Heisse Glut steigt in die farblosen Wangen der jungen Frau. Stolz, Eitelkeit, brennende Scham! Ihr Trotz ist aber noch ungebrochen, und jener Bettelhochmut, den sie früher so oft verspottet, der zeichnet nun auch ihr sein finster Mal auf die Stirn. Mit gefalteten Brauen und einem gereizt aufsprühenden Blick starrt sie auf den Diener, welcher zwischen den Portieren steht.
„Was wollen Sie?“
„Gräfliche Gnaden, es ist ein Herr drunten, welcher sich absolut nicht abweisen lässt. Er hat mir befohlen, seine Karte abzugeben und ihn bei Frau Vicomtesse zu melden.“
„Welche Zudringlichkeit! — Vielleicht ein Käufer oder Auktionator, welcher mich persönlich behelligen will! — Zeigen Sie die Karte, wie heisst er?“
Unwirsch nimmt sie das weisse Blatt entgegen. Sie zuckt zusammen, ihr Haupt neigt sich jählings vor, ein scharfes, höhnisches Lächeln spielt um ihre Lippen. „Doktor Hans Burkhardt!“ murmelt sie lesend. Und dann steht sie da, schwer atmend, mit zitternden Lippen.
„Darf ich den Herrn eintreten lassen, Gräfliche Gnaden?“
Ein flammender Blick trifft den Frager: „Nein!“ ruft sie leidenschaftlich, „tausendmal nein! — Bestellen Sie, ich sei für niemand zu sprechen, für niemand!“
„Befehl!“
Die Portiere schliesst sich; wie ein Aufstöhnen ringt es sich aus Aglaës Brust!
Auch er kommt, sie durch sein Mitleid zu demütigen, auch er kommt, sich an ihrem Elend zu weiden! — Was soll er, der arme Schlucker, der wohl eine grosse Entdeckung machte, aber keine Millionen erwarb, was soll er wohl anderes bei ihr wollen? — Helfen kann er ihr nicht, Trost und Mitleid will sie aber nicht! Und sie will dem „berühmten Mann“ nicht die Genugthuung gewähren, dass er sich schulmeisternd vor sie hinstellt und ihrer Comödie eine Kritik schreibt! Sie ist und bleibt die Vicomtesse von Saint Lorrain, die Trägerin eines der vornehmsten Namen, den ihr keine Macht der Welt, weder Armut noch Elend und Verlassenheit rauben können und er wird ewig der Sohn eines armen Pächters bleiben, wenn er auch zehnmal Professor wird! — Sie wird nie vergessen können, dass er auf dem Besitztum ihres Vaters der Sohn eines Untergebenen war, dass ihr Platz im Schloss, der seine nur im Pachthaus gewesen!“
Noch ist ihr Stolz durch diesen Schicksalsschlag nicht zerschmettert, und Aglaë räumt niemand, selbst Hans Burkhardt nicht, das Recht ein, sie zu bemitleiden und sich über sie zu erheben!
Ein Gefühl leidenschaftlichen Ingrimms überkommt sie, der sinnlose Trotz eines Kindes, welches dem Abgrund entgegen läuft und dennoch eigensinnig nach der Hand schlägt, welche es rettend erfassen will.
Ein lauter Schritt im Nebenzimmer.
Aglaë wendet jäh das Haupt und starrt auf die Portiere, welche mit energischer Hand zurückgeschlagen wird. Leichenblässe bedeckt ihr Antlitz, sie krampft die Hände zusammen und ringt nach Atem.
Vor ihr steht Hans Burkhardt.
Was hast du in dem Spiel gewonnen?
Was blieb der wunden Brust?!
Eichendorff.
Wie ein Aufschrei klingt sein Name von ihren Lippen: „Hans! Hans Burkhardt!!“
Sein Antlitz war düster, jetzt hellte es sich plötzlich auf zu einem strahlenden Lächeln. Hastig trat er näher und reichte ihr beinahe ungestüm die Hand entgegen. „Es erstaunt und überrascht Sie, mich zu sehen, Frau Vicomtesse?!“ ruft er, „Gott sei Lob und Dank! So habe ich also doch mit meiner Vermutung recht gehabt, so hat man mich Ihnen gar nicht gemeldet, weil Sie jeden Besuch abweisen lassen! So haben Sie mich nicht auch fortgeschickt, wie jeden Fremden, und ich that recht daran, hier einzudringen, wo meine Anwesenheit zur Zeit notwendig ist!“
Sie hatte sich gefasst, kalt und stolz musterte sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle und umschloss mit bebenden Händen fest die Lehne des vor ihr stehenden Stuhls, ohne von seiner dargebotenen Rechten Notiz zu nehmen.
„Sie irren!“ antwortete sie mit fast feindseligem Blick, „Sie sind mir gemeldet worden wie jeder, der hierher kommt, mit dem Verlangen, sich persönlich zu überzeugen, dass die Vicomtesse von Saint Lorrain wahrlich das stolze Genick gebrochen! Da liegt Ihre Karte, Herr Burkhardt! Ich war allerdings durch Ihren Anblick in hohem Grade überrascht, weil ich es nicht für möglich hielt, dass ein Herr und Kavalier die Thürschlösser einer Dame gewaltsam sprengt, wenn er nicht freiwillig von derselben Eintritt erhält!“
„Aglaë!“ — Halb entsetzt, halb unwillig klang es. Er sah sie einen Augenblick an, als verstehe er sie nicht, dann trat eine tiefe Falte zwischen seine Brauen, und gleichsam, als zwinge er sich, seine Ruhe zu wahren, antwortete er kühl: „Da Frau Vicomtesse den Besuch eines langjährigen Freundes und Spielkameraden so schroff ablehnen, darf ich wohl notgedrungen darum bitten, geschäftlich mit Ihnen verhandeln zu dürfen. — Herr Sauthing, welcher zur Zeit in seinem Büreau unabkömmlich ist, verwies mich direkt an Sie, da meine Pflicht mich schon mit dem nächsten Zug wieder von hier abruft. Herr Sauthing schien wohl einen andern Empfang vorausgesetzt zu haben, sonst hätte er mich Ihnen gewiss als ‚unabwendbares Übel‘ annonciert!“
Erstaunt blickte die junge Frau auf, ihre Haltung war noch immer eine unnahbare. „Geschäftlich? Was haben Sie Geschäftliches mit mir zu besprechen?“ Sie betonte das Wort „Sie!“ so spöttisch herausfordernd, dass ihm das Blut ins Antlitz schoss; der geübte Blick des Arztes erkannte aber sofort, dass er es mit einer nervös überreizten und durch das Unglück kopflos gemachten Dame zu thun habe, mit welcher man nicht rechten darf. Er legte gelassen seinen Hut nieder und antwortete ebenso spottend wie sie: „Das ist eine längere Geschichte, und obwohl Sie mir noch keinen Stuhl angeboten, Frau Vicomtesse, bitte ich dennoch um die Erlaubnis, mich setzen zu dürfen. Ich durchwachte die Nacht an einem Krankenbett und nahm mir auch am Tage keine Zeit zum Ruhen, da mich die Depesche meines Vaters und mein eigenes, aufrichtigstes Mitgefühl unverzüglich hierher zu Ihnen trieb! Hätte ich allerdings geahnt, wie überflüssig dasselbe hier ist, ich hätte mich weniger abgehetzt, um Ihnen zu Hilfe zu eilen!“
Aglaës Antlitz färbte sich höher, sie nahm schwer atmend ihm gegenüber Platz und vermied es, ihn anzusehen. „Hilfe?“ lachte sie bitter auf, „mir kann nur Hilfe durch Gold und Silber werden — und ... verzeihen Sie das harte Wort — ein Mann, der selber unterstützt wird, kann unmöglich ein Füllhorn Hunderttausender ausschütten!“
Er lächelte beinahe amüsiert: „Sehr richtig, ich bin nach wie vor ein armer Schlucker, der vorerst noch gerade genug zu thun hat, um sich selber über Wasser zu halten, aber Sie vergessen, Frau Vicomtesse, dass ich noch einen Vater besitze!“
Sie blickte schnell auf, lehnte hochmütig den Kopf zurück und kniff die Augen zusammen, als habe sie ihn nicht recht verstanden. „Ihr Vater? ... Wie sollte der Pächter meines Gutes in der Lage sein, mir Hilfe zu leisten! Höchstens durch Rat und That — und mit dieser Münze lasse ich mich gerade jetzt durchaus nicht unterstützen. Ich bin meine eigene Herrin, und mein Lebensweg ist mir klar und sicher vorgezeichnet — es bedarf also keinerlei fremder Einmischung.“
„Um so besser!“ Aglaë schlug unwillkürlich die Augen nieder vor dem Blick, welcher sie traf. „So wird meine Mission hier um so kürzer sein. Es scheint, dass Herr Sauthing Sie von den letzten Ereignissen in Moosdorf noch nicht unterrichtet hat?“
„Ereignissen in Moosdorf? Heute ist die Herrschaft unter den Hammer gekommen, es können noch keine Nachrichten von dem Resultat hier sein.“
„Sie unterschätzen unsere Telegraphen. Wollen Frau Vicomtesse sich überzeugen?“
Sie griff hastig und sehr erregt nach der Depesche, welche er aus der Brusttasche zog. Ihre Hand bebte dermassen, dass sie das Papier kaum öffnen konnte. Mit stockendem Herzschlag las sie: „Habe soeben Moosdorf käuflich erworben, ohne Hypothek wird es allerdings nicht abgehen. Reise augenblicklich zu unserer armen Aglaë ab und sage ihr, was ich dir schon brieflich mitteilte. Burkhardt.“
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