Rico seufzte. »Also gut, ich hätte gern vier Corn Dogs und …« Er zögerte, weil ihm plötzlich ein blinkendes Werbeschild für Shiner Bock ins Auge fiel. »Welche Biersorten haben Sie da?«
»Was schwebt Ihnen denn vor? Wir haben viele … Miller, Coors, Budweiser und eben Shiner Bock.«
Rico drehte sich nach den Kühlregalen um und holte tief Luft. Er hatte eigentlich mit dem Trinken aufgehört, um sich zu beweisen, dass er sein Leben selbst bestimmte. Dieses Ziel war nun erreicht, und er wusste, dass er es weiterhin konnte. Nach seinem Besuch bei Pop hatte er gedacht, es ein wenig locker anzugehen und die einfachen Freuden wieder zu genießen. Andererseits war es womöglich noch zu früh dazu, und er wäre besser damit beraten, noch eine Weile verstreichen zu lassen, bis er wieder Alkohol anrührte. »Wissen Sie was? Belassen wir es doch lieber bei Limonade. Außerdem ziehen Sie mir bitte drei Gallonen Normalbenzin ab. Mehr schluckt meine Harley nämlich nicht.«
»Kein Problem, Mister.« Er begann, mit seinen schmutzigen Fingern auf einem abgenutzten Taschenrechner aus Plastik herumzutippen, dem ungefähr genauso viele Tasten fehlten wie dem Mann Zähne. »Das macht dann einundzwanzig Dollar und dreißig Cent.«
»Sieht so aus, als bräuchten sie einen neuen Taschenrechner.« Rico schaute hoch und las das Namensschild des Angestellten. »Kevin.«
»Na, aber hallo. Woher kennen Sie denn meinen Namen?«
Rico tippte sich mit einem Zeigefinger an die Stirn und kniff ein Auge zu.
Kassen-Kevin schaute ihn an wie jemanden, der übers Wasser wandeln konnte.
Rico gab ihm den Betrag und wartete dann auf sein Wechselgeld. »Wissen Sie zufällig, ob das Motel so spät am Abend noch Gäste aufnimmt? Ich glaube nämlich, für heute reicht es mir mit der Fahrerei.«
»Klar tut es das. Miss Tammy besetzt die Rezeption auch nachts. Sie ist drüben in ihrem Büro. Bei ihr können Sie einchecken und so weiter.«
»Sind die Preise denn annehmbar?«
»Also, das weiß ich nicht, Mister. Ist ja nicht so, dass ich selbst dort schlafen würde.« Daraufhin bekam Kevin einen heftigen Hustenanfall.
Er brauchte ein paar Minuten, um sich wieder zu beruhigen, dann machte er die Scheine klein und gab ihm den Rest zurück, ohne noch mal abzuzählen. »Vergessen Sie Ihre Limo nicht. Sie können Säule eins benutzen.«
Rico nickte wieder. Nachdem er eine Dose Sprite und sein Sodbrennen am Stiel mitgenommen hatte, ging er hinaus.
»Was macht denn der gute alte Kevin? Er schaltet das falsche Ventil für mich frei«, maulte er leise. Er musste das Motorrad also zur benachbarten Zapfsäule zurückschieben.
In der Ferne gurrte ein Nachtvogel, während er Benzin in seine durstige Maschine pumpte. Der Vollmond stand niedrig am Horizont, wo der Highway verschwand. Rico fragte sich, wohin er ihn wohl führen würde. Bestimmt weit weg … an einen Ort mit besseren Aussichten als jenen, die das zahnlose, Taschenrechner kaputtmachende Genie Kevin hatte.
Und außerdem weit weg von dem Husten.
***
Vor dem Western Winds Motel hing keine blinkende Reklame, das erschöpfte Reisende dazu einlud, für die Nacht dort unterzukommen. Stattdessen verließ man sich hier auf ein klappriges Lackschild, das von bunten Flutscheinwerfern angestrahlt wurde, um Gäste anzulocken. Kein Schwimmbecken für die Kinder, auf einem solchen Niveau rangierte der Betrieb einfach nicht.
An der Bürotür vorn klebte in großen, gelben Buchstaben der Hinweis »Zimmer frei«. Als Rico öffnete, wehten ihm kalter Zigarettenrauch und der Geruch von Formaldehyd der Pressspanplatten entgegen. Das Innere sah wie aus der Zeit gefallen … nach den Fünfzigerjahren aus. Der Teppich war abgetreten, und falls er schon zusammen mit der ursprünglichen Einrichtung hier gelegen hatte, wäre es auch nicht verwunderlich gewesen. Das dürfte wohl einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde für das mieseste Motel in ganz Texas wert sein , dachte Rico. Wäre er mit einem Zelt gereist, hätte er garantiert lieber darin geschlafen als hier. Bloß wären ihm dann weder eine heiße Dusche noch ein warmes Bett beschieden gewesen. Gott, hoffentlich waren die Betten wenigstens weich und sauber …
Was Kevin in der Tankstelle als Büro bezeichnet hatte, war in Wirklichkeit ein Raum mit einer Grundfläche von lediglich vier mal sechs Fuß. Dieser erinnerte Rico an das Badezimmer in seinem Elternhaus, als er ein kleiner Junge gewesen war, nur ohne die Toilette und das Waschbecken. Die Frau hinter dem Rezeptionstisch bemüßigte sich nicht einmal, ihren Kopf zu heben, als er eintrat. Es musste sich offenbar um die ominöse Miss Tammy handeln, die Kevin erwähnt hatte. Sie war anscheinend zu sehr in ihren Papierkram vertieft, um zu bemerken, dass er hereingekommen war.
»Äh, entschuldigen Sie bitte, Ma'am.« Rico bemühte extra seine sanfte und höfliche Stimme. »Miss Tammy?«
»Die bin ich, wollen Sie ein Zimmer?« Sie machte keinerlei Anstalten, ihre Schreiberei zu unterbrechen.
»Ja, Ma'am. Ich würde nur heute Nacht bleiben. Wie viel kostet ein Zimmer denn?«
Nun hob sie ihren Kopf und warf einen Blick in seine Richtung. Gleich unter ihrem viel zu langen, grau melierten Haar stach an der linken Wange ein fieser, schwarzer Leberfleck hervor. »Fünfundzwanzig Dollar im Voraus. Falls Sie mit Karte zahlen wollen, wird es teurer.«
Fünfundzwanzig Dollar war spottbillig, selbst für so ein Drecksloch. Er hoffte, sie habe ihn nicht missverstanden und ging in der Annahme, er wolle pro Stunde Aufenthalt zahlen; dieser Ort hätte sich klaglos auch als Lustgrotte für Nutten angeboten. »Was verlangen Sie denn für Ihr bestes Zimmer? Eins mit einem netten sauberen Bett – je größer, desto besser?«
»Fünfundzwanzig Dollar, habe ich doch gerade gesagt. Alle Zimmer kosten das Gleiche. Bleiben Sie jetzt hier oder nicht?«
Rico zögerte.
»Wir haben auch Kabelfernsehen … aber ohne Pornosender.«
»Und das Bett …«
»… ist sauber. Du meine Güte, Mister. Putzmittel und Wasser sind nicht so teuer. Die Bude ist vielleicht alt, aber wir halten sie in Ordnung.«
»Wenn das so ist …« Rico zückte schnell seine Brieftasche und suchte einen Zwanziger sowie einen Fünfer heraus. »… bleibe ich gern.«
»Das freut mich, zu hören.« Miss Tammy legte ihren Stift aus der Hand und öffnete eine Schublade. Sie begann, darin herumzustöbern. »Also, ich weiß genau, dass ich die Schlüssel hier hineingelegt habe, letzten Monat erst, als wir die Zimmer geputzt haben.«
»Oh, Sie haben seit letztem Monat nicht mehr geputzt?«
»Das ist nicht so, wie Sie jetzt denken. Wir reinigen alle Zimmer einmal im Monat gründlich, und das, wo Sie unterkommen werden, hat seit dem letzten Reinemachen halt niemand mehr gemietet.«
Rico schaute sie entnervt an. Worauf habe ich mich hier nur eingelassen? , fragte er sich. Weil sie gerade fieberhaft die Zimmerschlüssel suchte, war Miss Tammy zu sehr abgelenkt, um zu erkennen, wie er mit sich haderte. Er schlug ein wenig Zeit tot, indem er sich genauer umschaute. Wegen der großen Bilder an den Wänden wirkte der kleine Raum noch enger, als er sowieso schon war. Ein Anschlag weckte jedoch sein Interesse, eine Karte des Staates Texas in einem lasierten Holzrahmen. Eine rote Reißzwecke mit dem Hinweis »Sie befinden sich hier«, geschrieben mit wasserfestem Stift, verwies auf den Standort des Motels.
Gut, wenigstens das weiß ich jetzt , dachte Rico, während er darauf wartete, dass Miss Tammy die Schlüssel suchte, die er benötigte. Das Western Winds Motel lag südlich von Huntsville und kurz vor Brooksville. Die Stadt, die Mr. Hunts' Namen trug, war eine blühende Metropole im Vergleich zu jener von Mr. Brooks.
Kleine Gegenstände aus Metall klirrten in der Schublade, während die alte Frau immer noch weitersuchte.
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