Am liebsten sprach er mit ihm über Randthemen der Lokalpolitik, wie die schreckliche Verschmutzung der Gehwege durch Hundekot. Da waren sie sich einig und Herb Senior stolz darauf, dass sein eigener Widerwille gegen jegliche Art von Haustieren auf den Sohn abgefärbt hatte. Es war befriedigend, den Hundehass dynastisch weiterzugeben, zu oft wurde das Stadtbild vom manischen Hang der Bevölkerung zur Tierhaltung gestört. Ebenso anregend konnten sie über die unterschiedlichen Möglichkeiten debattieren, wie konkret mit überraschendem Reichtum umzugehen wäre. Während Herb Senior mehr zu Immobilien und Edelmetallen, also einer wertbeständig konservativen Anlage, tendierte, neigte der Sohn in erster Linie zur Erfüllung seiner persönlichen Träume, wie zum Beispiel einer luxuriösen Weltreise, die hauptsächlich in Edelresorts in der Südsee stattfinden sollte. Herb Senior konnte diese kleine Diskrepanz akzeptieren, man war schließlich nur einmal jung.
Er stellte seinen Kaffee zu schwungvoll auf dem Schreibtisch ab und suchte in der Schublade nach einem Taschentuch, um das Verschüttete wegzuwischen. Das nasse Taschentuch warf er gleich in den Mistkübel, denn als hauptsächlich weiß gekleideter Mann hatte er eine Aversion gegen jegliche Art von potenziellen Fleckenverursachern. Sein Blick fiel auf die Familienfotos, die im Regal Staub ansetzten. Zwei Kinder, Sohn und Tochter, und eine Frau, schlank und gut aussehend, kaum gealtert. Herb Senior versuchte, es sich warm ums Herz werden zu lassen, aber wenn er ehrlich war, stach ihm nur der unglaublich lächerliche Haarschnitt seines Sohnes in die Augen. Magdalena mochte er gar nicht allzu genau ansehen, sie hatte die Eigenheit, auf Fotos immer irgendwie vorwurfsvoll die Augenbrauen hochzuziehen. Diesen speziellen Blick glaubte er in letzter Zeit auch in natura an ihr wahrgenommen zu haben und er hatte keine Lust, sich in der Praxis unbehaglich zu fühlen. Er drehte den Rahmen mit dem Gesicht zur Regalwand und rückte das Foto der Tochter ein wenig nach vorne. Zumindest Greta schien es gut zu gehen in Stockholm, sie hatte seit Längerem nicht mehr nach Geld gefragt.
Weil er schon davorstand, öffnete er die Tür.
»Frau Egger, bitte.«
Er schüttelte einer Hochschwangeren die Hand und spürte die Wassereinlagerungen in deren Fingern. Die Tür zum CTG-Raum war immer noch verschlossen.
KARIN WAR NOCHnicht lange genug ohne Partner, um in dem Mann namens Klaus eine ernsthafte Option zu sehen. Sie hatte sein Interesse durchaus bemerkt, es wohlwollend abgespeichert und würde im Bedarfsfall darauf zurückkommen. Objektiv betrachtet war er keine schlechte Wahl, zumindest durchschnittlich attraktiv, nicht fettleibig, seine Zähne waren zwar leicht gelb, aber wenigstens Originalbestand. Nichts, was man nicht mit ein paar Bleaching-Streifen hätte beheben können. Das buschige Seitenhaar über seinen Ohren müsste man natürlich streng einkürzen und etwas ausdünnen, denn durch den Wildwuchs wurde die Glatze unvorteilhaft betont. Vielleicht wäre die beste Lösung, die Haare überhaupt alle millimeterkurz abzurasieren und mit einer markanten Brille, auf keinen Fall randlos, einen Akzent in die Gesichtsmitte zu setzen. Mit einem derart bebrillten Mann konnte man sich schon blicken lassen, das sah nach einem Werber, einem Architekten, einem Selbstständigen aus. Auf jeden Fall nach einem Mann, der theoretisch sehr erfolgreich sein könnte.
Seine Kleidung müsste man komplett entsorgen, denn er hatte einen unglücklichen Hang zum modischen Pragmatismus, seine Hosen wurden rein aus Notwendigkeit von Gürteln oben gehalten, weil er so viele Sachen in den zahlreichen Seitentaschen transportierte. Es sah aus, als würde er ständig seinen halben Hausrat mit sich herumschleppen. Karin mochte Männer in Anzügen, schmal geschnitten, mit weißem Hemd und ohne Krawatte. Wahrscheinlich stünde so ein Anzug dem Mann namens Klaus hervorragend, denn er hatte zumindest eine stattliche Körpergröße, war locker fünfzehn Zentimeter größer als Karin, sie hatte innerlich ihr Schuhregal durchforstet und zufrieden festgestellt, dass ihre höchsten Absätze dreizehn Zentimeter maßen. Karin bezeichnete sich zwar gerne als emanzipiert, aber über ihren Partner hinauszuwachsen, dazu war sie doch nicht bereit.
Sie lag in ihrem Bett und konnte nicht einschlafen, ihre Beine pulsierten von einem anstrengenden Tag am Counter, Helene hatte schlecht geträumt, war plötzlich mit schweißnassen Haaren und der Frage, ob es denn irgendwo noch fleischfressende Dinosaurier gab, vor ihr gestanden und lag jetzt im großen Bett, jede aufkeimende Schläfrigkeit Karins mit einem Tritt in ihre Rippen oder Halsbeuge vertreibend. Sie rotierte im Bett wie ein Uhrzeiger und änderte ihre Position immer so ruckartig, dass sie Karin dabei fast einmal die Nase gebrochen hätte.
Helene war ein Problem. Das konnte sich Karin nicht schönreden, seit sie ein Kind geboren hatte, waren ihre Möglichkeiten auf dem freien Markt drastisch gesunken. Die Männer, die sie hätte kennenlernen können, waren entweder selbst gebunden oder nicht interessiert an bereits vorhandenen Kindern, die das Alter der Niedlichkeit eindeutig überschritten hatten. Ihre Tochter war kein einfaches Kind, sie stellte zu viele Fragen und lachte dafür zu wenig. Früher hatte sie diese störenden Eigenschaften gut kaschiert mit entzückenden Flechtfrisuren, aber mittlerweile war schon schlichtes Frisieren am Morgen ein Drama.
Der Mann namens Klaus hatte den entscheidenden Vorteil einer eigenen Wohnung direkt gegenüber. Trotzdem, er war eigenartig, ein Starrer, ein Kaffeeverweigerer, kein Naturtalent im Umgang mit Kindern. Karin beschloss, mit dem realen Umstyling zuzuwarten und sich noch Zeit zu geben. Eineinhalb Stunden später schlief sie endlich ein, um gleich wieder von Helene geweckt zu werden, die weinte, weil sie aus dem Bett gefallen war.
MAGDALENA LAG IMBett und dachte daran aufzustehen. Ganz fest dachte sie daran und war enttäuscht, dass es dadurch nicht von selbst passierte. Sie müsste nur die Decke zurückschlagen, die kühle Luft an ihren nun ungeschützten Beinen ertragen und die Füße auf den kalten Boden stellen. Sie müsste diese Kälte ausblenden und stoppen, bevor sie das Herz erreichte. Sie müsste einen Fuß vor den anderen setzen, links zuerst, wie es ihrer gesamten Polung entsprach, und den leichten Schwindel ausgleichen, ohne sich an der Wand abzustützen. Sie würde das Schlafzimmer verlassen und die Luft draußen atmen, die unverbrauchte Luft, die ihr in den Kopf schießen würde. Sie würde sich gegen die Gedanken wehren, die unweigerlich auftauchten, wenn der Kopf belüftet wurde.
Magdalena drehte sich um, mit Schwung, langsam war es nicht mehr möglich, denn sie lag immer an derselben Stelle des übergroßen Bettes und hatte eine tiefe Mulde in die Matratze gedrückt. Ein kalter Luftschwall kroch unter die Bettdecke und erwärmte sich sofort auf das Angenehmste. Den Körper einmal gewendet sah die Welt gleich ganz anders aus. Magdalena schnupperte an ihrer Schulter, sie würde wohl nie aufhören nach Säugling zu riechen, und dieser Geruch begleitete sie in einen unruhigen Schlaf.
Im Traum wanderte sie an der Seite eines recht ungeduldigen Pagen durch ein beeindruckendes altes Hotel, Jugendstil höchstwahrscheinlich, das völlig unpassend mit hochmodernen riesengroßen Panoramafenstern ausgestattet war, die wie gläserne Wunden auf Scheußlichkeiten der Industrie, auf Lagerhallen, Müllhalden in Hinterhöfen und Verladestationen zeigten. Magdalena wanderte von Stockwerk zu Stockwerk, in der immer verzweifelteren Erwartung, endlich ein schön beleuchtetes Städtepanorama präsentiert zu bekommen, und stellte sich minutenlang vor jedes einzelne Fenster, obwohl der Page sie hartnäckig vorantrieb. Nirgends ein schöner Ausblick.
» IHRE ELTERN WOHNENauch hier«, sagte der Nationalratsabgeordnete der komplett unwählbaren Partei und störte damit die Stille im Lift auf eine überraschend angenehme Weise. Sein Hund schnüffelte an Herb Juniors Schuhen und hinterließ feuchte Nasenabdrücke auf dem matten Glattleder. Da es eine schlichte und treffende Feststellung war, wollte Herb Junior eigentlich gar nichts darauf antworten, aber er mochte das Parfum des Nationalratsabgeordneten viel zu sehr, um die Situation totzuschweigen, obwohl er sonst um blumige Kopfnoten einen großen Bogen machte und nicht ausschließen konnte, dass der Duft nur nach Flakon ausgewählt war. Herb Junior wollte dem echten Leben wieder einmal eine Chance geben.
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