Und seit der Teufel, gierig und heiß, das Holz aus dem anderen Land an einem anderen Fluss holt, endlos und weit, schrumpft das Feuer im Kamin des Mannes. Sein Holz verbrennt nicht zu Asche, es knausert und ächzt. Übrig bleiben drei Stück Kohle im Kamin. Sie färben die Hände des Mannes schwarz.
Der Mann befiehlt den Arbeitern, mehr Holz aus dem Wald zu holen. Ein Kreischen geht durchs Unterholz. Es wächst der Stapel an Brettern neben dem Fluss. In Reih und Glied liegen sie da, die Stämme, kahl geschlagene Tannen und Fichten. Sie haben ihren Stolz verloren und die Stuben bleiben kalt und traurig.
»Wir müssen schaffen, wie der Teufel!«, ruft der Vater über das Werksgelände. »Das sagst du nur, weil du die Frau am Zaun gesehen hast«, ruft der Sohn zurück. Und es ist wahr! Seit der Vater die Frau am Zaun gesehen hat, kann er an nichts anderes mehr denken. »Siehst du sie auch?« »Klar seh’ ich sie!«
Der Vater geht zur Bank und holt einen Stapel Geld. Neben dem Fluss wachsen Kräne und Mauern, silbern und grau. Es kreischen die Sägen, es poltern die Motoren, es feuert der Mann seine Arbeiter an. »Sie verlangen ihr Säckel, sonst heizen sie uns ein«, lehrt der Vater seinen Sohn im Büro, geschmackvoll und reich.
»Das sagst du nur, weil du die Frau am Zaun gesehen hast«, wendet der Sohn ein, als der Vater die Geldscheine zählt. Und es ist wahr! Der Vater zieht den Sohn am Kragen zur Fensterfront im Werkspalast und die Scheine fliegen wie Späne. »Zur Hölle, siehst du sie auch?«, fragt der Vater. »Ja, ja«, sagt der Sohn.
Es wachsen die Geldstapel, Weihnachten naht. Der Mann sieht die Frau am Zaun bei Tag und bei Nacht. Und er denkt, dass er mehr Holz aus dem Wald holen muss, dass er die Arbeiter und die Banken bezahlen muss und dass er die Lieferanten beliefern muss, dass er in den Stuben der Leute einheizen muss.
Der Wald steht hinter dem Fluss, still und klar. Rauchige Nebel umhüllen die Wipfel und die Zweige beugen sich dem Schnee, fügsam und leise. Es sprechen die Tiere und die Glocken läuten zur Weihnachtsmesse. Der Sohn und der Vater hüllen sich in Felle, doch als sie am Zaun vorbeikommen, bleibt der Vater stehen.
»Sie ist da«, flüstert der Vater. Er rauft sich die Haare und zerfurcht sein Gesicht. »Siehst du, wie sie mich anschaut?« »Ich sehe sie!«, haucht der Sohn. Der Vater droht mit dem Besen und stampft mit dem Fuß. Der Sohn zieht den Vater weiter zur Messe und wieder nach Hause. Er bettet ihn warm und sagt ihm gute Nacht.
Wind pfeift durch das Astloch und treibt den Mann aus dem Bett. Feuer knistert im Kamin. Es zieht ihn hinaus in die rauchige Nacht. Geradewegs geht er auf den Zaun zu. Dort steht die Frau, weht mit weißem Leinengewand. Wie der Mond schimmert ihr Gesicht, umsäumt von Haar, zart wie Federn und Flachs.
Die Frau verschwindet im Wald, schweigend und still. Da hört der Mann die Kinder des Waldes singen. Er ahnt, dass die Schatten des Unterholzes auf den Lichtungen tanzen. Der Mann öffnet die nebelschweren Pforten seines Zaunes. Als er den Wald betritt, wird er empfangen wie ein lange vermisster Gast.
In der Stube holt der Mann nicht Kohle, sondern Asche aus dem Kamin. Seine Hände bleiben weiß. Die Zeit hüllt die Kinder des Waldes in stattliche Farben. Die Bretterstapel wachsen und schwinden. Wann immer der Mann seinen Sohn fragt, ob er die Frau am Zaun sieht, lächelt der Sohn und antwortet: »Ja, Vater. Ich sehe sie.« Und es ist wahr.
Sophie Esterer
Der Schleuserkönig:Eine sagenhafte Satire
Ein Bauer aus der Gegend von Al-Qalamoun war in große Not geraten. Er hatte sich das ganze Jahr früh und spät in seinem kleinen Anwesen geplagt, mit großem Fleiß seine Felder bestellt, hatte gepflügt, gejätet und sich im Sommer im Schweiße seines Angesichts mit seinen Kindern um das Einbringen seiner Ernte bemüht . Doch Jahr für Jahr hatte Dürre geherrscht. Auch in diesem Jahr brannte die Sonne unerbittlich vom Himmel. Die Brunnen waren ausgetrocknet, die Pflanzen verkümmerten am Feld. Dann kam der Krieg. Kein Strom, kein Diesel, kein Saatgut, kein Dünger war zu kaufen. Der Bauer hatte Angst, aufs Feld zu gehen. Bewaffnete Kämpfer lauerten dort, nahmen Menschen gefangen. Der Bauer hatte Angst, in die Stadt zu gehen. Er wusste nicht, ob er wieder in sein Dorf zurückkehren dürfte. Als der Bauer dann nach der Ernte den Ertrag des Jahres überblickte, sah er mit Schrecken, dass er nicht genug hatte, um bis zur nächsten Ernte mit seiner Familie das Auskommen zu finden. In früheren Jahren hatte er regelmäßig einen Teil seiner Feldfrüchte auf dem Markt verkaufen können. Diesmal aber verblieb ihm kein Hälmlein und kein Körnlein, das er zu Geld machen konnte . »Das Unkraut deines eigenen Feldes schmeckt besser als der Weizen aus der Fremde«, sagte die Frau des Bauern. Doch seine Kinder hungerten. Seine Nachbarn verließen das Dorf. Seine Frau wurde still und bitter.
Kummervoll machte sich auch der Bauer eines Tages auf den Weg, um in einem entfernt gelegenen Land Hilfe und Arbeit zu suchen. Es war ein schwerer Gang, denn es kam ihm nicht leicht an, anderen Leuten seine Not zu klagen . Auch machte er sich nicht allzu viel Hoffnung auf den Erfolg , denn die Reise war lange und gefährlich.
Zu Fuß war der Bauer nun auf verborgenen Wegen unterwegs. Tag für Tag litt er Hunger, Durst, Hitze, Kälte. Er teilte den Pfad mit Tausenden, ja, gar Hunderttausenden anderen Bauern, die in fernen Ländern Geld zu verdienen suchten, wovon ihre Frauen die dringendsten Schulden bezahlen und die Felder bestellen sollten. So schritt er, seine hoffnungslose Lage überdenkend, durch eine finstere Schlucht am Rande eines großen Meeres. Müde und verzagt setzte er sich auf einen Felsblock am Weg und murmelte vor sich hin: »Ach, wenn mir doch irgendein höheres Wesen, eine gütige Frau oder ein freundlicher Mann in meiner unverschuldeten Not zu Hilfe käme!« Wehmütig sah er dem munteren Spiel der Eidechsen in seiner Nähe zu, hörte in der Ferne den heiteren Gesang der Vögel, da war es ihm, als vernähme er hinter seinem Rücken leises Stimmengewirr. Doch als er sich umdrehte, sah er niemanden. Aber bald vermeinte er wieder Stimmen zu hören und erhob sich, um durch die Zedernbäume zu spähen. Er sah zwar kein menschliches Wesen, aber die Laute waren jetzt deutlicher zu hören, und er zwängte sich in der Richtung des Schalles durch das Gebüsch. Das Geräusch verstärkte sich , und da sah er auf einer Lichtung Hunderte von Menschen, die dort standen und saßen und unter fröhlichen Gesten und Reden in ihren leeren Taschen wühlten und ihre Träume und Wünsche austauschten. Inmitten des Trubels stand ein wunderschöner, weiß und silbrig schimmernder Wagen. Im Wagen saß ein alter, ehrwürdig aussehender Mann in einem edlen weinroten Anzug. Es war der Schleuserkönig, der mit gnädigem Blick dem fröhlichen Treiben der Menschen zusah.
Der Bauer blieb regungslos in seinem Versteck stehen und beobachtete das bunte Treiben, das sich vor seinen Augen entfaltete. Eine Weile hatte er unbemerkt hinter seinem Busch gelauscht , als plötzlich ein kleiner Mann auf das Gebüsch zugelaufen kam. Mit pochendem Herzen trat der Bauer aus seinem Versteck. Sogleich kamen andere Männer herbei und führten den Bauern zum Schleuserkönig, der den fremden Eindringling auszufragen begann. Der Bauer klagte dem Schleuserkönig in bewegten Worten seine Not, und dieser schien von den offenen Worten des einfachen Mannes gerührt . Er ließ alle Menschen vor seinen Wagen treten und befahl ihnen, zu einem nahe gelegenen niederen Hügel voranzugehen; er selbst fuhr mit seinem glänzenden Wagen hinterdrein und lud den Bauern ein mitzukommen. Ein langer, von Kiefern und Zypressen gesäumter Weg führte zu einem Strand aus weißen Kieselsteinen. Da lag vor den Blicken des Bauern im strahlenden Lichterglanz des blauen Wassers ein Boot, das die Menschen über das große Meer zu bringen versprach.
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