Tulla Hagström
Petra und der Fohlenfrühling
SAGA Egmont
Petra und der Fohlenfrühling
Aus dem Schwedischem von Ursula Dotzler nach
Pass på, Petra
Copyright © 1988, 2018 Tulla Hagström und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711786819
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
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Es war ein trüber Sonntagmorgen Ende März. Die Schneeberge lagen noch immer an den Straßenrändern, doch die Straße selbst war frei bis auf ein paar kleine, tückische Eisflecken. Ein Mädchen auf einem roten, klapprigen Fahrrad radelte verbissen gegen den kalten, stechenden Wind. Sie hatte die gestrickte, blau-weiße Wollmütze über die Ohren gezogen, und das mausfarbene Haar flatterte ihr über die Schultern. Noch hatte sie ein langes Stück zum Stall zurückzulegen.
Daß sie, Hilkka Hynninen, ein Pferd versorgen durfte, war so unglaublich, daß Hilkka Angst hatte, die Pferdebesitzerin könnte es sich plötzlich wieder anders überlegen und jemand anderem die Arbeit übertragen. Ihre ältere Schwester Sirkka, zum Beispiel, ritt nun fast ein Jahr lang. Hilkka selbst war es bis jetzt noch nicht einmal gelungen, Platz in einer Anfängergruppe zu bekommen. Sie hatte sich auch nie in irgendeiner Weise hervorgetan. Daß sie jetzt die Pflege des Ponys Svala übernehmen durfte, war wie ein Wunder. Sie war nicht überrascht, daß Sirkka sich geärgert hatte und sich übergangen fühlte, denn Astrids Wahl war wirklich überraschend gewesen.
Nun mußte sie ihr Bestes tun, um Svalas Pflegerin zu bleiben. Astrid hatte sogar gesagt, Hilkka dürfte im Frühjahr gelegentlich reiten, nachdem das Fohlen zur Welt gekommen war.
Svalas Fohlen! Es hätte eigentlich schon vor zwei Wochen geboren werden sollen, und Hilkka spürte, daß Astrid große Angst hatte, etwas könnte schiefgehen. Hilkka selbst wußte gar nichts über eine Fohlengeburt. Wenn es nun heute passierte? Sie stellte sich vor, wie sie zu Svalas Box ging und sah, daß es soweit war. Sie malte sich aus, daß kein anderer es gemerkt hatte und daß sie losrannte und den Tierarzt anrief, der sofort kommen würde. Dann würde Astrid froh und dankbar sein, weil sie Svala und das Fohlen gerettet hatte.
Hilkka war so in ihre Gedanken versunken, daß sie den blauen Volvo nicht bemerkte, der sie überholte. Doch als die Fahrerin an den Straßenrand fuhr und vor ihr bremste, sah sie, daß es das Auto der Familie Olsson-Johanson war. Astrids Mutter kurbelte die Scheibe herunter und rief: „Willst du mitfahren? Wir könnten dein Fahrrad im Kofferraum verstauen!“
Mitfahren wollte Hilkka natürlich gern. Frau Olsson half ihr mit dem Fahrrad, und dann zwängte sich Hilkka auf den Rücksitz neben die Schwestern Astrid und Lena, obwohl der Platz neben dem Fahrersitz noch frei war.
„Das Fohlen ist heute nacht geboren worden!“ erzählte Lena eifrig.
Sie hatte lange, blonde Haare und Stirnfransen. Astrid war dunkelhaarig; sonst ähnelten sich die beiden Schwestern sehr. Sie hatten auch die gleichen blauen Augen.
„Ist das wirklich wahr? Ist alles gutgegangen?“
Hilkka zog die schmutzigen Handschuhe aus und hauchte ihre steifgefrorenen Finger an.
„Ja, alles ist gut verlaufen“, erwiderte Astrid glücklich. „Es ist ein Hengstfohlen, und wir wollen es Sturmvogel nennen.“
Im Nu waren sie bei der Reitschule, und Hilkka dachte, wie schön es wäre, wenn sie immer mit dem Auto zum Stall fahren könnte wie Astrid und Lena. Doch Hilkkas Mutter besaß keinen Führerschein, und ihr Vater hatte noch im Bett gelegen und geschlafen, als sie von zu Hause weggegangen war. An den Wochentagen wollte er sich entspannen, wenn er nach Hause kam. Er las die Zeitung oder saß vor dem Fernseher – da hätte Hilkka es nicht gewagt, ihn zu bitten, das Auto aus der Garage zu holen und sie in den Stall zu fahren. Ihre und Sirkkas Pferdeleidenschaft hielt der Vater sowieso für Spinnerei.
Doch als Hilkka das Fohlen sah, vergaß sie all die beschwerlichen Radfahrten zum Stall. Nie im Leben hatte sie etwas Schöneres gesehen als das zierliche kleine Wesen, das da vor der Brust der schwarzen Stute stand.
„Oh, das ist ja ein Fuchs!“ stieß Lena hervor. „Heute nacht, als Sturmvogel noch ganz naß war, dachte ich, er wäre braun. Er ist ja noch goldiger jetzt, da er trocken ist!“
Hilkka hatte nie zuvor ein neugeborenes Fohlen gesehen. Sie staunte, daß es so klein war, und war entzückt über das dünne, weiche, lockige Fohlenfell. Am liebsten hätte sie es umarmt und an sich gedrückt.
„Den kleinen Kerl werden bestimmt alle streicheln wollen“, sagte eine Stimme hinter ihr, als hätte jemand ihre Gedanken gelesen.
Es war Mick, der Pferdepfleger des Reitclubs. Er war groß und schmal, mit dunklem Haar und braunen Augen.
„Aber weder Svala noch dem Fohlen tut es gut, wenn hier zuviel Trubel ist“, fuhr er fort. „Ihr solltet einen Zettel an die Boxtür hängen, daß nicht jeder hineingehen darf. Die Pferde müssen ihre Ruhe haben.“
„Ja, das sollten wir tun“, stimmte Frau Olsson zu.
Sie hatten alle vor der Boxtür gestanden. Jetzt schob Astrid die Tür ein Stück auf, um hineinzugehen. Das Fohlen vollführte ein paar ruckartige Sprünge, stieß gegen Svalas Hinterbein und purzelte in die Streu.
„Oh, jetzt ist es hingefallen!“ rief Hilkka erschrocken.
„Ja, was würdest du denn machen, wenn du erst vergangene Nacht geboren worden wärst?“ sagte Mick lachend. „Der lernt es bald, sicher auf seinen vier Hufen zu stehen!“
Das Fohlen war schon wieder auf den Beinen. Es ging um Svalas Hinterteil herum und begann auf der anderen Seite zu saugen, so daß man es von der Stallgasse aus kaum mehr sah.
„Ich hab’ Papier und bunte Kreiden in meinem Zimmer, falls ihr gleich einen Anschlag an die Boxtür machen wollt“, sagte Mick.
„Ja, danke“, erwiderte Frau Olsson. „Lena und Hilkka, könntet ihr das übernehmen?“
Hilkka folgte Lena und Mick. Am liebsten wäre sie natürlich zu dem Fohlen hineingegangen, doch sie hatte Angst, aufdringlich zu sein, und Astrid wollte jetzt wohl selbst striegeln.
Mick wohnte in einem Zimmer über der Sattelkammer. Hilkka war noch nie dort oben gewesen. Sie sah sich neugierig um, während Mick Papier und Kreide hervorsuchte. Daß die Einrichtung einfach und sparsam war, merkte Hilkka kaum. Sie sah vor allem die schönen Bilder, die Mick von seiner eigenen Stute Saga gemalt hatte, und wünschte, sie selbst dürfte auch so nahe bei den Pferden wohnen.
Als der Anschlag fertig war, befestigte ihn Lena mit Reißnägeln an der Boxtür.
„Was steht drauf?“ fragte Astrid aus der Box.
„Zutritt verboten. Pääsy kielletty. Für alle …“, begann Lena.
„Was hast du gesagt?“
„Pääsy kielletty“, wiederholte Hilkka. „Das bedeutet Zutritt verboten auf finnisch.“
„… für alle“, fuhr Lena fort, „mit Ausnahme von Astrid und Lena Olsson, Hilkka Hynninen, Petra Granberg, Mick Eich und Karin Krantz.“
Hilkka war stolz, daß sie mit so vielen guten Reitern auf der Liste stand, sie, die noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Astrid und Lena ritten zwar erst seit knapp zwei Jahren, beteiligten sich aber schon an den leichteren Turnieren des Reitclubs. Das war in Hilkkas Augen eindrucksvoll genug. Sie war zehn Jahre alt, ein paar Monate jünger als Lena, und hoffte, daß sie beide Freundinnen werden würden. Astrid war auch sehr nett, aber sie war ja schon fünfzehn.
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