»Warum?«
»Wir registrieren es nur nicht mehr.«
Pendergast entgegnete in einem Tonfall, als wollte er einen längst vergessenen Vorfall aufs Neue debattieren: »Wir registrieren es nicht?«
»Die Anzeige zeigt nur im Millivoltbereich an. Ich vermute, es ist bereits so groß, dass es nur noch im Voltbereich zu messen ist. Es ist nicht vorbei!«
»Was wollen Sie damit sagen, Sparks?«
»Ich will damit sagen, dass es bereits so weit gewachsen ist, dass wir es auf unseren Instrumenten nicht mehr sehen. Das gottverdammte Ding wächst. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden wir Gamma-Quanten messen. Und spätestens dann haben Sie Ihr Schwarzes Loch.«
»Ach, hören Sie doch auf mit Ihrer fixen Idee!« Pendergast schien Sparks die neue Theorie nicht mehr zu glauben. In diesem Augenblick trat Leighland hinzu und begrüßte seine Kollegen.
»Ist es immer noch stabil oder können wir eine Fluktuation erwarten?«, eröffnete der Berkeley-Professor das Gespräch.
Pendergast versuchte sofort, die Situation zusammenzufassen. »So wie es aussieht, gab es keine Spin-Down-Phase.«
»Eichbosonen?«
»Waren nicht zu messen.«
»Die Hawking Strahlung müsste es zerstören.«
»Sie ist theoretisch«, warf Sparks ein.
Leighland hielt dagegen: »Anhand der Gammaquanten müssten wir feststellen können, dass es sich um eine Strahlungsquelle handelt. Sie kennen doch die Vermutung: Schwarze Löcher sind gar nicht so schwarz.«
»Das stimmt«, bestätigte Pendergast. »Aber das Problem liegt an anderer Stelle. Sollte es ein Schwarzes Loch sein, dann müsste es durch die Erdgravitation in Nähe des Erdmittelpunkts gezogen werden. Das wird es offensichtlich hier nicht. Aber es kann unmöglich an Ort und Stelle verharren, dafür wäre es viel zu schwer.«
Leighland resümierte: »Wir kommen so nicht weiter. Ich brauche Unterstützung. Es gäbe da einen Kollegen in Russland. Er arbeitete noch vor gar nicht so langer Zeit am Collider in Genf. Vielleicht kann er helfen.«
»Am CERN?«, fragte Pendergast.
»Ja, Zorin Katchenko. Ein Freund von mir. Er arbeitet jetzt am MIPT in Moskau. Sein Fachgebiet ist Gravitation und schwere Elemente. Er hatte damals die wissenschaftliche Leitung am Collider in Genf. Vielleicht weiß er mit dem Ding was anzufangen.«
»Katchenko? Kenne ich nicht. Ist wohl auch schon paar Monate her, dass ich Kontakt zu der Anlage hatte.«
Leighland wählte die Nummer aus seinem Mobilfunkspeicher. »Hoffentlich geht er ran. In Moskau ist es acht Stunden später, also schon spät am Abend.«
»Ja?« antwortete jemand am anderen Ende der Leitung.
»Leighland hier. Aus Berkeley. Zorin, bist du es?«
»Hey, Jim. Lange nichts von dir gehört!« Die Begrüßung schien etwas herzlicher, als der Professor erwartet hatte. »Herzlichen Glückwunsch erstmal zu eurer Fertigstellung in Dallas. Ihr habt es ja ganz schön lange geheim gehalten.«
»Wie ich sehe, nicht gut genug. Woher weißt du es?«
»Ihr veröffentlicht es nächste Woche in Astrophysicsworld. Naja, ich kenne den Verleger sehr gut und er hat mir einen Vorabzug der nächsten Ausgabe geschickt. Ich hatte dich schon anrufen wollen deswegen.«
Leighland konterte: »In dieser Welt gibt es einfach keine Diskretion. Der absolute Verfall der guten Sitten.«
Katchenko lachte und spielte den Ball zurück: »Ja, und natürlich lauft ihr uns wieder den Rang ab. Ihr seid mit einer Leistung von vierzig Teraelektronenvolt doppelt so leistungsstark wie wir damals am CERN. Also sprich nicht vom Verfall der guten Sitten, sprich lieber von der Inflation der Standards.«
Der Professor lachte in sich hinein.
»Okay, aber darum rufe ich nicht an. Wir haben ein Problem. Hattest du in deinen Versuchen jemals eine Alphastabilität von längerer Dauer?«
»Damals in Genf? Nein, hatten wir nicht. Aber in Hengshui. Die Anlage ist fünfzig Teraelektronenvolt stark.«
Leighland verschlug es fast die Sprache. »Wieso fünfzig? Veröffentlicht und angegeben wurde er mit dreißig, soweit ich weiß. War das gelogen?«
»Tja, der Verfall der guten Sitten!«, witzelte Katchenko.
»Verfall der guten Sitten? Zorin, sprechen wir lieber von der Inflation der Standards!«
Beide lachten.
»Du meinst, die hatten eine Alphastabilität von längerer Dauer?«
»Ja, denke schon«, mutmaßte der Russe.
»Gibt es Unterlagen über die Ergebnisse?
»Ich habe sie hier und werte sie gerade aus. Man hatte mich um eine unabhängige Meinung gebeten.«
»Könntest du sie mir zur Verfügung stellen?«
»Sicher. Ich kann sie dir nach Berkeley faxen.«
»Nein, nicht nach Berkeley.« Der Professor gab Katchenko die Faxnunmmer des Colliders.
»Am besten gleich hierher nach Dallas. Zorin, ich habe da ein Problem, über das ich mit dir sprechen wollte. Was denkst du über die Gefahr eines Braneworld Black Hole?«
»Du meinst wegen der Alphastabilität? Wenn du mich fragst, nein, zumindest nicht damals in Genf. Wir hatten 2010 und 2012 mehrere Durchläufe, da fanden sich kein Black Hole und auch sonst keine Effekte. Es könnte natürlich sein, wenn die Anlage groß genug ist. Wenn Teilchen bei höchsten Energien zusammenprallen, dann könnte es entstehen. Aber wenn es tatsächlich so sein sollte, dass mit größeren Energien … Das wäre ja phänomenal!«
»Was würdest du zu einer statischen Lokalisierung sagen? Könnte sie für längere Zeit auf einer Stelle verharren?«
»Die Theorien dazu sind gegensätzlich. Ich würde sagen, eher nicht. Aber das ist alles müßig.«
»Mir ist klar, je kleiner sie sind, desto schneller zerstrahlen sie. Eigentlich dürften sie gar nicht existieren.«
»Das schon«, entgegnete Katchenko. »Aber wir kennen nicht die Schwelle der Größenordnung, bis wann sie stabil bleiben.«
»Und was denkst du über die Risiken?«
Die Antwort des Russen kam prompt und signalisierte Überzeugung. »Ich sehe keine Gefahr. Wenn überhaupt, bleibt es nur kurz stabil. Wie gesagt, eigentlich müsste es durch die abgebende Strahlung zerfallen.«
»Glaubst du, wir können es uns mal aus der Nähe ansehen? Ich meine in der Anlage.«
»Wenn es das ist, wofür du es hältst, ist es nicht mal von mikroskopischer Größe. Es kann nicht gefährlich sein.«
»Was macht dich so sicher?« Leighland war noch immer skeptisch.
Katchenko legte einen Hauch besserwisserischen Spotts in seine Stimme: »In Los Alamos 1945 gab es bei der ersten Bombe auch Rufe von wegen Weltvernichtung. Du erinnerst dich, oder? Alle unkten, wenn erst einmal eine nukleare Kettenreaktion in Gang käme, wäre es das Ende der Welt.«
»Das stimmt«, erinnerte sich Leighland. »Soweit ich weiß, sprachen sie von totaler Verwüstung des ganzen Planeten.«
Katchenko lachte. »Alles Quatsch. Die wissen doch sowieso immer alles besser. Was gab es schließlich? Einen Entenfurz in der Wüste New Mexicos.«
»Tja, nur dass ein ähnlicher Entenfurz kurz danach in Japan über zweihunderttausend Menschen das Leben gekostet hat.«
***
Dallas, 20. Juli, drei Tage nach der Alphastabilität
Brattfield Jones fuchtelte mit einem Stapel Papier vor Pendergast in der Luft herum. Sein Gesicht war puterrot angelaufen.
»Doktor, es ist unglaublich! Sehen Sie sich das an!«
Pendergast, noch in seine Aufzeichnungen vertieft, nahm vom Lamentieren seines Kollegen kaum Notiz. Mit ausladender Handbewegung gab er zu verstehen, nicht gestört werden zu wollen.
»Was denn, was denn, Jones?«
Brattfield Jones gluckste vor Aufregung. »Wir sind bestohlen worden, bestohlen worden«, wiederholte sich der Physiker zweimal. »Sehen Sie doch!«
Jetzt wandte sich der Collider Chef doch den Unterlagen zu. Die Papiere dicht vor Augen überflog er die Dokumente.
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