„Sirkka sagt, daß sie die Pflege von Agneta Verelius’ Pferd übernehmen darf“, erzählte sie. „Und Ann-Marie soll Charlottes Pferd versorgen.“
„Tatsächlich?“ sagte Petra. „Die Zwillinge wollen also in ihrem Stall Hilfe haben?“
„Aber Svala und Sturmvogel hab’ ich viel lieber als die anderen Pferde“, versicherte Hilkka schnell.
Und morgen abend werde ich mich ganz allein um die beiden kümmern, dachte sie. Dann fragte sie sich, wie lange es wohl dauern würde, bis man wieder auf Svala reiten konnte. Sie traute sich allerdings nicht, Petra danach zu fragen. Eines Tages würde sie auch reiten dürfen. Das hatte ihr Astrid versprochen.
„Sturmvogel ist verschwunden!“ sagte Mick und sank auf den freien Platz neben Petra, während der Schulbus wieder losfuhr. Mick war ein Jahr älter als sie, doch da er ein Schuljahr ausgesetzt hatte, besuchten sie jetzt die gleiche Klasse des Gymnasiums. Im vergangenen Herbst hatte Mick ganztags als Pferdepfleger in der Reitschule gearbeitet, doch nach den Weihnachtsferien war er wieder zur Schule gegangen und arbeitete seitdem nur noch nebenbei im Stall.
„Nein! Wieso verschwunden?“ rief Petra entsetzt.
„April, April!“ lachte Mick.
„Mein Gott, hast du mich erschreckt! Spinnst du?“
„Du, der fühlt sich wie ein König, der kleine Kerl! Neugierig ist er auch. Wenn die Leute an der Boxtür stehenbleiben, will er sofort hingehen und sich streicheln lassen. Doch wenn’s jemand ist, den Svala nicht kennt, legt sie die Ohren an und geht dazwischen.“
„Kleine Svala!“ sagte Petra zärtlich. „Sie paßt auf ihr Kind auf.“
Der Bus fuhr an den Straßenrand und blieb wieder stehen. Zwei kleine Jungen und ein dunkelhaariges, älteres Mädchen stiegen ein.
„Hallo, Rose-Marie!“ sagte Petra.
„Guten Morgen“, erwiderte das Mädchen und setzte sich hinter Petra und Mick.
„Hört mal, ich hab’ doch nach Strömsholm geschrieben, damit sie uns die Anmeldeformulare für die Grundkurse im Sommer zuschicken“, sagte Petra. „Heute hab’ ich Antwort bekommen. Die Anmeldefrist ist schon verstrichen. Blöd, hm?“
„Ach, du nimmst uns bloß auf den Arm“, sagte Rose-Marie. „Heute ist doch der erste April!“
„Nein, es stimmt“, erwiderte Petra düster und zog einen Briefumschlag aus der Mappe. „Schau’s dir selbst an, wenn du mir nicht glaubst.“
Rose-Marie las den Brief durch. „Außerdem nehmen sie nur Reiter mit eigenen Pferden, also könnte ich sowieso nicht mitkommen“, sagte sie. „Astrid auch nicht, weil Ponys nicht zugelassen sind.“
„Astrid könnte mit Svala sowieso nicht in irgendein Trainingslager gehen, jetzt, da Svala ihr Fohlen bekommen hat“, meinte Mick. „Außerdem sind die Grundkurse so beliebt, daß nur ungefähr die Hälfte der Bewerber unterkommt. Vielleicht wären wir ohnehin nicht angenommen worden, Petra.“
„Das ist ein schwacher Trost!“
„Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten“, sagte Mick bedeutungsvoll. „Wir sollten uns in der nächsten Zeit mal zusammensetzen und überlegen, was wir statt dessen unternehmen können.“
„Wir könnten uns am Samstag bei mir treffen“, schlug Petra vor. „Dann könnt ihr euch gleich unsere neugeborenen Lämmer ansehen, wenn ihr wollt. Die sind einfach süß!“
Wirklich versammelten sich die Reiterfreunde gleich nach dem Mittagessen um den großen Küchentisch des Granberghofes. Sie waren fünf: Auf der Eckbank saß Mick mit einem dicken Heft in der Hand, neben ihm Rose-Marie, die mit ihren flinken Eichhörnchenaugen neugierig auf das Heft sah. Wie Mick und Petra gehörte sie zu den erfahrensten Reitern des Clubs. Sie ritt oft auf dem Reitschulpferd Ballade. Und obwohl sie kein eigenes Pferd hatte, trainierte sie genauso leidenschaftlich wie die Privatreiter. Sie war vor kurzem sechzehn geworden. Ihr Vetter Arne saß ihr gegenüber. Er war ein blonder Junge mit blaugrauen Augen und hatte die geringste Reiterfahrung von allen, er ritt erst seit knapp einem Jahr.
Astrid saß neben ihm. Ohne sich umzudrehen, ließ sie die Hand sinken und lockte leise: „Komm her, Nalle!“
Die Krallen von Hundepfoten scharrten einen Augenblick auf dem Holzboden zwischen den Flickenteppichen. Dann schob sich eine kalte Nase in Astrids Handfläche. Sie ließ die Finger über den Hundekopf gleiten und begann Nalle hinter den Ohren zu kraulen. Der schwarze Labrador setzte sich, und sein Schwanz klopfte zufrieden auf den Boden.
„Ja“, sagte Petra, „aus Strömsholm wird also leider nichts.“ Sie saß am Tischende. Ihre ungebändigten, blonden Haare standen wirr um den Kopf, ihre graugrünen Augen blitzten.
„Wenn wir alle fünf gemeinsam irgendwohin fahren wollen“, sagte Mick, „dann müßte es ein Ort sein, wo man sein eigenes Pferd nicht mitzubringen braucht.“
„Ja, wir wollen schließlich auch mitfahren“, sagte Astrid.
„Das Reitlager ist jedenfalls am teuersten“, behauptete Mick. „Nicht die Reise,“ Er legte einen Prospekt auf den Tisch. Where to ride stand auf dem Umschlag.
„Was ist denn das?“ fragte Arne.
„Ein Verzeichnis der Reitschulen in England, die von der British Horse Society anerkannt sind“, erklärte Mick. „Mit Adressen, Angaben über die Anzahl der Pferde und der Reitlehrer, die Art des Unterrichts und so weiter.“
„Was sind das für Reitschulen?“ fragte Rose-Marie.
„Alle Sorten, von Anfänger-Reitlagern bis Waterstock.“
„Waterstock?“ Petra starrte ihn verblüfft an. „Dort trainieren doch die großen Reiter vor der Weltmeisterschaft!“
„Dann wird’s ja Zeit, daß wir Waterstock mit unserem Besuch beehren“, sagte Rose-Marie trocken.
„Ja, kann man wohl sagen“, stimmte Mick zu. „Ehrlich gesagt, ich hab’ schon ein paar Möglichkeiten herausgesucht, die für uns passen könnten. Ich habe an vier Veranstalter geschrieben und um nähere Auskunft gebeten.“
„Wir müssen auch herausfinden, was die Reise kostet“, warf Petra ein.
„Falls wir überhaupt nach England fahren“, sagte Mick. „Das war nur so ein Vorschlag von mir.“
„Ich könnte ja mal im Reisebüro fragen, was die Fähren kosten und wann sie fahren“, bot Rose-Marie an.
„England, das wäre schön!“ sagte Petra, die noch nie im Ausland gewesen war. „Aber können wir uns das alle leisten?“
„Ich könnte an den Samstagen und nach der Schule im Laden meiner Eltern arbeiten“, meinte Rose-Marie. „Das mache ich öfter, wenn ich Geld brauche.“
„Wenn es nicht zu teuer wird, kriege ich das Geld sicher von meinen Eltern“, sagte Astrid.
„Ich hab’ ein bißchen was gespart“, erklärte Arne.
„Wenn wir nach England fahren, kann ich meine Eltern davon überzeugen, daß es ein nützlicher Sprachurlaub für mich ist“, sagte Mick. „Dann zahlen sie mir die Reise bestimmt. Mein Vater wollte mich ja schon letztes Jahr in Sprachferien schicken.“
„Ich müßte versuchen, mein Taschengeld für den Herbst im voraus zu kriegen“, überlegte Petra, „denn das, was ich zusammengespart habe, reicht nicht.“
Alle fünf waren sich einig, daß es Spaß machen würde, nach England zu fahren. Sie beschlossen, sich wieder zusammenzusetzen, wenn Mick Antwort auf seine Anfragen erhalten hatte. Dann wandte sich das Gespräch den Serienwettkämpfen im Reitclub zu, an denen alle außer Arne teilnahmen.
„Wollten wir uns nicht die Lämmer ansehen?“ fragte Astrid plötzlich.
Sie gingen in den Flur hinaus. Aus dem oberen Stockwerk hörte man das Brummen des Staubsaugers. Petra wandte sich aus alter Gewohnheit nach Astrid um, als sie auf den Hofplatz traten; doch dann zögerte sie und streichelte statt dessen den Hund. Sonst half sie ihrer blinden Freundin immer, damit sie sich zurechtfand, aber heute wollte sie das lieber Arne überlassen. Ja, sie hatte recht gehabt! Arm in Arm gingen Astrid und Arne mit zur Schafweide.
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