Fast muss ich lachen. Habe ich so etwas Ähnliches nicht erst kürzlich zu Kev und Anton gesagt? Dann beschleunigt sich mein Herzschlag, als mir klar wird, was das bedeutet. Robert muss sich ähnliche Gedanken gemacht haben wie ich. Sich ähnlichen Fantasien hingegeben haben.
Plötzlich wird mein Mund ganz trocken.
»Wenn du damit sagen willst, dass wir uns nicht aus dem Weg gehen können, dann hast du recht. Weder auf die eine noch auf die andere Art.«
Wieder beißt er die Zähne zusammen. Scheinbar hat er nur daran gedacht, wie ungemütlich es werden kann, sollte es im Anschluss zwischen uns krachen. Genauso ungemütlich kann es jedoch werden, wenn sich dieses Kribbeln bis kurz vor der Explosion aufstaut.
»Hier ist unsere Abfahrt.«
»Hier ist unsere Abfahrt? Dein Ernst?«
Flüchtig sieht er mich an, bevor er besagte Abfahrt nimmt. »Ich halte nicht viel von Beziehungen am Arbeitsplatz.«
»Dann hast du mich mitgenommen, um mir in einem romantischen Luxuschalet meine Kündigung zu überreichen? Bevor oder nachdem wir übereinander hergefallen –«
»Ich will dir nicht kündigen«, unterbricht er mich, als könnte er es ebenso schwer ertragen, die Worte zu hören, wie ich sie gerade ausgesprochen habe. »Ich lege sehr viel Wert auf deine Meinung, deswegen habe ich dich mitgenommen. Wir sind ein gutes Team. Beruflich. Am Arbeitsplatz.«
Ein gutes Team. Das tut gleich in mehrfacher Hinsicht weh. Es klingt sowohl nach Hoffnung als auch nach Abfuhr.
Am Ende der Ausfahrt wartet eine rote Ampel auf uns. Links davon befindet sich ein kleines Industriegebiet. Tankstelle, Supermärkte, Fast-Food-Läden, eine Autowerkstatt.
Robert nickt in die Richtung. »Wir müssen in Regen noch einen Abstecher zum Einkaufen machen.«
Fassungslos sehe ich ihn an. Er will das wirklich durchziehen. Einfach weitermachen. So tun, als wäre nichts. Nachdem er mir gerade mehr oder weniger gestanden hat, auf mich scharf zu sein.
Hat er doch? Oder nicht? Fantasiere ich mir vor lauter Geilheit schon irgendwas zusammen?
Ich atme tief durch und sehe aus dem Beifahrerfenster. »Okay. Super. Gehen wir einkaufen.«
Sicherheitshalber warte ich, bis Robert die Tür zur Hütte hinter sich geschlossen hat. Blessing hat uns nach dem Gespräch zwar nicht nach draußen begleitet, aber in der Dunkelheit um die Chalets herum ist nicht zu erkennen gewesen, ob nicht doch jemand in unserer Nähe ist.
»Offenbar stehen wir dieses Wochenende genauso auf dem Prüfstand wie Blessing und seine Alm.«
Robert hängt den Schlüssel der Hütte an das dafür vorgesehene Board neben dem Eingang. »Du hast es also auch gemerkt. Dann habe ich es mir nicht eingebildet. Blessing war nicht unbedingt unfreundlich, aber...«
»Sehr misstrauisch.«
Stirnrunzelnd schüttelt Robert den Kopf. »Das passt nicht zusammen. Bei jedem unserer Telefonate war er zuvorkommend und aufgeschlossen und sehr an einer Zusammenarbeit interessiert. Er hat sogar Smileys in seinen E-Mails benutzt.«
Unwillkürlich sehe ich vor mir, wie der gertenschlanke, hochgewachsene Mittfünfziger mit seinem jungenhaften Grinsen und den zahllosen Lachfältchen vor seinem Laptop sitzt und seine Mails gut gelaunt mit Zwinkersmileys versieht.
Kinderspiel.
Dass er uns fast zwei Stunden lang über offenem Feuer gegrillt hat, hat dagegen weniger zu ihm gepasst. Ein bisschen wie Goofy, der die Rolle des knallharten Anwalts der Gegenseite mimt.
»Seit du es erwähnt hast, behalte ich die einschlägigen Foren und Blogs im Auge, aber nirgendwo tauchen Gerüchte über uns auf.«
Ich zeige zur Tür, hinter der das Schlafzimmer liegt, das ich zuvor bezogen habe. Unser Chalet ist eine von zwei Hütten auf dem Hotelareal mit zwei getrennten Schlafzimmern. Ich bin noch nicht sicher, ob ich dankbar dafür oder frustriert deswegen sein soll. Möglicherweise hätte nur ein Schlafzimmer die Sache zwischen uns vorangetrieben – wie im Auto. Oder einer von uns hätte auf dem Sofa im Wohnraum schlafen müssen.
Andererseits muss ich mir so nicht die Frage stellen, ob ich die Sache mit uns weiter vorantreiben will. Oder sollte.
»Ich kann noch mal checken, ob ich jetzt was finde. Oder wir beauftragen unsere neue IT-Firma damit.«
Das gehört zwar nicht zu dem Aufgabenkatalog, den ich mit Antons Vater besprochen habe, aber vielleicht kennt Anton trotzdem ein paar Tipps und Tricks, wie man die Weiten des Internets schneller und effizienter durchstöbern kann.
Robert nickt. »Gute Idee. Mir lässt das keine Ruhe.«
Mir auch nicht. Gegen Ende ist es Robert zwar gelungen, Blessing fürs Erste von uns zu überzeugen, aber dass der Hotelbesitzer uns offenbar für Abzocker oder Betrüger oder beides zusammen hält, macht nicht nur Robert zu schaffen.
Erst zwei von meinen Kunden, die anfangs mit uns zusammenarbeiten wollten, jetzt einer von Roberts...
So kurz, nachdem ich Viktor von der Seilberger Alm erzählt habe.
Ich schüttle den Gedanken ab. Zufall. Genauso gut könnten Furbach vom Bio-Hotel an der Nordsee und Blessing beste Kumpel sein und sich über uns ausgetauscht haben.
Was allerdings immer noch nicht erklärt, warum Furbach so plötzlich abgesprungen ist.
»Okay. Dann schicke ich denen gleich eine Mail.« Als ich mich der Schlafzimmertür zuwenden will, schüttelt Robert den Kopf.
»Morgen. Für heute haben wir genug gearbeitet.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Ist das eine Anweisung von meinem Chef?«
Ein kurzer Blick, als wollte er mich ermahnen, nicht mit solchen Spielchen anzufangen, dann winkt er jedoch ab. »Ich kann und werde dich natürlich nicht daran hindern, wenn du doch noch arbeiten willst.«
»Gegenfrage. Was würdest du denn stattdessen gerne machen?«
Er sieht mich scharf an. Ein heißes Ziehen in meinem Unterleib. »Lass das.«
»Was denn?«
Er deutet ein Kopfschütteln an, als wollte er sich selbst davon abhalten, sich auf dieses Hin und Her einzulassen. Stattdessen tritt er an die moderne Küchenzeile in edlem Dunkelgrau heran, die sich direkt nach dem kurzen Eingangsflur auf der linken Seite des großen Wohnraums befindet. Er öffnet den Kühlschrank, den wir nach unserer Ankunft mit unseren Einkäufen bestückt haben, und holt eine Flasche Bier heraus.
»Willst du auch was?«
»Hältst du Alkohol für eine gute Idee?«
»Du hast doch den Sekt gekauft.«
»Weil du Bier gekauft hast.«
Er reibt sich kurz die Schläfe. »Willst du jetzt was trinken oder nicht?«
Ich lehne mich neben ihn gegen die Anrichte. »Einen Piccolo.«
Vorsichtig zieht er den Sekt aus dem Turm gestapelter Flaschen im untersten Fach. Daneben befinden sich vor allem Obst, Gemüse und vegane Produkte im Kühlschrank. Der Einfachheit halber habe ich mich ihm bei den meisten Sachen angeschlossen, damit wir nach dem Wochenende nicht so viel übrig haben.
Er reicht mir den Piccolo. »Magst du kein Bier?«
Ich schüttle den Kopf und sehe ihm direkt in die Augen, als ich die Flasche entgegennehme. »Ich mag's, wenn's prickelt.«
Sein Blick wird dunkel, kurz bevor er die Augen schließt. »Ich glaube, wir müssen uns noch mal unterhalten.«
»Das glaube ich auch.«
Obwohl uns eine komplette Hütte mit gemütlich eingerichteter Wohnzimmerecke und separater Essnische zur Verfügung steht, bleibt er an der Küchenzeile stehen – mit einem guten Meter Abstand zwischen uns.
»Ich habe ernst gemeint, was ich im Auto gesagt habe. Ich arbeite sehr gerne und gut mit dir zusammen. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Normalerweise bin ich kein guter Teamplayer. Darüber hinaus bist du mein erster Mitarbeiter überhaupt. Als du bei mir angefangen hast, hätte ich nicht gedacht, dass es so gut laufen wird.«
Ich auch nicht. Im Gegensatz zu ihm und seinen Führungsqualitäten bin ich ein miserabler Angestellter. Ich bin nie gut mit den Fehlern klargekommen, die meine Vorgesetzten trotz meiner vorheriger Warnung gemacht haben und die ich anschließend ausbaden durfte.
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