Heute wird der Begriff medial demonstrativ noch von der Jungen Freiheit und anderen rechten (oder sächsischen) Zeitungen genutzt. Einige haben explizit verkündet, darauf zu verzichten. Die Nachrichtenagentur dpa ließ mitteilen, dass der Begriff angesichts der Praktiken selbsternannter Asylkritiker verharmlosend sei. Angestrengt nachgedacht wurde da allerdings nicht, denn die verkündete Alternative Fremdenfeindlichkeit ist aus ähnlichen Gründen schon seit Jahrzehnten dämlich falsch.
Bei Asylkritik handelt es sich um einen Euphemismus, mit dem menschenverachtende Inhalte und Taten als selbstverständliche Meinungsäußerung verharmlost werden. Das haben mittlerweile die meisten Beteiligten verstanden − Nazis und Besorgte, AfD und Pegida, weil sie genau das wollen; der lernfähige Teil der Öffentlichkeit, weil sie erkannt haben, was da passiert. Alle anderen sollten sich fragen, wo sie stehen. Anfangen könnte damit vielleicht der sächsische Verfassungsschutz. Anstatt entsprechende Diskussionen aufzunehmen, hat sich die Behörde entschlossen, gleich einen Begriffsapparat für ihre »Berichterstattung zur Asylthematik« zu entwickeln. »Asylbezogene Veranstaltungen« sind demnach dann »asylfeindlich«, wenn sie von »Rechtsextremisten« organisiert werden (
Extremismus). Ansonsten sind sie »asylkritisch«. Wie − so hat die Behörde messerscharf erkannt − Pegida, weshalb es da nichts zu beobachten gebe. Das scheint sächsische Staatsräson zu sein, denn der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) geht noch einen Schritt weiter, wenn er von einem irgendwie legitimen »Mantel der Asylkritik« spricht, unter dem illegitime Gewalt und Rassismus verdeckt würden; oder wenn er den Kern der Probleme in der »Auseinandersetzung zwischen Asylgegnern und Asylbefürwortern« entdeckt. Man könnte bei diesen Verhältnissen eine ausgewiesene »Sachsenkritik« entwickeln − wenn man es nicht besser wüsste. [mr]
christlich-jüdisch
Wer aufwacht, hat vorher geschlafen. Nun, mit offenen Augen, ist wieder ein frischer Blick auf die Welt möglich. Der Aufgewachte durchschaut, was läuft. Er ist kritisch bis unbequem, denkt selbst und plappert nichts nach. Dahinter steckt eine bestechende Strategie: Dieser kritische Geist ist qua seines Durchblicks in der Lage, auch den größten Stuss auf der Palette des Verschwörungsdenkens als
Wahrheitzu verkaufen.
Auf das Aufwachen folgt das Aufstehen. Den Aufstand − in Rekurs auf
89 89 1989 war das Jahr, in dem mächtig was los war im Osten. Die Leute gingen in vielen Städten auf die Straße, riefen unter anderem »Wir sind das Volk« und am Ende gab es keine DDR mehr − so die verkürzte Wahrnehmung. Die wackeren Gida-Montagsspaziergänger meinen, Parallelen zur Gegenwart zu erkennen. »Ihr habt es geschafft, dieses Unrechtsregime dahin zu schicken, wo es hingehört, auf den Müllhaufen der Geschichte«, ruft Michael Stürzenberger am Jahrestag des Mauerfalls 2015 von der Leipziger Legida-Bühne. Und legt den Zuhörern nahe, es ein gutes Vierteljahrhundert später wieder so kommen zu lassen. Ähnliches schwebt auch Redner Graziano vor, der hofft, »dass wir alle gemeinsam es doch schaffen werden, dieses Regime zum Umdenken zu bringen, genau wie damals vor der Wende 1989. Sowas kann sich von heute auf morgen ändern und ihr wisst es: Das geht ruckzuck.« Weil ein Häufchen Getreuer in Leipzig alleine nicht in der Lage ist, derart Großes zu vollbringen, fallen die Namen von Städten, in denen der Protest ebenfalls lodert: Chemnitz, Duisburg und Kassel sind zu hören, Stendal, Goslar, Gera. Es seien viele »Patrioten« regelmäßig auf der Straße, »die dieses Regime nicht mehr länger ertragen können«. Im »Regime« und den abendländischen Protesten dagegen findet am selben Tag eine weitere Rednerin nicht nur Parallelen. Eigentlich sieht sie keine Unterschiede mehr zwischen früher und heute: Leute werden von Arbeitgebern und Kollegen wegen ihrer politischen Meinung schikaniert, die Kanzlerin ist eine ehemalige IM ( Erika ), Parteien und Presse sind gleichgeschaltet. »Wir sind das Volk!« und »Merkel muss weg!« sekundieren die Zuhörer und sind sich sicher, dieses Regime knickt vor ihnen ein, wie 89 der DDR-Staatsapparat. [fr]
auch schon mal
Wende2.0 genannt − können freilich nicht einzelne nachdenkliche Zeitgenossen stemmen. Dafür braucht es entflammte Massen. Das Leiden des Aufgewachten stammt nicht vom Spott der Zeitgenossen − der ist ihm Bestätigung. Er leidet daran, dass so viele noch schlafen und sich einlullen lassen. Würden alle aufwachen und aufstehen, dann könnte man sich wehren, zur Mistgabel greifen und den Eliten zeigen, was man von ihnen hält. So aber bleibt der Erwachte der einsame Rufer in der Wüste, der tagein, tagaus unermüdlich das Flämmchen der Erleuchtung am Leben erhält. [fr]
Umvolkung
Gutmensch
Deutschland GmbH
Besorgte sind immer auch Bürger − ausschließlich. Sie sind keinesfalls etwas anderes, beispielsweise Neonazis, Landtagsabgeordnete oder Rassisten, sind »weder rechts, noch links« (
Mitte), »weder für die eine, noch für die andere Seite«. Nach ihrem Selbstverständnis verkörpern sie eine neutrale Zone innerhalb allen politischen Geschehens und äußern aus diesem zentral gelegenen Vakuum lediglich ihre
Sorgenund
Ängste. Nun ist der Standort zwar recht bequem, sich mit »gesundem Menschenverstand« selbst aus jeglichem Kontext herauszunehmen und von einer behaupteten neutralen Position aus zu sprechen, das bleibt aber Verschleierungsstrategie oder schlichtweg idiotisch.
Das Wort Idiot leitet sich vom altgriechischen Begriff für eine Privatperson ab, die zwar öffentliche Ämter wahrnehmen könnte, es aber nicht tut. Ihr Gegenstück war der polites − eine Figur, auf die bis heute Überlegungen zur Stellung des Bürgers in einer demokratischen Gesellschaft zurückgreifen. Die idiotische Sphäre war die des oikos , also der Wirtschaft im Sinne der Reproduktion und Überlebenssicherung. Als gäbe es eine begriffsgeschichtliche Kontinuität vom Idioten der griechischen Polis zum besorgten Bürger, begründen auch letztere ihren aufgewühlten Gemütszustand mit der Sorge ums alltägliche Überleben und verweisen auf die Cent-Stücke (
D-Mark), die vom vielen Umdrehen bereits abgegriffen sind. Im Zustand ihrer seelischen Aufwallung bemerken sie jedoch nicht, dass sie sich das Politische zueigen machen und es gleichzeitig ablehnen − und so zu dialektisch oszilierenden Subjekten werden.
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