»Wem zum Vorteil?«: Angesichts von Verbrechen, historischen oder aktuellen politischen Geschehnissen ist die Frage, wer davon profitiert, folgerichtig, um auf eine erste Spur der Verantwortlichkeit zu kommen. Nur kann beim Suchen nach dem möglichen Motiv nicht stehen bleiben, wer wirklich aufklären will. »Wem das Verbrechen nützt, der hat es begangen«, wie Seneca in seiner Tragödie Medea schreibt, ist eben nicht die ganze Antwort. So verführt die eilig beantwortete Frage zum Fehlschluss.
In der Verschwörungstheorieecke blüht »Cui bono?« seit Langem als Pauschalerklärung für dies und das. Weil die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Krieg zogen, müssten sie hinter den Ereignissen stecken. Die Pharmaindustrie habe HIV auf die Menschheit losgelassen, um sich dadurch auf Jahrzehnte einen Absatzmarkt zu sichern. Dass jemand Nutznießer eines Umstands sein kann, ohne diesen verursacht zu haben, kommt den »Cui bono?«-Rhetorikern nicht in den Sinn. Komplexes lässt sich derart einfach zu hübsch auf simple Antworten reduzieren. Ein Beispiel: Die islamistischen Anschläge von Paris? Um Pegida-Demos zu verbieten!
USAund
Zionistenschüren damit antimuslimischen Hass! Wohnungen für Flüchtlinge werden dadurch freigemacht!
Lustigerweise geriet Pegida selbst unter »Cui bono?«-Beschuss. Ken Jebsen, Galionsfigur der Querfront-Friedensmahnwachen, mutmaßte, Pegida wurde von oben installiert. Damit werde gerechter Volkszorn kanalisiert, statt das System revolutionär zu erschüttern. [tp]
Der Geldfetisch ist in kapitalistischen Verhältnissen keine abnorme Vorliebe, sondern deren Grundlage. Er ist Ausdrucksmittel des Tauschwerts. Einen besonderen Fetisch beten die Besorgten wie viele andere Deutsche in der D-Mark an. Wenige Währungen sind symbolisch derart aufgeladen. Im Westen gilt die Deutsche Mark, ab 1948 Zahlungsmittel, als Zeichen von Wirtschaftswunder und nationaler Stärke. Die Rede von der harten Westmark bestimmte bald die Ereignisse von
89 89 1989 war das Jahr, in dem mächtig was los war im Osten. Die Leute gingen in vielen Städten auf die Straße, riefen unter anderem »Wir sind das Volk« und am Ende gab es keine DDR mehr − so die verkürzte Wahrnehmung. Die wackeren Gida-Montagsspaziergänger meinen, Parallelen zur Gegenwart zu erkennen. »Ihr habt es geschafft, dieses Unrechtsregime dahin zu schicken, wo es hingehört, auf den Müllhaufen der Geschichte«, ruft Michael Stürzenberger am Jahrestag des Mauerfalls 2015 von der Leipziger Legida-Bühne. Und legt den Zuhörern nahe, es ein gutes Vierteljahrhundert später wieder so kommen zu lassen. Ähnliches schwebt auch Redner Graziano vor, der hofft, »dass wir alle gemeinsam es doch schaffen werden, dieses Regime zum Umdenken zu bringen, genau wie damals vor der Wende 1989. Sowas kann sich von heute auf morgen ändern und ihr wisst es: Das geht ruckzuck.« Weil ein Häufchen Getreuer in Leipzig alleine nicht in der Lage ist, derart Großes zu vollbringen, fallen die Namen von Städten, in denen der Protest ebenfalls lodert: Chemnitz, Duisburg und Kassel sind zu hören, Stendal, Goslar, Gera. Es seien viele »Patrioten« regelmäßig auf der Straße, »die dieses Regime nicht mehr länger ertragen können«. Im »Regime« und den abendländischen Protesten dagegen findet am selben Tag eine weitere Rednerin nicht nur Parallelen. Eigentlich sieht sie keine Unterschiede mehr zwischen früher und heute: Leute werden von Arbeitgebern und Kollegen wegen ihrer politischen Meinung schikaniert, die Kanzlerin ist eine ehemalige IM ( Erika ), Parteien und Presse sind gleichgeschaltet. »Wir sind das Volk!« und »Merkel muss weg!« sekundieren die Zuhörer und sind sich sicher, dieses Regime knickt vor ihnen ein, wie 89 der DDR-Staatsapparat. [fr]
: »Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!« führten Demonstranten auf Transparenten mit. So wurde sie auch zum Symbol für die Wiedervereinigung. Den späteren Bezahlvorgang mit dem Euro empfanden hingegen viele als Schmach.
Bis heute wird der 1999 eingeführte Euro − die D-Mark war bis Dezember 2001 als Bargeld im Umlauf − als »Teuro« wahrgenommen. Tatsächlich führte die Währungsreform zunächst zur Verteuerung, auch weil Unternehmen die Umrechnung mit großzügigem Aufrunden zur Preissteigerung nutzten. Auf lange Sicht gebe es aber nur eine gefühlte Inflation, versicherte die Mehrheit der Ökonomen. Geholfen hat das nichts. Laut einer Umfrage der GfK-Marktforscher anno 2016 sollen noch 45 Prozent aller Deutschen bei Kaufentscheidungen in D-Mark umrechnen.
Nostalgie und Nationalismus: Euro und D-Mark sind auf Besorgtendemos gern gezeigte Insignien mit gegensätzlicher Symbolkraft. Der eine steht nicht nur für eine vermeintlich schwache Währung, sondern für den gesamten politischen Apparat der Europäischen Union. Die Mark erinnert an imaginierte bessere Zeiten und strahlt zugleich die Hoffnung aus, mit der D-Mark-Rückkehr würden solche wieder anbrechen. [tp]
Besorgt ist oft gleichzusetzen mit pauschal, wie sich an der zynischen Formulierung »Danke, Merkel!« zeigt. Mit der schließen Besorgte gern, nachdem sie auf Missstände hingewiesen haben. »Wir werden von muslimischen Asylanten überrannt!«, »Bald werden wir kein Weihnachten mehr feiern dürfen!«, »Alles geht den Bach runter, und zwar wegen der Flüchtlingspolitik in diesem Land!« − »Danke, Merkel!« Die Bundeskanzlerin fungiert dabei als so etwas wie eine Führerin mit negativem Vorzeichen: Eine Person, die alles (hin-)richtet.
Im September 2016 plante die AfD, Plakate mit dieser Phrase zu drucken, die direkt nach möglichen Terroranschlägen in Deutschland verbreitet werden sollten. Als Pauschalvorwurf an die Bundeskanzlerin und Verhöhnung der Opfer. Eine Facebook-Seite mit eben diesem Namen ironisiert den Beleidigte-Leberwurst-Ausdruck mittlerweile. Ob kaputte Bierflaschen, leere Klopapierrollen oder selbstverschuldete Fahrradunfälle − immer gilt: »Danke, Merkel!« [ng]
Sie wird umstandslos geliebt und ist Fixstern aller Debatten, ob besorgt-bürgerlich, staatstragend oder progressiv. »Pegida bekennt sich voll und ganz zum Grundgesetz, zur Demokratie und zum Rechtsstaat«, hieß es auf der Dresdner Bühne. Dieses Bekenntnis ist entweder Folge einiger Stangen Kreide, die Festerling für mediale Zwecke gefressen hat. Oder, das macht die Angelegenheit deutlich komplizierter, hier wird unter Demokratie etwas ziemlich Unübliches verstanden.
Im besorgten Oberstübchen ist alles recht einfach: Weil Demokratie Volkssouveränität heißt und sie und niemand anderes das
Volksind, müssten eigentlich die besorgten Bürger das Zepter schwingen. Wenn da nicht die
linksversifftediktatorische Elite wäre. Politiker seien eigentlich Angestellte des Souveräns, die nur leider ihren Dienst nicht tun, wie vom Volk geheißen. Diese gesinnungslosen und korrumpierten Angestellten drücken stattdessen ihren
Minderheitenterrorgegen das Volk durch. Angetrieben wird diese Argumentation vom Phantasma, tatsächlich und ohne Zweifel die Mehrheit zu repräsentieren.
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