„Bravo, mein Fräulein, an gesundem Menschenverstand fehlt es Ihnen wahrlich nicht“, entgegnete Mylius, ohne den heimlichen Hohn in Ulrikes Worten zu spüren. „Alte Erfahrung: mit einem Menschen, der etwas von der Welt gesehn hat, lässt sich reden. Ich sage Ihnen, der Junge hat den Teufel im Leibe; was ist zu tun? Den Teufel hat man bekanntlich schon in alten Zeiten durch Prügel ausgetrieben. Man muss das Leck verstopfen, will man das Schiff vorm Sinken bewahren.“
„Ist wahr,“ nickte Ulrike, und der bescheidene Ton wurde geradezu unterwürfig; „bei Ihnen kann man lernen. Immerhin, das Malheur war geschehen, der angerichtete Schaden musste gutgemacht werden. Der Stock, so nützliche Dienste er geleistet haben mag, ist noch kein Zahlmeister, und die Ehrenreichs brauchten ihr Geld. Frau Christine hatte das Geld nicht, also hab ich mich zur Hilfe erboten und es vorgestreckt. Seien Sie nur ganz getrost, ich werde Sie nicht darum mahnen, ich weiss, dass es Ihnen schwer fiele, einen solchen Betrag unvorbereitet aus dem Geschäft zu nehmen; ich kenne das, habe ja selbst in den engsten Verhältnissen gelebt, man ist nicht alle Tage bei Kasse, Schulden da und dort, erst schindet man sich um den Taler, dann fliegen zwanzig zum Schornstein hinaus. Das verfluchte Geld; wie edelmütig könnte der Mensch sein, wäre nicht das Geld. Zu danken haben Sie mir nicht, ich tu es aus Freundschaft, Zinsen verlang ich keine. Sie unterschreiben einen Zettel: ich schulde an Ulrike Woytich oder deren Rechtsnachfolger achtundvierzig Gulden fünfzig Kreuzer, die ich zurückerstatten werde, sobald ich in der Lage bin. Sie können auch in Raten zahlen; wie Sie wünschen, wie es Ihnen am besten passt. Nur möchte ich bitten, dass Sie über unsere Verhandlung zu Hause schweigen. Es ist Ihnen doch nicht lästig, dass ich so offen mit Ihnen rede?“
Die Frage klang ausserordentlich treuherzig, und Ulrike griff gleich nach einem Stück Papier und dem Federhalter, um den Schuldschein auszufertigen. Sie wusste, dass es nicht dazu kommen würde. Mylius schob den Stummel vom rechten Mundwinkel in den linken und biss mit den kleinen gelben Zähnen grimmig in das zerkaute Ende. Ulrike tat, als bemerke sie es nicht. „Es ist eben schwer für einen Mann,“ sagte sie elegisch, wie zu sich selbst; „mein Gott, in heutiger Zeit. Zahlreiche Familie, Ladenmiete, Wohnungsmiete, Steuern, Gehälter, ein gewisser Schein von Wohlhabenheit und Kreditfähigkeit muss aufrechterhalten werden; ein paar hundert Gulden will man zurücklegen für Krankheitsfälle oder Extratouren; das alles aufzubringen, ist keine Kleinigkeit. Wenn man ein junger Mensch ist, na ja, da verträgt man einen Puff, da schlüpft man so mit durch, aber in gesetzten Jahren und mit solcher Last und soviel Existenzen auf dem Buckel, da ist es bitter.“ Sie seufzte. „Könnt ich Ihnen nur helfen!“ brach sie aus und schlug auf das Pult, „wär ich doch kein Frauenzimmer!“
Mylius erhob sich. Er schritt eine Weile zwischen dem eisernen Ofen und dem Geldschrank hin und her, und Ulrike beobachtete ihn neugierig. Plötzlich blieb er stehen, wandte sich zu ihr und sagte lakonisch: „So ein einfältiges Geschwätz hab ich all meine Tage nicht gehört.“ Er kicherte.
Ulrike machte ein erstauntes und beleidigtes Gesicht.
„Kommen Sie mal mit mir,“ fuhr er fort und winkte ihr mit dem Finger; „ich will Ihnen mal was zeigen.“ Er ging voran und führte sie quer durch das vordere Gewölbe, in dem die Lichter brannten, in einen finstern Raum, der seitlich davon lag. Er zündete zwei Gasflammen an und sagte in gönnerhaftem und humoristischem Ton: „Jetzt passen Sie auf, Sie unschuldsvolle Seele. Sehen Sie den Schrank da?“ Er deutete auf ein riesiges wurmstichiges Möbelstück, das schwarz neben der Tür aufragte.
„Ja; ein alter Kasten, gewiss,“ antwortete Ulrike harmlos; „auf dem Trödelmarkt gibts viele von der Art. Was ists mit ihm?“
Mylius lachte. „Es ist ein Augsburger Schrank aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, Herzchen. Ich habe ihn auf einer Auktion in Stuttgart um achtzehntausend Mark erstanden. Er ist mehr als das doppelte wert. Die geschnitzten Engel sind allein eine Kostbarkeit.“
„Achtzehntausend Mark?“ rief Ulrike mit dem Ausdruck vollkommensten Unglaubens; „was soll denn an dem verräucherten Brettergestell achtzehntausend Mark kosten? Mir können Sie leicht einen Bären aufbinden. Um das Geld kann man ja das ganze Zeug, das da herumsteht, beim Juden erhandeln.“
Mylius lachte bloss. Er geriet nun in eine wunderliche Geschäftigkeit. Er schleppte einen Stuhl mit geschnitztem Wappen herbei und sagte, der sei aus dem Palazzo Strozzi in Florenz und für Sammler eine begehrenswerte Rarität. Wenn sie ihm fünftausend Gulden dafür biete, sei er ihm noch nicht feil. Er führte sie zu einem Reitsattel, der eine verschossene Samtdecke und Verzierungen aus Elfenbein hatte und aus der Zeit der Maurenherrschaft in Granada stammte; dafür habe er siebentausend Gulden auf den Tisch gelegt. Er zeigte ihr eine Bronzefigur von Riccio, Kopf des schlangenhaarigen Neides, und meinte, wer die besitze, könne sich ins Fäustchen lachen; er wies ihr Medaillen von Pisanello und Miniaturen von Füger und Isabey und sagte, die repräsentierten, wie sie sie da sehe, ein ganz stattliches bürgerliches Vermögen. Während sie noch in Betrachtung stand, kam er mit einem Becher, bei dessen Anblick sie stutzte, denn er war aus purem Gold und Mylius sagte, es sei ein Gefäss von Jamnitzer, einem berühmten Meister der deutschen Renaissance, und sei nicht für fünfzigtausend Gulden zu haben. Dann zog er sie am Ärmel zu einer Vitrine; in dieser befand sich etwas Merkwürdiges, ein winziges Bett mit entzückend geschnitzten Elfenbeinengeln und einem Baldachin, von dem ihr Mylius mitteilte, er sei aus echtem Genueser Samt, einem der seltensten Stoffe der Welt; das Ganze sei das Puppenbett einer burgundischen Prinzessin aus der Zeit Karls des Kühnen, ein Museumsstück von unermesslichem Wert, das er durch Zufall an sich gebracht.
Ulrikes Augen bekamen einen gierigen Glanz, den sie zu verbergen bestrebt war. Allmählich war ihr die Lachlust vergangen. Das Puppenbett der burgundischen Prinzessin gefiel ihr. Sie konnte den Blick nicht losreissen. Sie prägte sich die Formen und Figuren ein. Es erwachte ein neuer Instinkt in ihrer Brust, ein neues, aus Aberglauben, Verlangen, Scheu und Wertahnung gemischtes Gefühl für die schmückenden Dinge, die leblosen, mit Vergangenheit beladenen, an Vergangenheit gebundenen Dinge, von denen ein jedes einzig in seiner Art war, jedes den Wunsch der Wissenden ausmachte, jedes ein Stück Reichtum in sich trug und infolgedessen Schutz und Sicherheit verschaffte gegen die Not und gegen die Gewöhnlichkeit. Das Puppenbett der burgundischen Prinzessin mit den zierlichen Säulchen und dem Samtbaldachin wurde ihr zum lockenden Bild einer unbekannten Welt, und beinahe hätte sie die Hände ausgestreckt, um es zu nehmen und zu behalten, so unabweisbar hatte sie die Empfindung: das ist für mich bestimmt, das gehört mir und gehört zu mir.
Sie hütete sich aber, hiervon etwas merken zu lassen, auch lenkte Mylius’ Gebaren ihre Aufmerksamkeit völlig auf seine Person. Er kramte in Truhen, Fächern, Schubladen, schleppte Dutzende von Gegenständen herbei, erklärte, deutete, bewunderte, forderte sie auf zu bewundern, nannte Preise, berichtete, wo er dies entdeckt habe, welche Geschichte hinter jenem lag, wer es veräussert habe, wer es zu erwerben trachte, nannte Namen von Herzogen und Herzoginnen, Fürsten und Fürstinnen, Grafen, Baronen, grossen Herren aller Länder, zitierte Gespräche mit ihnen, schilderte die Mühen und Listen, deren es bedurft, um eine Schale, ein Service, einen alten Schreibtisch, eine Schmiedearbeit, ein Gemälde in seinen Besitz zu bringen. Er war verwandelt, ein Mensch von anderer Kategorie als der, den sie in ihm zu sehen gewohnt war; seine Miene hatte etwas still Verliebtes und Gehobenes wie bei einem Trophäenträger; das allein schon hätte Ulrike Vorstellung und Begriff von dem Wert der aufgehäuften Altertümer gegeben, auch wenn sie minder weltläufig und unbelehrter gewesen wäre, als es ihr passte, sich zu stellen. Sein Lächeln war gutmütig-spöttisch, als wollte er sagen: du hast dich getäuscht, Armselige, bekenne nun deine traurige Ignoranz. Er hatte gleitende, geschmeidige, streichelnde, sachtreue Bewegungen, die Hände umfassten das einzelne mit stolzer Sorgfalt. Da war ein Ding, das einer Königin zu eigen gewesen war; da eines, an dem das Schicksal eines grossen Geschlechtes hing; da eines, das von der Verarmung eines ehemals glänzenden Hauses zeugte; da eines von unbekannter Herkunft, bedeutend und anziehend nur für Kenner. Mylius betastete sie, schätzte sie ab, klammerte sich mit den Blicken an sie, kannte ihre verborgenen Merkmale, ihre geheimen Fehler, wusste um ihre Einzigkeit oder ob der Wert verringert war durch Duplikate, Pendants und Nachahmungen, hielt Zwiegespräche mit ihnen, als seien sie lebendige oder schlummernde Geschöpfe, warf eine Anekdote hin, die an diesem haftete, ein historisches Ereignis, das jenes erhöhte und beleuchtete, einen langwierigen Prozess, der um ein drittes geführt worden war. Da war eine mit Halbedelsteinen besetzte Kette aus erstaunlicher Silberfiligranarbeit; wie er sie wog; wie er sie bedächtig auf die Stoffunterlage breitete; er sagte, sie sei einst Eigentum der schönen Fürstin Sapieha gewesen; als wenn er sie um den Hals der Fürstin legte, war die Gebärde, als wenn mit der Kette auch die Fürstin selbst sein geworden wäre und er Macht hätte über ihre abgeschiedene Seele oder sie auferstehen lassen könnte aus dem Grab.
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