Der erste Geschlechtsverkehr in der Woche darauf verlief enttäuschend, ganz ohne Polohemd verlor Herb Senior sofort die Form, und Magdalena war in einem ausreichend überdurchschnittlichen Maße hübsch, um sich sexuell normalerweise nie anstrengen zu müssen. Verwirrt von seiner passiven Erwartungshaltung griff sie zaghaft nach seinem schlaffen Penis und bewegte ihn hin und her, bis er eine nicht besonders vertrauenswürdige, wankende Härte erreichte. Herb Senior war ungeschickt, Magdalena hatte eine gewisse anatomische Versiertheit erwartet, aber er brauchte beide Hände, um seinen Penis einzuführen. Sie vergrub den Kopf in seiner Halsbeuge, weil sein Atem zu stark nach Whisky und Zigarren roch. Danach gingen sie beide auf die Toilette, und sie konnte ihn im Gästebad hören, wie er seine Blähungen in die Freiheit entließ. Immerhin hat er sie bis jetzt zurückgehalten, dachte Magdalena, während sie dem zähen, fadenartigen Sperma zusah, das langsam ihrem Unterleib entwich.
DER MANN NAMENSKlaus liebte seine Wohnung, denn dort war alles perfekt auf ihn abgestimmt. Er besaß vier Tassen, drei Gläser, sechs Teller – drei kleine und drei große. Für Schalen hatte er ein Faible entwickelt, er mochte deren Multifunktionalität, daher hatte er gleich acht Stück, alle unterschiedlich groß.
Jeden zweiten Tag erledigte er den Abwasch, indem er zuerst das Besteck einweichte, dann die Gläser, die Teller, zum Schluss die dreckigen Töpfe und Pfannen abrieb. Danach spülte er alles gründlich ab, ließ es lufttrocknen und polierte vor dem Einräumen mit einem weichen Tuch nach.
Er hatte einen Staubsaugerroboter, einen Handsauger und einen Staubwedel mit Teleskopstange, mit dem er sogar mühelos die Spinnweben an der Decke entfernen konnte. Sein Bodenwischer besaß einen integrierten Tank, so konnte er den Boden mit geringem Aufwand wischen, und das vor allem, ohne seine Bandscheiben zu strapazieren. Kleinstverschmutzungen des Fußbodens behandelte er mit etwas Spucke und der Unterseite seiner Socken, so viel Disziplinlosigkeit erlaubte er sich doch hin und wieder.
Für das Badezimmer hatte er sich bei einem Shoppingsender spezielle Mikrofasertücher bestellt. Nach jeder Benutzung polierte er die Armaturen nach, somit musste er das Bad nie gründlich putzen. Den Mischhebel des Wasserhahns betätigte er grundsätzlich nur mit dem Handgelenk, um feuchte Abdrücke zu vermeiden, und vor dem Stuhlgang kleidete er die Kloschüssel mit Papier aus, um Anhaftungen zu verhindern und die Klobürste keimfrei zu halten. Sein Kühlschrank und sein Backofen waren selbstreinigend.
Der Mann namens Klaus hatte sein Leben höchst effizient organisiert, nur wusste er jetzt mit der vielen freien Zeit nichts anzufangen, außer sich in das Lautsprechersystem der Nachbarn zu hacken und deren Musiklautstärke langsam auf für ihn erträgliche Maße herunterzuregeln. Er hatte die sichere Methode entwickelt, die Lautstärke alle drei Minuten um einen Klick zu reduzieren, einzeln so gut wie nicht nachweisbar, aber in Summe recht effektiv. Die Nachbarn liebten momentan Italo Pop, eine Tatsache, die dem Mann namens Klaus schwer zu schaffen machte.
Er konnte viel ertragen, aber wenn er mehrmals täglich Azzurro hören musste, dann kroch eine vage Todessehnsucht in ihm hoch, derer er schwer Herr wurde. Heute war einer dieser Tage, an denen die Nachbarn wieder einmal zur Maßlosigkeit neigten. Das Album der größten Hits von Adriano Celentano war zur Gänze durchgelaufen und fing gerade wieder von vorne an.
Azzurro
il pomeriggio è troppo azzurro
e lungo per me.
Der Mann namens Klaus drückte einmal kurz auf den Lautstärkeregler seines Handys. Die Musik wurde leiser, ganz wenig, denn sie drang immer noch durch die Wohnzimmerwand zu ihm herüber.
Mi accorgo
di non avere più risorse
senza di te.
Er schaltete seinen Fernseher ein. Dann drückte er noch einmal auf den Lautstärkeregler des Handys. Die Musik fing an, sich mit dem Ton des Fernsehers zu vermischen. Unerträglich überplärrte Adriano Celentano einen Fernsehsprecher mit wohltuender Bassstimme.
E allora
io quasi quasi prendo il treno
e vengo, vengo da te.
Ma il treno dei desideri
nei miei pensieri all’incontrario va.
Er stellte den Ton des Fernsehers lauter und atmete auf. Es war nichts mehr von drüben zu hören, er vernahm nur mehr den Nachhall seiner eigenen Aufregung. Jetzt musste er sich zwar eine Dokumentation über die Herstellung von Limoncello an der Amalfiküste ansehen, aber das war es ihm wert.
ER HATTE WIDERErwarten drei Leben gerettet im Laufe seiner Karriere und zum Lohn diese gottähnliche Zufriedenheit verspürt und eine Keramiktasse bekommen, gefüllt mit alkoholfreien Pralinen und bemalt mit einem grauen Hirsch. Das war nicht nichts. Eigentlich hatte er sogar sieben Leben gerettet, wenn er die Föten dazuzählte.
An den ersten Notfall erinnerte sich Herb Senior genau, denn die darauffolgenden Lebensrettungen hatten ihm nie wieder solch intensive Gefühle verschafft, sie dienten eher einer Art frisch bebilderter Wiederholung.
Eine Frau, schwanger mit Zwillingen, wurde direkt von seiner Praxis mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. Sie hatte sich mit letzter Kraft zu ihm geschleppt, da sie dort tags zuvor mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und sogar ohne Bluttest nachhause geschickt worden war. Weinend saß sie vor ihm und sagte, dass sie seit Tagen kaum geschlafen habe und diese stechenden Oberbauchschmerzen sie bald in den Wahnsinn treiben würden.
Herb Mazur Senior wusste sofort, was zu tun war. Er schickte eine der drei Sprechstundenhilfen in die Apotheke, um Blutdrucksenker zu besorgen, ließ parallel dazu ein CTG schreiben, dessen Befund unauffällig und ohne Wehentätigkeit war, und verabreichte der Frau danach das genau rechtzeitig eingetroffene Medikament, da sie schon lallte und nach eigenen Angaben verschwommen sah. Er rief die Oberärztin ihres Wahlkrankenhauses an und verpasste ihr ein verbales Klistier von beeindruckendem Feinschliff. Wenn er bloß immer zu solch eleganten Schmähreden fähig gewesen wäre, ein Traum war das, wie er gänzlich unantastbar aus der Position des Rechthabenden streng und gütig agieren und trotzdem auf das Schärfste zur Eile mahnen konnte. Ein Retter war er. Die Oberärztin versuchte, sich die Panik nicht anmerken zu lassen, und versprach, unverzüglich einen OP zu präparieren, aber an ihrer Stimme merkte er, dass sein Anruf die erwünschte Wirkung zeigte. Das eiligst erstellte Blutbild aus dem Labor überflog er nur kurz und zitterte vor Erregung darüber, dass er sogar die Anzahl der stark reduzierten Thrombozyten richtig geschätzt hatte. Er hatte die Ernsthaftigkeit der Lage schon an der Patientin gesehen, bevor ihr das Blut abgenommen wurde, dieser fadenartige Blick, der überall hängen blieb, aber keine geraden Linien mehr ziehen konnte, dieser Blick war eine der Eigenheiten, die Lebensgefahr mit sich brachte.
»Wir müssen die Schwangerschaft jetzt abbrechen«, sagte er zu seiner immer kleiner werdenden Patientin mit dem Zwillingsbauch. Er entschied sich bewusst für eine derart drastische Wortwahl, das »abbrechen« sollte die vorhandene Dramatik noch extra steigern, denn Herb Senior stellte in diesem Moment mit Verwunderung fest, dass ihm die Unsicherheit seiner Patientin tiefe Befriedigung verschaffte. Sie riss entsetzt die Augen auf, wagte keinen Widerspruch.
»Nur keine Angst, Sie dürfen jetzt nicht panisch werden, aber Sie haben ein akutes HELLP-Syndrom, das ist eine komplizierte Form der Schwangerschaftsvergiftung, davon haben Sie sicher schon mal gehört. Wir müssen daher sofort die Geburt einleiten«, fügte er milde hinzu, denn er wollte es nicht mutwillig übertreiben mit der Paniksteigerung bei einer Frau, deren Körperfunktionen zu keiner Blutgerinnung mehr fähig waren.
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