Die Konsequenz des Gesagten liegt damit auf der Hand: Sofern ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, um eine Verletzung des § 83 WpHG zu vermeiden, mehr aufzeichnet als „erforderlich“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO, liegt zwar kein Verstoß gegen § 83 WpHG, aber ein solcher gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben mit der Konsequenz eines Bußgelds vor (vgl. Art. 83 Abs. 5 lit. a DSGVO).51 Zudem kann der Tatbestand des § 201 StGB bzgl. der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes erfüllt sein. Die Aufzeichnung wird dann, wenn die Vorgaben des § 83 Abs. 3 WpHG nicht eingehalten werden, „unbefugt“ i.S.d. § 201 Abs. 1 StGB sein.52
Sofern jedoch zu wenig i.S.d. § 83 Abs. 3 WpHG, aber gleichzeitig datenschutzrechtlich ordnungsgemäß aufgezeichnet wird, liegt ein Verstoß gegen wertpapierhandelsrechtliche Anforderungen vor. Ist die Aufzeichnung nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise erfolgt, droht ebenfalls ein Bußgeld (§ 120 Abs. 2 Nr. 124 WpHG).
c) Umfang der Aufzeichnungspflicht
Der deutsche Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis zwischen der gesetzlichen Aufzeichnungspflicht des § 83 WpHG zur Ermöglichung der Beweissicherung und dem Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) gesehen, wonach Daten nur in dem Umfang verarbeitet werden sollen, wie sie tatsächlich für den festgelegten Zweck benötigt werden. Einigkeit besteht im deutschen Recht darüber, dass dem Aufeinandertreffen zwischen Datenschutz- und Wertpapierhandelsrecht zunächst durch eine differenzierte Betrachtung der in Frage kommenden Fälle zu begegnen ist. Dabei unterscheiden sowohl die Gesetzesbegründung zum 2. FiMaNoG, mit welcher die MiFID II-Regelung umgesetzt wurde, als auch die BaFin zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ausschließlich Wertpapierdienstleistungen anbieten, und solchen, die gleichzeitig andere Dienstleistungen erbringen. Nur in letzterem Fall hat die nationale Aufsichtsbehörde Bedenken bzgl. einer vollumfänglichen Aufzeichnung.
Wenn ausschließlich Wertpapierdienstleistungen erbracht werden, hat eine Aufzeichnung vom Anfang des Telefongesprächs an zu erfolgen, da der Zweck des Gesprächs allein auf eine solche Dienstleistung bezogen sein kann. Zwar ist nicht auszuschließen, dass dabei auch persönliche Konversation betrieben wird, die nicht mit dem Geschäft zusammenhängt. Das wird aber im Interesse der ansonsten möglicherweise lückenhaften Beweissicherung hingenommen.
Anders soll das im Hinblick auf solche Unternehmen sein, die zusätzlich andere als die aufgeführten Wertpapierdienstleistungen anbieten. Hier kann sich ein Telefongespräch entweder auf einen aufzuzeichnenden Sachverhalt oder einen solchen, der nicht unter § 83 Abs. 3 WpHG fällt, beziehen.
Die europäische Aufsichtsbehörde ESMA differenziert hier nicht und geht auch für solche Fälle ohne Weiteres davon aus, dass die Telefongespräche und die elektronische Kommunikation mit dem Kunden vollumfänglich („entirety“) aufzuzeichnen sind.53 Datenschutzrechtliche Bedenken werden dort nicht geäußert. Ein umfassender Mitschnitt der Telefongespräche, selbst wenn andere Dienstleistungen angeboten werden, steht aber nicht im Einklang mit dem bereits genannten Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. Die Datenverarbeitung ist hier nicht mehr auf das für die Beweissicherung notwendige Maß beschränkt.54 Damit bedürfen Aufzeichnungen, die über die Verpflichtungen der MiFID II hinausgehen, einer weiteren Rechtsgrundlage.55
Zwar gibt der deutsche Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum 2. FiMaNoG dem Zweck der Beweissicherung ebenfalls insofern den Vorzug vor datenschutzrechtlichen Bedenken, als auch dann, wenn mehr als nur die aufzeichnungspflichtigen Dienstleistungen i.S.d. § 83 Abs. 3 WpHG angeboten werden, mit der Aufzeichnung jedenfalls „frühzeitig“ zu beginnen sein soll.56 Die BaFin lässt es aber in diesen Konstellationen genügen, dass die erforderliche Aufzeichnung erst im Verlauf eines Telefongesprächs beginnt. Ein Stoppen der Aufzeichnung vor dem Ende des Gesprächs wird dann als möglich angesehen, wenn der von Gesetzes wegen relevante Inhalt erfasst ist, d.h. wenn der wertpapierdienstleistungsbezogene Part des Kundengesprächs beendet ist.57
Die Dauer der Aufzeichnung soll etwa bei der Anlageberatung vom Zielmarkt und den Risiken des angebotenen Finanzinstruments abhängen.58 Sofern es um ein beratungsfreies Wertpapiergeschäft geht, d.h. der Kunde seine Order für ein bestimmtes Finanzinstrument in eigener Verantwortung abgibt, ist jedenfalls der Teil des Telefongesprächs aufzuzeichnen, in welchem spätestens bei Ordererteilung gegenüber dem Kunden die Zusammenfassung des Geschäftsabschlusses bestätigt wird.59
Allerdings wird in der Gesetzesbegründung mit dem Abstellen auf eine „frühzeitige“ Aufzeichnung60 auf eine generelle Benennung des richtigen Anfangszeitpunkts verzichtet. Eine solche wird abstrakt nicht möglich sein, da ein Telefongespräch hier in seinem Verlauf ungeplant in eine Beratung über Wertpapierdienstleistungen übergehen kann. Hier kommt es auf den Einzelfall an.61 Dabei besteht die Aufzeichnungspflicht ab dem Zeitpunkt, zu dem das Gespräch in eine Wertpapierberatung übergeht.62
2. Information bzw. Einwilligung der betroffenen Personen
Festgestellt werden konnte, dass sich im Hinblick auf den Umfang der Aufzeichnung aufgrund der Nichtabgestimmtheit der MiFID II und der DSGVO für die Rechtsanwender Probleme ergeben können. Insofern ist es vorteilhaft, wenn die Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine Einwilligung des Kunden zur Datenverarbeitung bzw. zur Telefonaufzeichnung einholen. In der MiFID II bzw. in § 83 WpHG ist das nicht vorgeschrieben. § 83 Abs. 5 WpHG enthält in Umsetzung von Art. 16 Abs. 7 MiFID II lediglich eine Informationspflicht. Danach sind Kunden und Mitarbeiter vorab über die Aufzeichnung von Telefongesprächen oder der elektronischen Kommunikation zu informieren (siehe Art. 76 Abs. 8 DelVO 2017/565). Dabei genügt eine einmalige Aufklärung „in geeigneter Weise“ (siehe § 83 Abs. 5 Satz 1 WpHG, Art. 16 Abs. 7 Unterabs. 5 MiFID II).63 Art. 76 DelVO 2017/565 enthält weitere Einzelheiten zum Inhalt der Information.
Auch die DSGVO schreibt nicht zwingend eine Einwilligung der betroffenen Person zur Datenverarbeitung vor. Der Vorteil der Einholung einer Einwilligung liegt jedoch darin, dass dann der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO gegeben und damit die Datenverarbeitung rechtmäßig ist. Sofern also das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO fraglich ist, bleibt im Falle einer Einwilligung der betroffenen Person noch die Möglichkeit einer Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO. Deshalb kann den Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur angeraten werden, stets eine Einwilligung i.S.d. Art. 4 Nr. 11 DSGVO einzuholen.
Daraus ergibt sich jedoch die Folgefrage, ob in der Nichtabgabe der vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen erbetenen Einwilligung gleichzeitig (konkludent) ein Widersprechen der Aufzeichnung gemäß § 83 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. WpHG zu sehen ist. Die Konsequenz wäre, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dann nach § 83 Abs. 5 Satz 2 WpHG dem Kunden gegenüber keine telefonische oder auf elektronischem Weg erfolgte Wertpapierdienstleistung erbringen darf. Problematisch erscheint das deshalb, weil das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, wenn es keine Einwilligung einholt, sondern den Kunden lediglich gemäß § 83 Abs. 5 Satz 1 WpHG über die Aufzeichnung informiert, von Gesetzes wegen so lange berechtigt ist, die Kommunikation aufzuzeichnen, wie der Kunde dem nicht widerspricht. Der fehlende Protest wird dabei als Zustimmung gesehen.64
Im Hinblick auf die bloße Information der betroffenen Person ergeben sich dagegen keine Widersprüche zwischen dem Pflichtenkatalog der DSGVO und der MiFID II. Der Verantwortliche i.S.d. DSGVO muss den betroffenen Personen bei der Erhebung der Daten bestimmte Informationen im Zusammenhang mit der personenbezogenen Datenverarbeitung zur Verfügung stellen (Art. 13f. DSGVO).65
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