Christine Nöstlinger (1936-2018 in Wien) schrieb für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Sie war sozial und gesellschaftspolitisch engagiert und erlangte vorrangig als Kinderbuchautorin international Anerkennung. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Andersen Award und dem Astrid-Lindgren-Preis. Generationen von Leser*innen hat sie mit ihrem Witz und unkonventionellen Denken erfreut, nachdenklich und mutiger gemacht – eine Kunst, die sie konkurrenzlos beherrschte.
Mehr zu Christine Nöstlinger auf: www.christine-noestlinger.at
Pudding Pauli deckt auf
von Christine Nöstlinger
1. Digitale Auflage 2021
www.ggverlag.at
ISBN E-Book: 978-3-7074-1747-0
ISBN Print: 978-3-7074-2410-2
In der aktuell gültigen Rechtschreibung
Coverillustration: Barbara Fisinger
Innenillustrationen: Barbara Fisinger
© 2021 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien
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Sein zweiter Fall
Christine Nöstlinger
deckt auf
Mit Rezepten von Elfriede Jirsa
und Illustrationen von Barbara Fisinger
in welchem der geneigte Leser einen kleinen Überblick bekommt.
1. Kapitel,
in welchem Rosis Seele rülpst, der Dackel Karli noch immer verschwunden ist und sich die Zufälle häufen.
2. Kapitel,
in welchem der Pauli keine Blinis bekommt, die Rosi Malakofftorte mampfen muss und Lösegeld ins Spiel kommt.
3. Kapitel,
in welchem Gulasch vor sich hin köchelt, die Frau Mader beruhigt werden muss und ein schwarzes Kuvert zu Boden flattert.
4. Kapitel,
in welchem sich die Rosi verkleidet und der Pauli nicht bedacht hat, dass Straßenbahnhaltestellen zum Einsteigen taugen.
5. Kapitel,
in welchem die Rosi auf Kommissar Zufall hofft, Nudeln zu weich werden und der Rosi einfällt, wo sie die tarnfleckige Baseballkappe gesehen hat.
6. Kapitel,
in welchem es Palatschinken gibt und die Rosi Kontakt zu Emily und zu Laura aufnimmt.
7. Kapitel,
in welchem der Pauli mit Fleischbällchen die Rosi versöhnt und sich die Emily als sehr brauchbar erweist.
8. Kapitel,
in welchem es kein Fleisch gibt, der Pauli im Alleingang der Wahrheit näher kommt und dabei höllisch friert.
9. Kapitel,
in welchem der Pauli mit Ingwer-Zitrone-Limo seine Stimme kuriert und die Rosi große Angst um ihn bekommt.
10. Kapitel,
in welchem der Pauli nicht mit brutaler Gewalt rechnet und der Kevin gottlob etwas nicht tun will.
11. Kapitel,
in welchem der Rest der Sache klar wird, es Pasta bis zum Überdruss gibt, und was noch zu tun bleibt, von einem netten Polizisten übernommen wird.
Rezepte
Glossar
in welchem Rosis Seele rülpst, der Dackel Karli noch immer verschwunden ist und sich die Zufälle häufen.
Pauli Pistulka, elf Jahre und neun Monate alt, von seinen Freunden Pudding-Pauli oder einfach bloß Pudding genannt, saß hinter seinem Pult in der 3a und blickte versonnen zur Deckenlampe hoch, die vergeblich versuchte, den November-Vormittag zu erhellen. Durch den Boden der Milchglas-Schale schimmerte dicker, dunkler Belag.
„Rosi, da oben ist ein voll belegter Friedhof“, murmelte er.
„Ein Krematorium für Fliegen.“
Die Rosi, sein Pult-Co, nickte und zischelte ihm zu:
„Für Selbstmörder-Fliegen!“
„Weil Schulluft sogar die Fliegen depressiv macht“, sagte der Pauli etwas zu laut.
„Pistulka, keine Privatgespräche, wenn ich bitten darf!“ Der Mag. Specht, wegen seiner farbenfrohen Kleidung von der 3a Buntspecht genannt, deutete mit dem Tafelzirkel zum Pult von Pauli und Rosi.
„Das war nicht privat, das war eine schulinterne, sogar eine mathematische Anmerkung“, sagte der Pauli.
„Und zwar welche?“, fragte der Buntspecht voll Interesse.
Der Pauli streckte einen Arm anklagend zur Deckenlampe hoch.
„Seit zwei Jahren schaue ich zu, wie die Fliegenleichen über meinem Kopf mehr und mehr werden. Daher versuchte ich zu berechnen, wie hoch der Belag bei meiner Matura sein wird!“
„Dazu dürfte dein mathematischer Grips nicht reichen“, sagte der Buntspecht grinsend, drehte sich zur Tafel und machte sich daran, den Mantel eines gleichseitigen Prismas zu zeichnen.
„Lob fordert eines Schülers Leistung ungemein!“, rief der Pauli dem Buntspecht-Rücken zu und die Belegschaft der 3a kicherte. Der Buntspecht ließ von der Tafel ab und sagte: „Pistulka, komm raus und konstruiere weiter, damit ich eine Chance erhalte, dich zu loben!“
Der Pauli erhob sich seufzend, latschte im Schneckentempo zur Tafel und nahm Zirkel, Dreieck und Kreide vom Buntspecht in Empfang. Bis zum Ende der Mathestunde, die auch den Unterricht für diesen Tag beendete, fummelte er an der Tafel herum.
So ein Dummbauchi, dass er den Mantel eines Prismas nicht hinkriegen würde, ist der Pauli nun auch wieder nicht! Es lag am Tafelzirkel. Der war viel zu locker im Gelenk. Das Teil, in dem die Kreide steckt, flutschte immer weg, wenn der Pauli eine Strecke abschlagen wollte.
Ins Rasseln der Schulglocke hinein sagte der Buntspecht dann:
„Pistulka, du hast dich redlich um das Prisma bemüht. Reicht dir das als Lob?“
„Es wird mir den Tagesrest ungemein versüßen.“ Der Pauli lächelte den Buntspecht freundlich an, legte Zirkel, Dreieck und Kreide auf den Lehrertisch, wischte sich am Hosenboden die Finger vom Kreidestaub sauber, wieselte zu seinem Pult und sagte zur Rosi:
„Beeil dich, Süße, ich hungere gewaltig!“
„Was gibt es denn heute zu futtern, Pudding?“, erkundigte sich die Rosi, als sie neben Pauli herjappelte, eine Stunde früher als sonst am Freitag, weil Religion ausgefallen war.
„ Grenadiermarschund Gurkensalat!“, sagte der Pauli. Und fügte, bevor die Rosi zum Motzen ansetzen konnte, hinzu:
„Sei froh, dass es überhaupt etwas gibt. Unser Kostgeld-Topf war schon gestern völlig leer!“
Jeden Montag legen die Rosi und der Pauli Geld in einen alten Steingut-Topf. So viel, wie ihre Mamas früher für das Mittagessen im Hort bezahlt haben, und dazu noch Geld für die Pausenbrote. Und der Pauli holt sich jeden Morgen Geld aus dem Topf, um nach der Schule die Zutaten für das Mittagessen und für die morgige Pausen-Nahrung zu kaufen. Aber er kommt nur selten mit dem Geld bis zum Freitag aus. Oft müssen die beiden Mamas ein bisschen Geld nachschießen, manchmal gleicht er das Manko auch mit seinem Taschengeld aus. Ohne dass es die Rosi weiß. Er ist, was Taschengeld angeht, viel besser dran als sie, denn er kassiert dreifach. Von seiner Mama, von seinem geschiedenen Papa und von seiner Oma. Und zwar von allen dreien nicht knausrig. Doch der Freitag ist eben trotzdem meistens ein „Restl-Tag“.
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