Am Wochenende zuvor im Ruhrstadion hatte eine Wespe den Bremer Trainer Thomas Schaaf in die Lippe gestochen, und der Hamburger van der Vaart wusste nicht nur die Hanseaten zu begeistern, indem er das Trikot des FC Valencia in die Kamera eines spanischen Reporterteams hielt. Ein schöner Skandal und genug Zündstoff für ein humorvolles Gespräch unter Fußballverrückten.
Das Wetter ist herrlich. Keine Selbstverständlichkeit in diesem Sommer. Henk ist mittlerweile vollkommen überzeugt, dass das Format, das wir gerade abgedreht haben, einfach toll ist. Goosen ist wie immer witzig, die Idee neu und unverbraucht. Eben das, was die Welt stets fordert und nun auch endlich bekommen soll. Ich lasse mich für einen Moment von der Euphorie und dem warmen Gefühl des sonnigen Tages anstecken. Wir gehen auf ein Bier ins „Parkschlösschen“ direkt am Bochumer Stadtpark. Ich weiß natürlich, dass das mit dem einen Bier nicht klappen wird, nehme mir aber fest vor, es nicht ausufern zu lassen. Schließlich habe ich dem Mann vom „Kicker“ versprochen, morgen noch das fertige Video rüberzuschicken. Ich rufe Gerry, Wolle und Thomas an. Der entscheidende und verhängnisvolle Fehler. Alle drei können.
Als das erste Bier, das einmal das einzige sein sollte, getrunken ist, beginne ich von meiner Entdeckung am Morgen zu erzählen. Ich hatte in der „Vanity Fair“ eine Story zum Bundesliga-Start entdeckt. Promis sollten ihren Lieblingsklub nennen. Zum Glück hatten sie für den VfL Bochum Goosen genommen, was angesichts von abgehalfterten Fernsehsternchen wie Sat1-Moderatorin Bettina Cramer, vollbusigen Lachschnecken wie Ruth Moschner oder geschwätzigen Dauerunsympathen wie CSU-Politiker Markus Söder für uns VfLer eine ausgesprochen angenehme Wahl darstellte. Wie die Fans von Schalke 04 (Bettina Cramer), Hertha BSC (Ruth Moschner) und Nürnberg (Markus Söder) mit ihren prominenten Vereinskameraden klarkommen, ist sicherlich ein ernstzunehmendes Problem, über das die Anhänger einmal ausführlich mit einfühlsamen Psychologen ihrer Heimatstadt sprechen sollten.
Doch das ist alles nichts gegen das Unheil, das den Fans von Bayer 04 Leverkusen widerfährt. Es war mir schon immer ein Rätsel, welcher genetische Aussetzer einen potenziellen Fußballinteressierten so vollkommen vom Weg abbringen kann, dass er Anhänger dieses Retortenklubs wird. Dass die Lösung allerdings so einfach sein kann, zeigt das Beispiel des auch im Alter noch rüstigen Gentleman-Boxers Henry Maske. Der hat nämlich tatsächlich auf die Frage „Fan seit?“ geantwortet: „1999. Weil ich damals eine McDonalds-Filiale in der BayArena eröffnet habe.” Und da sage noch jemand etwas gegen die ewigen Mahner, die Fastfood für Teufelszeug halten.
Henk, Gerry, Wolle und Thomas kriegen von der Geschichte natürlich Hunger, und so essen wir im Schein der untergehenden Sonne Currywurst, Mozzarella-Sticks und Aioli mit Brot. Als der Kellner um ein Uhr die letzte Runde bringt, laden wir ihn auf ein Bier ein. Beim Abkassieren fragt er mich, ob ich der Typ sei, der die zwei VfL-Filme gemacht habe. Für einen Moment sehe ich ihn an, um zu gucken, ob er glaubt, ich hätte schon ein paar Biere zu viel getrunken (was stimmt) und er mich nun ein bisschen verarschen könne. Doch er lächelt nur verlegen und scheint es ernst zu meinen: „Die Filme sind echt klasse. Machen richtig Spaß anzuschauen. Wobei ich gestehen muss, dass ich eigentlich Schalker bin.“ Kurz zucke ich zusammen. Wir sind den ganzen Abend von einem Menschen aus Herne-West bedient worden und haben nichts gemerkt? Eine Schande. Ich muss mir ehrlich eingestehen: Wir werden wohl langsam alt.
Bist du Schalker, oder wat?
Ich bin schon mit einem Lächeln aufgewacht. Das muss einfach ein guter Tag werden. Heute Abend spielen wir gegen den HSV, und wir können Tabellenführer werden. Zwar nur für eine Nacht, aber immerhin. Wenn du ein Bochumer bist, dann ist solch ein Ereignis ein Grund zum Feiern. Nicht die Nacht als Spitzenreiter, sondern der ganze Tag, an dem diese unfassbare Möglichkeit überhaupt besteht. Ich spiele kein Lotto, also werde ich nie in den Genuss kommen, sechs Richtige zu haben. Aber wenn der VfL Bochum in meinem Leben jemals Deutscher Meister werden sollte, dann wird es sich so anfühlen, als ob ich einen unglaublichen Jackpot abgesahnt hätte. Leider ist die Chance auf den großen Wurf beim Lotto in etwa mit der Deutschen Meisterschaft für den VfL Bochum zu vergleichen. Kollege Gerry hat die Hoffnung auf unseren VfL deshalb auch schon aufgegeben. Er kreuzt seit dem letzten Abstieg unserer Mannschaft wieder intensiv Zahlen zwischen 1 und 49 an: „Mein Gott, ich will einfach einmal in meinem Leben ein bisschen Glück haben. Warum versteht das denn keiner?“, fragt er immer, wenn wir ein paar Bier getrunken haben und er denkt, sich für sein treuloses Verhalten entschuldigen zu müssen. Ich kann ihn ja verstehen, aber wer als VfL-Fan wirklich daran glaubt, er würde mit diesem Verein jemals Deutscher Meister werden, der gehört eingesperrt. Wir sind eben zum ewigen Leiden auserwählt. Am Abend wird aber gejubelt, da bin ich mir sicher.
Nadine fragt mich, ob ich heute ins Stadion gehe. Ich liebe diese Frage. Seit der WM sind alle Frauen wie verwandelt. Irgendwie haben sie einen Narren an unserem Sport gefressen. Vor dem Sommermärchen hatte alles noch seine Ordnung. Habe ich früher zu Nadine gesagt, ich würde zu einem Kollegen gehen und Fußball gucken, hat sie für einen Moment beleidigt dreingeschaut und dann eine Freundin angerufen. Heute fragt sie mich, wer denn so alles kommt und ob ich schon an Chips und Getränke gedacht hätte. Absurd. Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema immer ein wenig überreagiere. Aber manchmal will man eben seine Ruhe haben, und diese Ruhe ist momentan ziemlich gefährdet. Schließlich gehe ich ja auch nicht uneingeladen auf irgendeine Party und stelle mich grölend mitten auf die Tanzfläche.
Mittags suche ich ein paar Texte und Videos heraus. In zwei Wochen fahre ich mit dem Journalisten-Kollegen Christoph Ruf auf eine kleine Scudetto-Lesetour nach Berlin, Köln und Moers, und da will man vorbereitet sein. Scudetto ist der Name meines „kulturellen Fußballabends“, den ich vor sieben Jahren im Presseraum des VfL Bochum das erste Mal präsentiert habe. Scudetto heißt, spannende Geschichten rund um den Fußball in zweimal 45 Minuten unterhaltsam auf die Bühne zu bringen. Auch wenn es mittlerweile einige Favoriten im Programm gibt, so ist doch jede Veranstaltung anders, weil ich immer wieder neue Filmchen, lustige Bilder oder interessante Anekdoten aus der bunten Welt des rollenden Leders entdecke und für die Veranstaltung aufbereite.
Ich durchblättere also einen dreißig Zentimeter hohen Stapel Kopien und schaue noch einmal meine Notizen durch, um am Ende schließlich doch zunächst wieder bei meinen „Klassikern“ zu landen. Einer meiner absoluten Lieblingstexte ist der „FAZ“-Fragebogen aus dem EM-Jahr 1996 mit dem damaligen Bundestrainer Berti Vogts. Auf der Bühne sage ich immer, dass der Bogen zu hundert Prozent genau so vom „Terrier“ ausgefüllt worden ist. Ich selbst glaube allerdings nur zu fünf Prozent daran. Zu hausbacken und naiv sind die Antworten des „Wadenbeißers“. Niemand würde doch tatsächlich auf die Idee kommen, auf die Frage nach seinen Lieblingsschriftstellern und -lyrikern mit „Unbekannte Autoren“ zu antworten. Oder etwa doch? Schließlich hat Vogts den Journalisten ja auch einmal den unvergesslichen Gassenhauer „Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben“ in die Notizblöcke diktiert. Ob gefakt oder echt, im Saal gibt es spätestens kein Halten mehr, wenn der alte Meisterspieler von Borussia Mönchengladbach und vom Leben nicht immer verwöhnte Berti Vogts auf die Frage nach seiner Lieblingsfarbe klar und unmissverständlich antwortet: „Gelb-grün“.
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