Die Krieger machten sich zum Abmarsch bereit und tauchten in das dichte Gestrüpp des Dschungels ein.
»Leb wohl«, rief ihm der Anführer noch zu, bevor auch er zwischen den Bäumen verschwand. »Und vielen Dank für die Diamanten!«
Es lag keine Häme in diesen Worten. Der Mann wirkte sichtlich erleichtert. Und dennoch musste Tibor alle Beherrschung aufbringen, den Männern nicht nachzusetzen. Doch er dachte auch an Pip und Pop und war nicht bereit, ihr Leben zu riskieren, nur weil er unbeherrscht handelte.
»Fort sind sie …«, murmelte er. »Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, für wen sie die Edelsteine haben wollen. Ich …«
»Vielleicht bist du so nett und hilfst mir aus der Grube, bevor du weitere Überlegungen anstellst!«, unterbrach ihn eine grollende Stimme.
Tibor wandte sich um und sah Kerak tief unter sich in dem Loch. Der Gorilla hatte missmutig die Unterlippe vorgeschoben und stapfte auf der Stelle.
»Oh, entschuldige!«, antwortete der Sohn des Dschungels. Er sah sich um und fand schnell eine Liane, die stark genug war, um das Gewicht des Menschenaffen zu tragen. Er schnitt sie ab, band sie um einen Baum und ließ sie dann in die Grube hinab. Behände kletterte der Gorilla aus der Falle und grunzte zufrieden, als er sich über den oberen Rand ins Freie zog. Er legte seinem Freund aus Dank seine Pranken auf die Schultern.
»So, nun lass uns erst einmal die Grube wieder zuschütten«, sagte Tibor schließlich. »Ich möchte nicht, dass eines meiner Tiere hineinfällt.«
Kerak kratzte sich am Kopf. »Oh, das wird eine Arbeit …
die Zweibeiner haben die Erde überall verteilt. Ich rufe Tando und seine Gorillas. Mit ihrer Hilfe schaffen wir es schneller.«
Er war gerade dabei, die Pranken zu einem Trichter geformt an den Mund zu legen und atmete tief ein, um einen Schrei auszustoßen, als Tibor vorsprang und ihm die Hände auf den Mund presste.
»Sei still!«, forderte er ihn auf.
Durch den Schwung kam Kerak aus dem Gleichgewicht und rollte über den Kopf. Verdutzt sah er seinen Freund an. »Was soll das denn?«
»Überleg doch selbst ein wenig!«, bat ihn Tibor. »Auch die O’gogos würden deinen Ruf hören und denken, wir wollten etwas gegen sie unternehmen. Das könnte Pip und Pop das Leben kosten!«
Keraks Stirn furchte sich. Seine Zähne malmten. Dann neigte er den Kopf.
»Daran hatte ich nicht gedacht. Es tut mir leid!«
Tibor winkte ab und lächelte. »Schon gut. Lass uns nun an die Arbeit gehen.«
*
Bis zum Abend hatten sie es geschafft, die Grube wieder aufzufüllen. Mit schmerzenden Knochen kehrten sie zur Baumhütte zurück und betteten sich auf ihre Lager. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und schien durch eine Fensteröffnung.
Obwohl sie durch die Arbeit müde und erschöpft waren, fanden sie vor Sorge um ihre beiden kleinen Freunde keinen Schlaf.
»Es hat keinen Sinn«, stieß Tibor aus. Er richtete sich halb in seinem Bett auf und stützte den Kopf auf eine Hand. »Ich wälze mich von einer Seite auf die andere, aber einschlafen kann ich nicht.«
»Mir geht es ebenso«, grummelte Kerak neben ihm, der auf mehreren aufgeschichteten Farnwedeln am Boden lag. »Und das eine sage ich dir – auch wenn Pip und Pop heil und gesund zurückkehren … den Zweibeinern verzeihe ich das nicht! Ich suche sie und drehe jedem Einzelnen von ihnen das Genick um!«
Er unterstrich seine Worte mit einem wütenden Brüllen.
»Das wirst du schön bleiben lassen«, entgegnete Tibor seinem Freund und schwang sich aus dem Bett.
»Wie?«, erwiderte Kerak mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht. »Diese heimtückischen Zweibeiner sollen ungestraft davonkommen? Du willst so tun, als wäre nichts geschehen?«
Auch der Gorilla hatte sich inzwischen erhoben und stützte sich mit seinen Vorderpranken auf dem Boden ab. »Wenn das die anderen Tiere erfahren, dann bist du der Herr des Dschungels gewesen!«, beharrte er. »Nicht einmal der feigste Schakal hätte dann noch Respekt vor dir!«
»Reg dich nicht auf, Kerak!«, beschwichtigte Tibor ihn. »Ich habe keineswegs die Absicht, die Herausforderung der O’gogos auf sich beruhen zu lassen. Aber sie zu bestrafen, das wäre ungerecht.«
Kerak sah ihn verständnislos an und schnappte nach Luft.
»Die O’gogos haben nicht aus eigenem Antrieb gehandelt«, erklärte Tibor. »Sie wissen nichts vom Wert der Steine. Jemand, der darüber gut Bescheid weiß, hat sie derartig unter Druck gesetzt, dass sie es wagten, in meinen Dschungel zu kommen.«
Der Gorilla grummelte und sah ihn aus seinen dunklen Augen an. »Du meinst, es stecken weiße Zweibeiner dahinter?«
Tibor stemmte die Hände in die Hüften. »Vielleicht … aber auf keinen Fall die O’gogos. Es muss zumindest jemand sein, der mit den Weißen in Berührung gekommen ist und erfahren hat, was für sie wertvoll ist.«
Er legte sich wieder hin und zog die dünne Stoffdecke über seinen Körper. »Nun wollen wir aber doch versuchen zu schlafen. Ausgeruht können wir morgen besser überlegen, was wir tun sollen.«
Tibor war gerade eingedöst, als ihn ein leises Rascheln und Knacksen hochfahren ließ.
»So ist es recht!«, hörte er eine keckernde, vertraute Stimme. »Während wir in höchster Lebensgefahr schweben, schlaft ihr seelenruhig! Schöne Freunde seid ihr …«
»Pip! Pop!«, rief Tibor aus und strahlte die beiden Äffchen an, deren Umrisse sich nun am Fenster im Mondlicht zeigten.
»Gott sei Dank«, grollte Kerak. »Da seid ihr ja wieder!«
Die kleinen Affen sprangen vom Fensterrahmen auf den Gorilla zu, der sie behutsam in seine Pranken nahm. »Bin ich froh!«, sagte er und ließ sogar zu, dass sie an seinem Fell zupften. »Wenn ihr mich auch manchmal ärgert … ohne euch fühle ich mich ganz krank.«
»Soso«, meinte Pip und grinste breit, dann kletterte er auf Keraks Schulter. »Na, wir sind auch froh, dich wieder ärgern zu können.«
Er wies mit seinem dünnen Arm nach draußen. »Aber kommt jetzt! Wir führen euch …«
»Das hat Zeit bis morgen früh«, wurde er von Tibor unterbrochen. »Kerak und ich konnten nämlich vor Sorge um euch wirklich nicht schlafen.«
Die beiden Äffchen sahen sich an, gähnten ausgiebig und hatten nichts dagegen, selbst zu ihrem wohlverdienten Schlaf zu kommen.
*
Nach einem kräftigen Frühstück brachen die Freunde am nächsten Morgen auf.
Noch herrschte die Kühle der Nacht im Dschungel. Feuchtigkeit hing in der dunstverhangenen Luft. Nur wenige Vögel begrüßten den jungen Tag bereits mit ihren Schreien und Rufen, die durch den Urwald hallten, unterbrochen vom Gezeter einer Horde Affen, die sich irgendwo im Dickicht verborgen hielt.
Tibor schwang sich mit den Affen an seiner Seite an Lianen durch den Dschungel und kam so rasch voran.
»Ich möchte, dass ihr Kerak und mich bis an die Stelle führt, an der euch die O’gogos freigelassen haben«, bat er Pip und Pop. »Aus den Spuren müsste ich erkennen können, ob sie dort die Diamanten bereits ihrem Auftraggeber überreicht haben. Das würde mir eine Menge Nachforschungen ersparen!«
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als die Gruppe die äußerste Grenze des Dschungels erreichte. Gestrüpp und Gräser erstreckten sich auf der lichter werdenden Landschaft. Pip kreischte und deutete aufgeregt nach vorne. Sofort machte die Gruppe auf einem breiten Ast Halt, der ihnen einen freien Blick auf die Umgebung bot.
»Dort war es!«, rief das Äffchen. »Auf der Geröllhalde!«
Ein lang gestreckter Hügel erhob sich aus dem Gras. Zu allen Seiten bedeckten zahlreiche Felsen und Steine die spärlich bewachsenen Abhänge. Tibor sah sich um.
»Das Gebiet der O’gogos beginnt erst jenseits des Hügels«, überlegte er. »Und auf der Geröllhalde wird es schwer werden, Spuren zu finden. Zudem wäre es ungefähr das Dümmste, hier hochzuklettern.«
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