»Na ja. Ich wurde dir ja quasi vermittelt.«
»Von Viktor.« Robert nickt. »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«
»Über gemeinsame Bekannte.«
Er stutzt. »Damit hätte ich nicht gerechnet. Ihr scheint euch nicht unbedingt in denselben Kreisen zu bewegen.« Bevor ich etwas darauf erwidern kann, hebt er kurz die Hand. »Ohne schon wieder Vorurteile bedienen zu wollen. Das ist nur eine Beobachtung.«
»Du hast ja recht. Ich habe mit einem seiner Freunde studiert.« Ich zögere, aber da wir gerade so zwanglos in dieser lockeren Unterhaltung stecken, möchte ich das ausnutzen. »Mit meinem Ex, um genau zu sein.«
Nur für den Fall, dass er nach einem Dreivierteljahr nicht mitbekommen haben sollte, dass ich schwul bin.
Überrascht wirkt er jedenfalls nicht. Er nickt nur knapp. »Verstehe.«
Verdammt. Als würde er dem Gespräch direkt wieder einen Riegel vorschieben.
»Aber wo wir gerade dabei sind… Viktor und du scheint euch auch nicht unbedingt in denselben Kreisen zu bewegen.«
Robert kann ich mir ohne Probleme in einer Selbstversorgerhütte auf einem einsamen Berg nach stundenlanger Wanderung vorstellen – Viktor nicht. Sein letztes Urlaubsziel war Monaco. Wellness, Yachtausflüge, Casinobesuche.
Da Robert nichts darauf erwidert, fahre ich fort: »Für Brüder, meine ich.« Jetzt sieht er mich kurz an. Ich lächle. »Auch nur eine Beobachtung.«
Wenn auch eine, die mich von unserer ersten Begegnung an beschäftigt. Bisher hat sich nie eine Gelegenheit geboten, mit Robert darüber zu reden – zu persönlich. Oder gar mit Viktor. Zu auffällig angesichts meiner Schwärmerei. Und wahrscheinlich auch zu persönlich für unseren Bekanntschaftsgrad, obwohl er der einzige Freund ist, der mir nach der Trennung von Marvin aus diesem Bekanntenkreis geblieben ist.
»Das könnte daran liegen, dass wir keine Brüder sind.«
Um ein Haar wäre mir die Kinnlade runtergefallen. »Was? Aber...« Ich bin so verdattert, dass mir die Worte fehlen.
»Wir sind Stiefbrüder.« Robert runzelt die Stirn. »Hat Viktor das nie erwähnt?«
Ich komme mir ziemlich bescheuert vor, als ich das jetzt verneinen muss. Was sagt das über Viktors und meine Freundschaft aus?
»Offenbar macht das für ihn keinen Unterschied. Er hat dich immer nur als seinen Bruder bezeichnet.« Nachdenklich betrachte ich Robert. Ja. Das erklärt eine Menge. »Stiefbrüder. Also nur zusammen aufgewachsen, nicht miteinander blutsverwandt.«
»Genau.«
Ich hätte wissen müssen, dass er das nicht weiter ausführen will. Trotzdem warte ich ein paar Sekunden, ob er mir doch noch mehr erzählen möchte – erfolglos.
Ich hake nicht nach, obwohl sich das anfühlt, als würde man bei einem Film an einer spannenden Stelle auf Pause drücken, ohne zu wissen, wann man weiterschauen wird. Mit einem Wort: frustrierend. Aber damit kenne ich mich im Zusammenhang mit Robert mittlerweile ja aus. Und ich weiß auch, wie ich vielleicht doch noch etwas mehr aus ihm herausbekommen kann, wenn auch auf Umwegen.
»Wenn ihr nicht miteinander verwandt seid, wie kam es dazu, dass du travele bekommen hast? Ursprünglich gehörte es doch zu Ferienwunder?«
»Dort hat es mit seiner Ausrichtung aber nicht hingepasst. Siegfried, Viktors Vater, hatte immer vor, travele zu einer eigenständigen Firma auszubauen, aber keine Zeit, sich darum zu kümmern. travele war sein Herzensprojekt, wenn man so will. Mit Ferienwunder hat er Geld verdient.«
Eher Geld gescheffelt. Mit so einer Gelddruckmaschine konnte er sich Experimente wie mit travele locker leisten. Wahrscheinlich hat er nie mit der Wimper gezuckt, wenn er travele mit einer weiteren Investition über die schwierige Anfangszeit hinweg helfen musste.
Anders als Robert, der alles daran setzt, damit sich die Firma selbst trägt. Weil er wahrscheinlich gar kein Geld hat, das er hineinstecken kann, da er nicht wirklich zu Viktors Familie gehört.
Das erklärt, warum er Tag und Nacht gearbeitet und mich eher widerwillig eingestellt hat. Ich bin ein hoher Kostenfaktor.
Widerwillig und auf Wunsch von Viktor.
»Wenn es das Herzensprojekt von Viktors Vater war, hätte er es dann nicht Viktor vererben müssen?«
Robert schnaubt belustigt. »Kannst du dir Viktor als Geschäftsführer eines Reiseportals für nachhaltiges Reisen vorstellen? Eines Start-ups mit geringen finanziellen Mitteln und Möglichkeiten?«
Nein. Absolut nicht. Darüber muss ich nicht lange nachdenken.
»Er hätte ja Inhaber bleiben und jemanden als Geschäftsführer einstellen können. Dich zum Beispiel. Damit wäre in Krisenzeiten zumindest eine gewisse finanzielle Sicherheit gegeben.«
Robert schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Viktor versucht hätte, travele zu retten, wenn Schwierigkeiten aufgetaucht wären. Ich gönne ihm seinen Erfolg mit Ferienwunder, aber dafür musste er nicht viel mehr tun als sich ins gemachte Nest setzen. Was auch hervorragend zu ihm passt.« Etwas gedankenverloren lächelt Robert, als würde er in Erinnerungen schwelgen. »Er konnte schon immer gut planen und organisieren, aber die eigentliche Arbeit lässt er lieber andere machen. Ich könnte mir vorstellen, dass Siegfried das genauso gesehen hat.«
Ziemlich sicher sogar. Auf den ersten Blick wirkt es zwar, als hätte Viktor das größte Stück vom Kuchen bekommen, wenn nicht gar den ganzen Kuchen. Bevor sich Robert in die Firma reingehängt hat, ist travele bestenfalls ein Krümel auf der Kuchenplatte gewesen.
Auf den zweiten Blick und mit dem Wissen, dass die beiden nur Stiefbrüder sind, ist die Aufteilung jedoch perfekt. Viktor bekommt Ferienwunder und Robert mit travele eine Chance.
Wobei Siegfried Saur seinen Stiefsohn sehr geschätzt haben muss, wenn er ihm sein Herzensprojekt anvertraut. Oder er hat erkannt, dass Robert perfekt für das Start-up ist, dass er die Philosophie quasi lebt.
Erst nach einer Weile merke ich, dass ich Robert gedankenverloren angesehen habe, während er abwechselnd zu mir und auf die A94 blickt. Hinter der Sonnenbrille kann ich seine Augen nicht sehen, aber ich spüre, dass sich etwas an der Art verändert, wie er mich ansieht. Verlangen materialisiert sich wie eine Gewitterwolke zwischen uns. Plötzlich ist die Luft im Wagen zu dick zum Atmen.
Ich schlucke und drehe das Gesicht weg. »Du solltest auf die Straße sehen.«
»Und du solltest mich nicht immer so anschauen.«
Mein Kopf schnellt herum, aber gerade jetzt entscheidet sich Robert, stur den Verkehr zu verfolgen. Unvermittelt kommt es mir vor, als wäre das Auto noch mal um die Hälfte geschrumpft. Sein Duft steigt mir in die Nase. Frisch, leicht, unaufdringlich. Mir wird etwas schwindelig.
Ich hatte solche Bedenken davor, dieses Thema anzuschneiden – und jetzt sind wir schon mittendrin. Das muss dieses Urlaubsfeeling sein. Dieses Auto, aus dem es vorerst kein Entkommen gibt.
»Dann merkst du es auch?«
Robert schweigt.
»Dieses Kribbeln zwischen uns?«
Seine Kiefermuskeln treten hervor, als er die Zähne zusammenbeißt.
»Die Anziehung?«
Immer noch Schweigen.
»Robert?«
Er atmet hörbar aus, sieht mich aber weiterhin nicht an. Jetzt gerade hätte ich ihn lieber direkt vor mir, statt bei hundertvierzig Stundenkilometern hinterm Steuer eines Autos.
»Du bist mein Angestellter, Joscha. Ich arbeite gerne und sehr gut mit dir zusammen.«
»Das klingt, als würdest du mich gern zum Mitarbeiter des Monats machen, ist aber keine Antwort auf meine Frage.«
Im ersten Moment glaube ich, dass er nicht darauf reagieren wird, aber dann sagt er nur: »Nein.«
»Nein?«
»Nein, ich merke nichts. Kein Kribbeln, keine Anziehung.«
»Das ist gelogen.«
»Du hast gefragt.«
»Es ist trotzdem gelogen.«
»Es ist nicht gelogen, dass du mein einziger Angestellter in einem Zwei-Mann-Unternehmen auf knapp dreißig Quadratmetern Bürofläche bist.«
Читать дальше