Moon war nie auf Tournee gegangen, folglich kann er auch nur aufgrund seines Rufs bekannt gewesen sein. F. N. S. Creek schrieb in seiner History of the Corinthian Football Club aus dem Jahr 1932: „Das Niveau des Torwartspiels [in den 1880er Jahren] war allgemein schlecht, insbesondere auf nassem Rasen, wo Schüsse aus der Distanz regelmäßig ‚den Torwarten durch die Finger glitten’. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war W. R. Moon. […] Moon war ursprünglich ein Verteidiger, doch als die Casuals einmal gegen Cambridge spielten, fehlte ihnen ein Torwart, und Moon hütete sein Tor so gut, dass Cambridge nicht traf und Englands zukünftiger Torwart entdeckt wurde.“
Jack Robinson selbst verfasste einen längeren Artikel für Gibsons und Pickfords vierbändiges Geschichtswerk Association Football and the Men who Made It von 1905. Darin legte er die aus seiner Sicht wichtigsten Eigenschaften des Torhüters dar. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erschienen noch einige weitere Werke zur Fußballtheorie – ein Zeichen dafür, dass der Sport inzwischen ernst genommen wurde.
Wie viele andere Abhandlungen über den Torhüter begann auch Robinson mit einer Erörterung der Körpergröße:
„Man sagt, dass ein gutes großes Pferd besser sei als ein gutes kleines Pferd. Viele solcher Redeweisen sind bloß zur Hälfte wahr. Und die gerade genannte trifft auf den Fußball nicht zu. Mir sind in der heutigen Zeit einige gute große Tormänner bekannt, welche aus meiner Sicht dem guten kleinen Tormann von Middlesbrough, [Tim] Williamson, die Hand reichen müssten. Ungeachtet dessen bringt die alte lateinische Wendung in medio stat virtus, „in der Mitte liegt die Tugend“ , meine Ansichten über die Größe des guten Torhüters am besten auf den Punkt. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass der kleine Mann sich in einem großen Nachteil befindet, sofern er es mit hohen Schüssen zu tun bekommt. Auf der anderen Seite wird der über die Maßen große Mann erhebliche Schwierigkeiten haben, die flach über die Grasnarbe zischenden Bälle aufhalten zu können. Ich kenne einen Tormann, der hervorragend Schüsse jeder Art in Höhe oberhalb seines Knie pariert. Dennoch hat er nicht weniger als fünf Tore in einem Spiele kassiert, weil die Stürmer des Gegners ‚Halte ihn flach’ zu ihrem Motto machten. Die ideale Größe für einen Torwart liegt nach meiner Ansicht zwischen 1,75 Meter und 1,80 Meter.“
Die Debatte hat bis heute Bedeutung, auch wenn die vermeintliche Idealgröße eines Torhüters gestiegen ist. „Man muss außerdem robust sein“, fuhr Robinson fort. „Aus nur allzu schmerzhafter eigener Erfahrung weiß ich, dass der Mann im Tor aus Stahl und Guttapercha geformt sein muss. Man mag auf anderen Positionen auf dem Feld auch als Schwächling jeder Beschädigung entfliehen können, im Tor aber wartet man nur so darauf und sieht ihr zu jeder Zeit entgegen – und man erleidet sie nicht selten auch.“
Robinson führt noch weitere Attribute auf – gute Augen, gute und rasche Entscheidungsfähigkeit, „Mut und Schneid“ – und kommt schließlich zur Intuition, die er sehr ausführlich erläutert.
„Auch wenn du nicht im eigentlichen Sinn verteidigst, solltest du nicht herumlaufen wie ein Bär mit schmerzenden Füßen. Betrachte deine Gegner und studiere sie. Dir werden die Eigenarten auffallen, mit welchen die Linksaußen oder die Rechtsaußen spielen, die Taktiken, welche sie zur Überwindung deiner Läufer anwenden, an welchen Mann der Mittelstürmer meistens abgibt, und die zig Geschehnisse, welche im Spiel auftreten können. Dein Urteilsvermögen fügt diese Kleinigkeiten zusammen und formt daraus die Erkenntnis, was sich aus verschiedenen Eventualitäten ergeben könnte. Doch all dies ist nur die unbewusste Vorstufe der Intuition, und Intuition wird deine Rettung in der Not sein, wenn ein Abwägen auf langsamen Füßen daherkäme. Man liest über Torhüter, welche die gegnerischen Stürmer hypnotisieren; tatsächlich hat man auch mir selbst einen gewissen hypnotischen Einfluss zugeschrieben. Dem Stürmer wird die Schuld gegeben, sollte er wie durch einen Zauber direkt in die Hände des Torwarts schießen. Führe ein solches Resultat nicht auf Hypnose zurück. Es war lediglich das intuitive Wissen auf Seiten des Torhüters. Er wusste, dass der Ball auf einer bestimmten Bahn kommen würde, und er stand dort, um ihn zu empfangen.“
Auch wenn Robinson sich mit Verachtung über angebliche „Hypnose“ äußert, war er doch abergläubisch. Er bestand darauf, dass man auf die Rückseite jedes Torgebälks einen Nagel einschlug, damit er seine Taschenuhr daran aufhängen konnte.
Robinsons Empfehlungen beinhalteten im Wesentlichen die Praxis der Antizipation, die Harry Rennie, der für den FC Morton und die schottische Nationalmannschaft das Tor hütete, bereits einige Jahre vor Robinson entwickelt hatte. Sie sind in einem breiteren Kontext zu sehen: Ursprünglich hatte der Torhüter ja als Teil der Mannschaft gespielt, als einer der Hinterleute, dann wurde er von ihnen getrennt. Robinson war jedoch der Meinung, dass der Torhüter sich nicht als abgeschnitten vom übrigen Spiel verstehen durfte. Er sollte nicht einfach abseits vom Geschehen herumlungern und nur dann reagieren, wenn der Ball in seine Richtung kam.
Robinson empfahl zudem, sich gut zu ernähren. „Iss ordentlich, aber sei niemals gefräßig“, schrieb er. „Verschwende weder Zeit noch Geld in den zahlreichen kleinen Restaurants, die in unseren Städten florieren, zum Ruin der guten Verdauung von vielen. Süßigkeiten, Eiscremes, Gebäck und derlei Kehricht sind keine natürliche Nahrung, und ihr Verzehr ist verbunden mit einer Verstopfung der Muskeln und der Erzeugung von Kurzatmigkeit.“ Andererseits liebte er Milchreis über alles und pflegte den Grundsatz „Kein Milchreis, keine Punkte“, sobald ihm jemand den Rat gab, vor dem Spiel auf sein Lieblingsessen zu verzichten. Beim einzigen Mal, als er es doch tat, bekam er gegen Sunderland elf Stück eingeschenkt.
Für Robinson mochte Mäßigung ein zentraler Punkt gewesen sein, doch es war das Letzte, was man mit dem berühmtesten Torhüter jener Zeit verbunden hätte, mit William „Fatty“ Foulke. Er war ein Mann, der aufgrund seiner Stämmigkeit bis heute eine Legende ist. „Ein Torhüter“, so schrieb Woolwich Arsenals Keeper James Ashcroft, „darf nicht zu viel Fleisch an sich tragen. Man mag nun den großen Foulke als Einwand gegen meine Behauptung vorbringen. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass der alte Recke von Sheffield United ein Fall für sich ist. Man könnte 1.000 Männer von Foulkes Fülle nehmen und würde doch nicht einen finden, der sich auch nur einen Augenblick lang mit ihm vergleichen ließe, was Beweglichkeit und schnelles Handeln betrifft.“
Ganz so einzigartig war Foulke aber gar nicht. Er hatte einen Vorgänger in der (mächtigen) Gestalt Mordecai Sherwins, im Sommer Wicket-Keeper beim Nottinghamshire County Cricket Club und im Winter Torhüter bei Notts County. Sherwin war 1,75 Meter groß und wog etwas mehr als zwei Zentner. Trotzdem beschrieb James Catton ihn in der Athletic News als „sehr behände, ein ebenso schneller Torhüter wie Wicket-Keeper“. Rechtsaußen Joseph Lofthouse von den Blackburn Rovers – obwohl „robust und gewandt“ – wollte es Sherwin mal in einem Spiel so richtig zeigen: „Er rannte gegen ihn und prallte einfach ab. Sherwin sagte: ‚Junger Mann, du wirst dir selbst weh tun, wenn du das noch mal versuchst.’ Lofthouse ließ sich davon nicht abschrecken und ging erneut zum Angriff über. Doch Sherwin wich mit der Schnelligkeit eines Tänzers einen Schritt zur Seite, und der Kamerad aus Lancashire musste erfahren, wie hart der Torpfosten und wie spitz dessen Kanten waren.“
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