötzlich herhatte.
»Der Name des Herrn wird übrigens französisch ausgesprochen und er heißt Beaumel und nicht Bommel . In der Tat interessiert sich Mr Beaumel dafür, Moorwood Castle zu erwerben«, fuhr Mama fort. »Aber wir hatten mit ihm vereinbart, darüber Stillschweigen zu bewahren.«
»Krass«, stellte Tristan fest. »Ihr wollt die Hütte also echt verticken.«
»Für wie viel?«, fragten Amalia und Georgina – erneut im Chor.
»Das spielt doch überhaupt keine Rolle!«, rief ich mit viel zu schriller Stimme. »Unser Schloss ist unverkäuflich. Es gehört uns, nur uns und niemandem sonst, und man darf es nicht verkaufen, weil es seit Jahrhunderten unserer Familie gehört, und Opa würde niemals …«
Ich wusste nicht mehr weiter. Wo steckte Opa überhaupt? Erst jetzt und leider etwas zu spät fiel mir auf, dass er gar nicht in der Küche war, als ich die Bombe hatte platzen lassen. Nicht auf Opa zu warten, war natürlich ziemlich dämlich von mir, denn er wäre bestimmt super sauer auf Papa und auf meiner Seite gewesen.
»Was ist denn hier los?«
Na, wer sagt’s denn – da kam Opa gerade noch rechtzeitig durch die Küchentür, mit einem Schraubenschlüssel in den ölverschmierten Händen. Vermutlich hatte er mal wieder an der Heizung herumgewerkelt, die war nämlich des Öfteren kaputt, obwohl sie dringend gebraucht wurde, auch im Sommer. Von der Hitze draußen kam so gut wie nichts in unsere Räume hinein. Wegen der dicken Mauern und der schmalen Fenster.
»Papa will unser Schloss verkaufen, an einen Typen, der Mr Bommel heißt«, berichtete ich schnell, ehe jemand etwas anderes behaupten konnte. Und natürlich sprach ich den Namen von diesem schmierigen Typen nicht französisch aus.
Jetzt würde es gleich ein Donnerwetter geben, das sich gewaschen hatte. Opa war zwar nicht so der zornige Typ und er war ja auch nicht mehr der Jüngste, aber er war unglaublich stark, stärker noch als Onkel Bob. Und früher war Opa mal Soldat gewesen und hatte in einem echten Krieg mitgemacht, wegen irgendwelcher Inseln bei Argentinien, glaube ich. Keine Ahnung, ob damals auch richtig geschossen wurde, aber in unserer Küche würde es auf jeden Fall gleich noch mal richtig rumsen.
Dachte ich.
Tatsächlich schlenderte Opa nur zum Herd, wich mit einem eleganten Seitwärtsschritt dem Käse auf dem Fußboden aus und verkündete:
»Stachelbeerkompott, das ist mein Lieblingsnachtisch.«
»Es gibt rote Grütze, Georgy«, sagte Tante Frida.
»Noch besser«, bemerkte Opa und saß keine fünf Sekunden später mit einem Teller dampfender Grütze vor seiner Nase neben mir.
»Unser Schloss«, jammerte ich. »Unser Schloss, Papa hat es verkauft!«
Jetzt musste Opa mich gehört haben. In seinem Gesicht bildeten sich Falten.
Vielleicht wurde er sogar so wütend, dass er den Teller mit der Grütze nach Papa schmiss.
Schon wieder falsch gedacht.
Die Falten, das waren Lachfalten.
Opa sah mich mit einem verschmitzten Grinsen an.
»Hat dieser Bommel also tatsächlich zugeschlagen?«, raunte er mir verschwörerisch zu.
»Nein, das hat er noch nicht«, mischte sich nun Mama ein. »Und der Mann heißt Beaumel . Er hat lediglich eine Absichtserklärung unterschrieben und sich damit ein Vorkaufsrecht gesichert.«
»Na, immerhin«, freute sich Opa und löffelte vergnügt rote Grütze.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
»Opa, hast du mir nicht richtig zugehört?«, fragte ich und rüttelte an seinem Arm. »Unser Schloss! Papa will es verkaufen.«
»Ja, natürlich«, sagte Opa sanft. »Das wollen wir doch alle, oder?«
»Sind wir dann reich?«, fragte Georgina.
»Ziehen wir nach London?«, wollte Amalia wissen.
»Wird die Bruchbude abgerissen?«, erkundigte sich Tristan und fügte noch hinzu: »Falls sie nicht vorher von allein zusammenkracht.«
Statt einer Antwort sagte Mama: »Wir wollten es euch eigentlich erst nach den Sommerferien sagen. Es ist sehr ärgerlich, dass Mr Beaumel so indiskret war und Malvina einfach angesprochen hat.«
»Ach egal«, nuschelte Opa und gab Tante Frida durch Handzeichen zu verstehen, wie sehr ihm die rote Grütze schmeckte. »Hauptsache, wir sitzen nächstes Jahr um diese Zeit alle in einer schönen, gemütlichen Neubauwohnung.«
Da riss bei mir endgültig der Geduldsfaden.
»Neiiiiiiin!«, kreischte ich und schlug mit beiden Fäusten so doll auf den Tisch, dass Opas Teller in die Luft sprang.
Leider war ich nicht besonders geübt darin, auf Tische zu schlagen, und es tat so weh, dass ich für ein paar Sekunden keine Luft mehr bekam. Als ich wieder atmen konnte, ging es mir noch schlechter als vorher.
Mir blieb nichts weiter übrig, als mich fallen zu lassen, unter dem Tisch hindurchzukrabbeln (wobei ich mir natürlich auch noch den Kopf stieß) und aus der Küche zu rennen. Währenddessen sagte Mama etwas, das ich nicht verstand, Opa meinte, dass ich mich schon wieder einkriegen würde und morgen beste Laune hätte, und Papa erwiderte: »Das glaube ich nicht. Malvina hängt an Moorwood Castle.«
Immerhin gab es in meiner missratenen Familie wenigstens einen, der mich verstand, aber das nutzte mir jetzt auch nichts mehr.
Kapitel 3
Rettung in höchster Not
Ich stampfte die Treppe nach oben und schlug meine Zimmertür mit voller Wucht hinter mir zu. Dabei fiel mir ein, dass es vielleicht nicht verkehrt gewesen wäre, Mamas chinesische Vase im Flur von der Vitrine zu fegen, damit sie in genauso viele Einzelteile zersprang wie Tristans Erdnussbutterglas.
Aber ich war zu erschöpft, um noch mal umzukehren.
Und natürlich sollte man seine Wut auch nicht an chinesischen Vasen auslassen, die meistens nichts dafürkönnen, dass schlimme Sachen passieren.
Eine Weile trommelte ich mit den Händen auf mein Bett, was wenigstens nicht wehtat. Besser fühlte ich mich dadurch allerdings auch nicht.
Eher noch mieser.
Als mein Handy die fröhliche Melodie dudelte, die es immer dudelte, wenn jemand anrief, hatte ich große Lust, das dämliche Teil auf den Boden zu werfen und darauf herumzuspringen. Aber dann sah ich, dass der Anrufer mein Onkel Frank war.
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