Ein wehmütiges, aber dennoch zuversichtliches Lächeln spielte momentan um seine Lippen. „Lassen Sie mich hören!“ nickte er freundlich.
Sie liess das Haupt wie müde zur Brust sinken und starrte nachdenklich auf das bunte Teppichmuster zu ihren Füssen nieder: „Leider Gottes war mein Vater schon ein reicher Mann, als ich geboren wurde“, begann sie herbe, „und meine Erziehung ist das Resultat seines Parvenüdünkels, welcher von sich und seiner Familie alles fernhielt, was an die niedrige Vergangenheit erinnerte. Die Arbeit, welcher er seinen Reichtum verdankte, verachtete er, weil sie der Lebensinhalt des niedrigen Mannes ist, und jedwede praktische und nützliche Beschäftigung hielt er schmachvoll für die Tochter eines Millionärs, welche Dienstboten genug befehligt, ihre Wünsche sofort erfüllt zu sehen. Meine Mutter war krank und schwach, sie drang mit ihren Ansichten nicht durch und ich ward, was ich jetzt leider Gottes bin, ein unwissendes, hilfloses, nutzloses und überflüssiges Geschöpf. — Ich habe weder ein Examen gemacht, noch so viel gelernt, um es vielleicht jetzt noch nachholen zu können; nicht einmal zur Kindergärtnerin würde ich brauchbar sein, denn ich bin ungeduldig und unduldsam und würde mich niemas in die Rolle einer Untergebenen fügen können. Daran scheitert auch die Möglichkeit, Gesellschafterin zu werden. Wer mag ein unliebenswürdiges, verbittertes und launenhaftes Geschöpf um sich sehen, welches gewöhnt ist, zu befehlen, ohne selber gehorchen zu können. — Vom Haushalt oder wirtschaftlichen Arbeiten habe ich keine Ahnung und gestehe es Ihnen zu meiner Schande ein, dass ich nie im Leben eine Küche betreten habe. Das hielt ich selber unter meiner Würde, denn da ich in den Ansichten meines Vaters erzogen wurde, habe ich dieselben ganz natürlicherweise auch zu den meinen gemacht! — Ich kann also nichts, gar nichts, weder nähen, noch stricken oder kochen, kann nicht malen, nicht unterrichten. Das einzige, was meine ungeschickten Finger als ‚nobele Passion‘ betreiben durften, war Musik. Ich leiste auch nicht viel im Klavierspiel, aber doch genug, um meinen Gesang zu unterstützen, denn eine Gabe legte auch mir die Natur in die Wiege — eine Stimme, welche in viel teuren Stunden geschult wurde, und welche vielleicht für das Theater ausreicht —!“
„Für das Theater?!“ — Hans zuckte leicht empor und blickte die Sprecherin fast entsetzt an: „Was verstehen Sie darunter, Vicomtesse? — Wollen ... wollen Sie etwa zur Bühne gehn?!“
Sie hob resolut das schöne Haupt, ihr Blick war finster, und die alte Bitterkeit durchklang abermals ihre Stimme: „Ja, ich will zur Bühne!“ wiederholte sie beinahe heftig, „denn mir bleibt keine Wahl! Sie haben meinen Entschluss bereits durch Ihr erschrockenes Gesicht und den Ausdruck Ihrer Stimme gerichtet! Sie sehen die leichtsinnige Tochter des leichtsinnigen und gewissenlosen Vaters bereits untergehen in den Flammen, welche das Schicksal auch heutzutage noch über die verderbten Sodomskinder regnen lässt!“ — Sie biss die Zähne zusammen und lachte scharf auf: „Ich kenne die Bühnenlaufbahn, mache mir keine naiven Vorstellungen und betrete resigniert einen Weg, auf welchem man Schmetterling sein muss, um manchen Abgrund überschweben zu können!“
„Warum werden Sie nicht Konzertsängerin?!“
„Weil diese Carriere sehr langsam und unergiebig ist. Ich muss Geld verdienen — eine Konzertsängerin aber braucht viele, lange Jahre, ehe sie sich einen Namen macht und bezahlt wird. Die Opernsängerin hat feste Gage und hat täglich Gelegenheit, sich dem Publikum bekannt zu machen und vorwärts zu kommen! Warum sehen Sie mich so wunderlich an? — Zweifeln Sie etwa an meinen Erfolgen?“
„Ja, ich zweifle stark daran!“
„Und warum? Hörten Sie mich je singen?“
„Nein.“
„Nun also! Was befürchten Sie? Bitte, seien Sie ehrlich und wahr!“
„Ich befürchte, dass gerade die Bühnenlaufbahn sehr wenig geeignet ist für eine Dame, welche nicht Gesellschafterin werden will, weil sie sich da dem Willen einer Gebieterin fügen muss. Einer einzigen Dame! Die Theatercarriere aber ist ein unaufhörliches Sichfügen, Ducken, Demütigen, ein Gehorchen, Bitten und Flehen! — Sie haben nicht eine feine, gebildete Dame zur Brotherrin, deren Wünschen Sie sich unterordnen, sondern eine Reihe der egoistischsten, kaltberechnendsten und rücksichtslosesten Männer, deren Wesen sich von der Energie des Direktors bis zur Roheit des Coulissenschiebers variiert! — Sie sind nicht sogleich Diva, — Sie sind lange Jahre Anfängerin. Sie müssen Rivalinnen neben sich dulden, welche die schöne, vornehme und geistvolle Genossin in Ihnen hassen werden! Man wird Sie und Ihren Stolz kränken bis zur Schmach! Der Weg, welchen Sie gehen wollen, Vicomtesse, ist nicht so blütenreich, wie es für den Fernstehenden den Anschein hat, und ich fürchte, er führt Sie, anstatt empor, so tief hinab, dass Sie für Kreise, darinnen eine Gräfin Saint Lorrain verkehrsberechtigt ist, ein für allemal verloren sind!“
Aglaës kleine Hand, welche in ihrem Schosse lag, erzitterte unmerklich. Sie schüttelte aber energisch das Köpfchen: „Ihre Sorge um mich lässt Sie zu schwarz sehen! Ich habe viele Freundinnen und Freunde beim Theater, welche mir gewiss sehr schnell empor helfen werden!“
„Diese Illusion ist die erste Klippe, an welcher Sie scheitern werden!“
„Warten wir’s ab. — Jedenfalls will ich lieber alles ertragen und dulden, ehe ich von Almosen lebe oder eine dienende Stellung annehme!“
„Sie sprechen von „Ertragen und Dulden“ wie der Blinde von der Farbe! — Haben Sie schon jemals im Leben gehungert? Haben Sie gefroren in dem Bewusstsein, zu arm zu sein, um den Ofen heizen zu können?!“
„Nein, — wie sollte ich!“
Er trat wie in leidenschaftlicher Angst näher und fasste beschwörend ihre Hände: „Aglaë! Seien Sie kein unvernünftiges Kind, welches blindlings in sein Verderben rennt! Ich weiss es, wie bitter die Armut, das Notleiden und Entbehren ist — ich, der willensstarke, körperlich abgehärtete Mann bin in dem Kampf um das Dasein beinahe unterlegen, — wie viel mehr werden Sie, die zarte, sonnenlichtverwöhnte Blüte in solchem Sturm zu Grunde gehen!“
Sie sah ihm voll in die Augen — ein warmer, dankerfüllter Blick, welcher dennoch durch Thränen glänzte.
„Sonnenlichtverwöhnte!“ wiederholte sie leise, — „o nein, Hans, ich bin nicht so verwöhnt, wie es wohl der Welt gegenüber den Anschein hat! Ich habe in der Dunkelheit eines Lebens, dem keine Sonne von Liebe und Glück gestrahlt, manch heimlich Leid erduldet, ich habe an der eigenen Herzenskälte gefroren bis in die Seele hinein! Und doch spielte ich die grosse Comödie der beneidenswerten glücklichen Frau! — Haben Sie meine bösen, frivolen Worte von damals ganz vergessen? — Ich habe sie wahr gemacht, Hans, und habe eine Maske vor das Antlitz gelegt, welche alle Welt getäuscht hat! — Man muss in der Welt Comödie spielen, um zum Ziel zu gelangen, — das sagte ich schon damals und wiederhole es auch heute aus vollster Überzeugung. Und ich will mich auch jetzt wieder danach richten, will weiter Comödie spielen, nicht nur auf der grossen Schaubühne des täglichen Lebens, sondern auf den Brettern, welche die Welt bedeuten! Warum sorgen Sie sich um mich? Ich bin ja eine so gute Comödiantin! Ich habe mir den Titel einer Vicomtesse von Saint Lorrain erspielt, warum nicht auch mein täglich Brot? — Und ob ich dem Sturm gewachsen bin? — Eine schwache Birke ist biegsamer als ein starker Eichbaum, jener wird leichter herabgesplittert in den Staub als sie! — Und nun seien Sie bedankt, lieber Hans, für alles, was Sie mir in dieser traurigen Stunde Liebes gesagt! — Sagen Sie es auch Ihren braven Eltern! Mich aber überlassen Sie getrost meinem Schicksal — mir sind Schmetterlingsflügel gewachsen, die tragen leichter über die Miseren des Lebens hinweg, als Sie glauben!“
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