Er unternahm einen neuen und letzten Versuch, seine Frau zurückzugewinnen. Da kam der nahegelegene Geburtstag seiner Exfrau gerade recht. »Aber als ich ihr am Geburtstag gemeinsam mit unserer Tochter den sehr üppig und ausgewählt bestückten Geschenketisch präsentiert habe und als Reaktion nur ein ›Aha. Danke, das ist ja nett!‹ kam, da wusste ich, dass es vorbei ist. Endgültig.«
Und dabei redete Manu nicht von einem schnellen Abhaken einer Beziehung. Weiß Gott nicht. Er hat gekämpft und gehofft, aber durch diese von Anfang an feststehende Endgültigkeit seitens seiner Exfrau und die knapp dreimonatige intensive Phase zwischen Hoffnungslosigkeit und dem »Aber das muss doch irgendwie wieder hinzubekommen sein« musste er irgendwann eine Grenze ziehen. Denn Manu sagt von sich, dass er ein Typ ist, der gerne und lange in etwas investiert, selbst wenn wenig bis gar keine Hoffnung auf Erfolg besteht und die Investition einem selbstzerstörerischen Himmelfahrtskommando gleichkommt. Das macht kaputt.
Und so entschied Manu ganz rational, dass diese Beziehung beendet war. Reine Kopfsache. In erster Linie. Die wenigen Menschen, die davon wussten, sagten ihm: »Manu, dass du diese Nummer rational unter die Füße bekommst, macht uns keine Sorgen. Du fällst immer wieder auf die Füße. Aber pass bitte auf, dass dir diese Sache nicht emotional die Luft abschnürt.«
Er schrieb eine Mail. An alle seine Freunde. Mit den Worten, die am Anfang dieses Kapitels stehen. Erst jetzt, drei Monate später, hat er überhaupt Worte gefunden. Die Mail endet mit:
… Danke, dass ihr meine Freunde seid. Ihr könnt – so weit man das sagen kann – weiterhin ganz normal mit uns umgehen.
Ich weiß mich getragen.
Und sorry für so eine Nachricht am späten Abend …
LG, manu
Und mit dem Absenden der Mail kehrt eine Ruhe ein, die ihn hält. Nicht zu jeder Zeit und allumfassend, aber doch deutlich wahrnehmbar. Seine Emotionen sind seinem Verstand gefolgt. Seine Seele hat sich beruhigt. Die Entscheidung wurde ihm sowieso abgenommen.
Die Reaktionen auf die Nachricht haben Manu überwältigt. Kaum war die Mail raus, klingelte das Telefon und ein sehr guter Freund bot ihm an, sofort vorbeizukommen. Es klingelte noch weitere Male an dem Abend, aber Manu konnte ruhig und gefasst antworten: »Vielen Dank, aber: nein. Ich bin okay. Die Nachricht hat sich gesetzt.«
JEDES LEBEN HAT BRÜCHE. DAMIT MUSS MAN … GENAU: LEBEN.
Als die nächste Getränkerunde unseren Tisch erreicht, sind die Tische um uns herum mittlerweile ebenfalls besetzt. Da denke ich kurz, dass sich ein Lauschangriff auf unser Gespräch definitiv lohnen würde, denn ich habe selten jemanden so konstruktiv und authentisch von einer Trennung reden hören.
»Mein Fazit lautet: Jedes Leben hat Brüche. Ob das eine Trennung ist, eine Krankheit oder der verlorene Job. Wenn man zu lange mit seinem Schicksal hadert, dann tut das nicht gut.«
Ich gebe zu, so ein Satz sieht geschrieben aus wie der Tipp der Woche in einer Psychologiezeitschrift. Kühl, sachlich, rational, ja fast distanziert. Doch bei Manu ist es etwas anderes. Er redet über etwas, so scheint mir, was er sich hart erkämpft hat. Und zwar nicht zum ersten Mal im Leben.
Klar war er auch wütend, traurig, verletzt und unendlich niedergeschlagen, dass es nicht gereicht hat, aber es ist vor allem die Art und Weise, wie er sich damit auseinandergesetzt hat, die ihn von anderen gescheiterten Beziehungsteilnehmern abhebt. Da zeigt sich mir ein erstes Mal, dass Trennungsgeschichten immer individuell verarbeitet werden, weil wir so unterschiedlich sind.
Eine Sache dramatisiert Trennungen jedoch immer: gemeinsame Kinder.
Ihrer Tochter haben sie Anfang Dezember von ihrer Trennung erzählt. So schonend es eben ging. Manu erinnert sich noch genau an die Worte. »Wir haben ihr gesagt, dass wir immer eine Familie bleiben, aber nicht mehr zusammenwohnen werden. Da hat sie angefangen zu weinen. Doch als wir dann sagten, dass Mamas Wohnung direkt gegenüber sein wird und sie dann zukünftig zwei Kinderzimmer hat, da war der erste Schmerz schon mal gelindert.«
Sie haben der Lehrerin ihrer Tochter Bescheid gegeben und diese hat einen Satz gesagt, den Manu nie vergessen wird: »Ich kann es kaum glauben, dass zwei Menschen, die ihr Kind so sehr lieben, sich gegenseitig nicht mehr lieben können.«
Sie versprach, das Mädchen zu beobachten, und meldete sich in Abständen bei den Eltern. Manu war sich sicher, dass ihr geliebtes Kind gut mit der Trennung umging. Sie hat sich zum Beispiel mit anderen Kindern von getrenntlebenden Eltern unterhalten und bekam so eine Bestätigung für das, was sie selbst empfand: Wenn Eltern getrennt leben, ist das gut und blöd zugleich. Gut, weil man zwei Zimmer hat und den einen Elternteil dann ganz für sich. Blöd, weil man sich ja wünscht, dass Mama und Papa zusammenwohnen.
Als sie ihre Tochter eingeweiht hatten, war bei beiden der Druck weg. Sie feierten ein harmonisches Weihnachtsfest und verabreden sich seitdem fernab jeglicher beziehungstechnischen Zwänge zum Abendessen oder Filmgucken.
DIE FRAGE NACH DER SCHULD STELLT SICH UNS NICHT
Manu und seine ehemalige Frau konnten sich immer in die Augen schauen. Sie haben beide viel Wert auf Fairness und Frieden gelegt, vor allem wegen ihrer Tochter. Aber auch um sich gegenseitig keine Steine in den Weg zu legen. »Die Schuldfrage stellte sich für mich nicht«, sagt mir Manu. »Ich habe ihr nie vorgeworfen, dass sie diejenige war, die sich getrennt hat, weil ich weiß, dass ich meinen Anteil daran habe. Sie hatte den Mut zu einem Schritt, den ich nie gehabt hätte. Ich hätte mich niemals getrennt, auch wenn ich es gewollt hätte. Und auch, wenn andere einen Schuldigen in unserer Beziehung suchen, lassen wir das nicht zu. Immer wenn jemand kritisch über meine Exfrau redet, dann sage ich: Nein, sie ist toll. Es geht nicht um Schuld. Weil ich ja weiß, dass ich Fehler gemacht und um Vergebung dafür gebeten habe.«
Ich frage mich, warum Manu so demütig und weise mit dem Thema umgehen konnte. Und dann frage ich ihn und bekomme erneut eine sehr rationale, aber auch auf wundersame »Manu-Weise« sehr relevante Antwort.
»Wie schon gesagt, wenn man zu lange damit hadert, dann tut das nicht gut. Ich habe diese Grenze bewusst gezogen. Was wäre denn die Alternative gewesen? Hätten wir zusammenbleiben sollen, bis unsere Tochter mit der Schule fertig ist? 15 Jahre nebeneinanderher leben, eine vergiftete Atmosphäre ertragen und dann trennen? Das hätte doch niemandem geholfen.«
Obwohl ich es gar nicht will, denke ich ganz kurz: »Vielleicht hätte es aber irgendwann wieder funktioniert?« Aber das sage ich nicht zu Manu. Ich ärgere mich auch über diesen Gedanken. Denn er sitzt in mir drin. Das liegt zum großen Teil an meiner frommen Prägung, die da vorsieht, dass Ehen für immer halten, und wenn etwas nicht funktioniert, dann sollen sich die beiden Ehepartner doch gefälligst zusammenreißen, auf Ursachensuche begeben und vor allem ordentlich beten. Dann klappt das schon. Und wenn es nicht klappt. Uiuiuiuiui. Dann ist irgendetwas faul.
Ich muss kurz lächeln. Eigentlich glaube ich das schon lange nicht mehr. Aber die Prägung (die durchaus auch ihre guten Seiten hat) hat ganze Arbeit geleistet: Es sitzt so tief drin. »Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.« Dieser Vers aus der Bibel, (Markus 10,9) kommt mir unweigerlich in den Sinn. Er ist ein wie so oft aus dem Kontext gerissener Wortfetzen von Jesus, der Menschen in Beziehungskrisen um die Ohren gehauen wird.
Zur Erklärung: Ich glaube zutiefst, dass eine Ehe auf Dauer angelegt ist und dass wir mit der tiefen Absicht in eine Beziehung starten sollten, dass diese möglichst lebenslang hält. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass wir Menschen an unseren Beziehungen arbeiten können, dürfen und sogar müssen. Das hat bei Weitem nicht nur geistliche, sondern vor allem auch psychologische Gründe. Die kann ich an dieser Stelle noch nicht so genau definieren, bin mir aber sicher, dass mir das im Laufe dieses Buches mithilfe meiner Gesprächspartner gelingt.
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