Die butterweiche, einfühlsame Ansprache vom kleinen Gemüse hatte leider keinen Erfolg außer dem, dass sich der Nenad zu Wort meldete und dem kleinen Gemüse und dem Buntspecht „eine Schultaschen-Kontrolle und Leibesvisitation“ vorschlug und die meisten 2a-Kinder ganz begeistert „Genau, das machen wir!“ riefen. Doch das kleine Gemüse lehnte entschieden ab. Das, meinte sie, übersteigt die Kompetenzen von Lehrpersonen bei weitem, und zudem sind Gymnasiallehrer wahrlich keine Warenhaus-Detektive, und das ist gut so!
Der Buntspecht gab ihr recht und dem hoffentlich reuigen, aber sichtlich mutlosen Dieb den guten Ratschlag, das Herz in ein Kuvert zu tun und per Post an die Schule oder an die Adresse der Lea zu schicken. Und er garantiere, dass das Kuvert nicht auf Fingerabdrücke untersucht werden wird!
Und das kleine Gemüse fügte dran: „Wir wollen doch bis auf Weiteres an das Gute im Menschen glauben!“
„Amen und Psalmenende“, murmelte der Pauli ins Ratschen der Schulglocke rein, die für heute das vorzeitige Ende des Unterrichts kundtat, weil die letzten zwei Schulstunden wegen Erkrankung der Zeichenlehrerin ausfielen.
Das kleine Gemüse und der Buntspecht eilten aus der Klasse, und als sie zur Tür draußen waren, rief der Nenad: „Dann machen wir es eben in Eigenregie, dazu brauchen wir die Lehrer doch nicht!“
Der Pauli verstaute sein Geo-Heft und sein Schreibzeug im Rucksack, stand auf und sagte zum Nenad: „Ohne mich, weil das eine Schnapsidee ist.“
„Wieso ist das eine Schnapsidee?“ Der Nenad, fast einen Kopf größer als der Pauli und doppelt so breit, baute sich vor dem Pauli auf. Und schaute ihn argwöhnisch an. Ganz so, als habe er gerade den Herz-Dieb gefasst.
„Taschenkontrolle wäre ja noch hinzukriegen“, erklärte ihm der Pauli, „aber die Leibesvisitation kannst nie im Leben hinkriegen. Sollen wir uns alle vielleicht splitternackt ausziehen? Weil so ein kleines Herz passt nämlich in die kleinste Unterhose!“
In der 2a hob heftiges Diskutieren an. Die einen waren gegen das Ablegen aller Klamotten, die anderen fanden nichts dabei, sich komplett auszuziehen.
„Mädchen untereinander, Buben untereinander, klarerweise getrennt“, schlug die Evi vor. „Das können wir in der Turnsaal-Garderobe machen.“
„Bringt aber auch nichts!“, sagte der Pauli. „Denn sogar ein komplett Nackerter kann so ein kleines Ding mühelos verstecken. Oder habt ihr noch nie gelesen, dass Drogendealer jede Menge Rauschgift in ihrem Körper verstecken? Viel, viel größere Mengen als so ein kleines Herz!“
„Du meinst, der Dieb könnte der Lea ihr goldenes Herz runtergeschluckt haben?“, fragte die Verena. „Damit man es bei der Leibesvisitation bei ihm nicht findet? Und dann … dann … dann … dann …“
Die Verena verstummte. Wie der Dieb dann das gestohlene Herz wieder zurückerhalten würde, wollte ihr einfach nicht über die vornehmen Lippen kommen.
„Genau!“, rief der Moritz. „Der Hund von meiner Großmutter hat einmal eine halbe Perlenkette aufgefressen, weil er zu blöd ist, um zu kapieren, was man fressen kann und was nicht, und dann hat meine Großmutter mit einem Steckerl eine Woche lang seine Haufen durchsuchen müssen. Und bis auf zwei Perlen alle völlig unbeschädigt wieder gefunden!“
„Oder man nimmt gleich den Ausgang als Depot!“, sagte der Pauli.
„Das ist einfacher. Darum haben die Polizisten bei Leibesvisitationen ja immer Gummihandschuhe an!“
„Jetzt versteh ich aber echt nur mehr Bahnhof“, raunzte die Maria, die im Überzuckern wahrlich kein großes Licht ist. „Von welchem Depot redest du denn?“
„Hast du denn noch nie ein Fieber-Zapferl bekommen?“, fragte der Sepp grinsend.
Da kapierte die Maria endlich, wovon die Rede war, wurde knallrot im Gesicht und rief: „Ihr seid vielleicht ungustige Schweindln! Schämt euch!“
„Man ist kein Schweindl und muss sich auch nicht schämen, wenn man weiß, wie es im Leben zugeht“, sagte der Pauli zur Maria, schnappte sich seinen Rucksack, schulterte ihn, nickte dem Nenad und den anderen zu und marschierte zur Klassentür raus. Die Rosi jappelte hinter ihm her.
in welchem sich ein Verdacht breitmacht und Pizza-Schnecken gebacken werden .
Auf dem Heimweg von der Schule hätten sich der Pauli und die Rosi beinahe zerstritten. Weil die Rosi die Idee, dass jemand das Herz verschluckt haben könnte, für ziemlich bekloppt hielt und die zweite Versteck-Idee für noch bekloppter.
„Das kannst du doch echt nicht glauben!“, hielt sie dem Pauli vor. Aber der Pauli beharrte drauf, dass es sehr wohl möglich sein könnte, und nur darauf kommt es an! Was einer glaubt oder nicht glaubt, ist unwichtig. „Wir haben ja auch geglaubt, dass in unserer Klasse keiner stiehlt“, sagte er, „und jetzt müssen wir einsehen, dass das ein Irrtum gewesen ist!“
„Und wie willst du den Dieb finden, du ewiger Besserwisser?“, fragte die Rosi.
„Zuerst stellt sich immer die Frage nach dem Motiv!“, antwortete der Pauli. „Also warum der Dieb gestohlen hat!“
Die Rosi tippte sich an die Stirn. „Warum stiehlt man denn? Um etwas zu bekommen, was einem anderen gehört! Das ist doch von vornherein klar.“
„Das brauchst mir nicht erklären!“, rief der Pauli. „Aber streng mal dein kleines Hirn ein bisschen an! Wer könnte das blöde Herz denn überhaupt brauchen? Buben tragen keine Herzen um den Hals, und die Mädchen in der Klasse könnten sich auch kein Herz, wo Lea draufsteht, um den Hals hängen und damit herumspazieren. Und das Herz verkaufen geht auch nicht, denn niemand kauft einem Kind Gold ab, das ist verboten!“
„Aha!“, ätzte die Rosi. „Also hat keiner in der Klasse ein halbwegs vernünftiges Motiv, und es muss daher ein diebischer Geist gewesen sein, welcher der Lea das Herz gefladert hat, um in der Geisterstunde damit zu protzen!“
„Sehr witzig!“, keifte der Pauli. „Wenn ich Zeit habe, werd ich drüber lachen. Und ein Motiv gibt es übrigens doch: Jemand wollte die Lea einfach ärgern, weil sie mit dem Herz angegeben hat und weil er sie nicht mag!“
„In diesem Fall“, sagte die Rosi, „kommt aber jeder in der Klasse in Betracht, inklusive dir und mir!“
Und dann waren sie auch schon vor Paulis Haustor angekommen und merkten, dass sie vergessen hatten, im Supermarkt Fisch und Salat zu kaufen. Der Pauli wollte kehrtmachen und zum Supermarkt zurücklaufen, die Rosi fand das unnötig. Fisch ist sowieso nicht gerade ihre Lieblingsspeise.
„Hast noch Pizzateig auf Vorrat?“, fragte sie. Als der Pauli nickte, meinte sie: „Und irgendwas drauf finden wir sicher auch! Und wenn wir uns heute das Geld für den Fisch ersparen, können wir uns morgen dicke Steaks leisten, schön blutig innen!“ Die Rosi ist nämlich ein Fleischtiger.
„Okay!“ Der Pauli holte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, sperrte das Haustor auf und sagte: „Dann mach ich uns Pizzaschneckenà la Pauli.“
Da der Buntspecht wegen der Aufregung um Leas goldenes Herz vergessen hatte, der 2a eine Mathe-Hausübung aufzugeben, war die Rosi arbeitslos. Sie setzte sich auf den Küchentisch, baumelte mit den Beinen, schaute dem Pauli beim Kramen im Eisschrank zu und überlegte laut: „Wir sind dreiundzwanzig in der Klasse, der Max und die Vera und der Luki haben die Sommergrippe, und die Ines ist schon nach der ersten Stunde gegangen, weil sie zum Begräbnis ihrer Oma müssen hat. Bleiben also neunzehn mögliche Täter.
Und von denen ziehe ich die Lea und dich und mich ab, dann bleiben sechzehn Verdächtige!“
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