Ben Brighton, der jede Geste registrierte und versuchte, zu verstehen, was die Zwillinge und die Fischer radebrechten, erfuhr weitere Einzelheiten.
„Hundertzwanzig Leute wohnen in dem Dörfchen“, erklärte Philip. „Es fahren nicht viele fremde Schiffe in diesen Gewässern, aber ein paar haben die Eingeborenen schon kennengelernt. Sie haben auch den Holländer gesehen. Willem van Stolk segelte weit draußen, später als wir, südwärts.“
„Sie verwechseln die Schiffe nicht?“ fragte Ben.
„Das versuchen wir gerade herauszufinden. Wahrscheinlich ist Ruthland wirklich, etwa gleichzeitig, vorbeigesegelt.“
„Merkwürdig. Wir haben weder ihn noch den Niederländer gesehen“, sagte der Erste.
„Ich erzähle nur, was die Fischer uns gesagt haben. Aber ich frage weiter“, entgegnete Philip.
Mac Pellew suchte sich die besten Leckerbissen aus und opferte insgesamt fünf kleine englische Silbermünzen. Beide Handelspartner schienen hoch zufrieden zu sein. Die Fischer sahen ein, daß sie ihre Fische nicht loswurden, sondern selbst braten mußten. Die Zwillinge gestikulierten und fragten weiter, aber sie erfuhren nichts Wichtiges mehr.
Die Eingeborenen schienen so scharfe Augen wie Dan zu haben. Die Schiffe waren in großer Entfernung gesegelt, und niemand hätte sie gesehen, wenn die Auslegerboote nicht so weit draußen gefischt hätten. Nur zwei der Boote, die gestern weitab der Bucht zum Fischen ausgefahren waren, befanden sich jetzt hier, die anderen Männer waren in ihren Häusern.
„Jedenfalls waren es zwei Karavellen“, sagte Philip schließlich. „Einer davon war Ruthland. Wir suchen also im Süden weiter.“
„Alles, was wir wissen“, schränkte sein Bruder ein, „ist, daß wir nicht wieder zurückzusegeln brauchen. Ich versuche, etwas über das Fahrwasser zu erfahren. Wenn sie das überhaupt wissen.“
Der Lärm scheuchte die Hälfte der Crew an Deck. Die wenigen Neuigkeiten wurden weitergegeben. Falls der Wind nicht bald drehte, würden sie wieder kreuzen müssen.
Blacky und Paddy Rogers schleppten zusammen mit Mac die Körbe und Schalen unter Deck.
Hasard rief ihnen nach: „Die Verpackung ist im Preis inbegriffen. Klar?“
„Verstanden“, antwortete Paddy.
Ben Brighton sagte zu Carberry: „In einer Stunde gehen wir ankerauf und suchen weiter. Befehl vom Kapitän, der nur geweckt werden will, wenn es Schwierigkeiten gibt. Klar, Ed?“
„Aye, Sir. Vorher noch Backen und Banken?“
„Selbstverständlich.“
Die Zwillinge winkten den beiden Booten nach, die gewendet hatten und zum Ufer zurückgepullt wurden. Mehr war nicht zu erfahren. Die Schebecke, das hatten die Eingeborenen deutlich zu erkennen gegeben, war ein seltener Gast in der Bucht. Noch nie hatte ein so großes Schiff hier geankert. Vor den hünenhaften Weißen hatten die Inder nicht die geringste Scheu. Es gab nichts mehr zu verkaufen, also stieß ein Boot nach dem anderen von der Bordwand ab.
Zuletzt das große Auslegerboot, mit dessen Mannschaft die Zwillinge sich am längsten „unterhalten“ hatten.
„Gut Wind wünschen sie“, übersetzte Philip.
„Gut Fischfang“, sagte Carberry.
Er blickte der langgezogenen Reihe der Boote nach und sah, daß der Rauch zwischen den Hütten nicht in die Höhe stieg, sondern schräg abtrieb und wie eine Nebelschicht in Höhe der Baumwipfel über den Uferstreifen verteilt wurde. Jetzt roch es auch an Deck nach frischem Tee.
„Frisches Fladenbrot!“ rief Mac Pellew. „Holt euch das Frühstück, Leute!“
Die Segel waren getrimmt, als die Schebecke ihren Bug nach Südosten gedreht hatte und langsam aus der Bucht glitt.
„Und was jetzt, Ben?“ fragte der Profos. „Wieder einen langen Tag in unbekanntem Gewässer suchen?“
Der Erste nickte nachdenklich und rief ein paar Aufmunterungen in Richtung der Deckswache.
„Hasard gibt nicht eher auf, bis er Ruthland gefunden hat. Das wissen wir alle. Schließlich hat uns kaum einer so übel mitgespielt wie dieser Hundesohn.“
„Meinst du, daß Ruthland vor uns flieht? Oder sucht er genauso wie wir, weil er uns haßt, dieser Affenarsch?“ erkundigte sich der Profos.
„Er haßt uns, insbesondere Hasard“, erwiderte Ben Brighton. „Wenn er einen anderen findet, der ihm hilft, wird er sich mit dem zusammentun. Ihm ist jedes Mittel recht. Genau das wird passieren – denk dran, was ich gesagt habe.“
Die Schebecke hatte rasch Fahrt aufgenommen. Die Segel standen gut. Es regnete noch immer, und es sah nicht so aus, als würde sich das in den nächsten Stunden ändern.
Carberry dachte lange darüber nach und meinte schließlich: „Du hast recht, Ben. Je eher wir den Hundesohn finden und ihm unser Stückmeister seine eisernen Grüße schickt, desto besser. Ich hoffe, daß wir genauer treffen als er.“
„Die Arwenacks schließen sich dieser Hoffnung an“, bestätigte der Erste und holte das Spektiv aus der Rocktasche.
Er zog es auseinander und hob es ans Auge. Irgendwie ahnte er, daß die lange und beschwerliche Suche ohne rechtes Glück noch weiterging.
Der Golf von Cambay war groß. Und voller Gefahren …
ENDE
Dichter Nebel lag über der See, die mehr denn je wie flüssiges Blei wirkte. Kaum eine Welle trübte die spiegelglatte, dunkle Fläche.
Der Wind war eingeschlafen. Schlaff und von der Feuchtigkeit des morgendlichen Dunstes glänzend, hing das Tuch von den Rahen. Irgendwo tropfte Wasser auf die Planken, der Laut hallte dumpf durch die Stille, nur hin und wieder von einem gespenstischen Ächzen und Knarren aus der Takelage begleitet.
Die Sonne schimmerte fahl durch den Dunst, der sich zum Nieselregen verdichtete, die Sicht reichte kaum weiter als siebzig Schritt.
Nach dem dritten Doppelschlag der Schiffsglocke erschien der Kapitän an Deck. Er ging seine Runde, und selbst Hagel und Blitzschlag hätten ihn nicht von dieser Gewohnheit abhalten können.
„Keine Vorkommnisse!“ meldeten die Wachen. Wegen des schlechten Wetters hatte Garcia ihre Zahl verdoppelt.
Der Kapitän herrschte einen der Männer auf dem Achterdeck an: „Du kennst Wind und Wolken besser als jeder andere. Wie lange hält die Flaute an?“
„Ich weiß nicht, Señor Capitán“, antwortete Julián Carmona, der aussah, als habe er die Schwindsucht. Seine von Bartstoppeln übersäte lederartige Haut spannte sich straff über die kantig hervortretenden Wangenknochen. Carmona hatte nie den Ehrgeiz gehabt, mehr als nur Decksmann zu sein.
Ungeduldig klopfte Garcia mit dem Degen gegen seine Stiefel.
„Wir setzen die Boote aus!“ befahl er. „Die ‚Aguila‘ wird in Schlepp genommen.“
„Si, Capitán.“
„Ich erwarte, daß die ‚Aguila‘ in spätestens einer halben Stunde wieder Fahrt läuft. Die Männer sollen pullen, bis sie umfallen.“
„Natürlich, Capitán.“
César Garcia verharrte an der Steuerbordverschanzung. Vergeblich versuchte er, die träge dahintreibenden Nebelschwaden mit seinen Blicken zu durchdringen. Nur wenige Meilen querab erhob sich eine der schönsten Inseln dieses Gebietes. Der schneebedeckte Gipfel des erloschenen Vulkans war bei besserem Wetter weithin zu sehen.
Endlich wurden Stimmen laut, und Männer erschienen auf der Kuhl, um die Boote abzufieren. Garcia haßte die Ruhe an Bord ärger als die Pest, er brauchte stets Bewegung um sich her. Schließlich war die „Aguila“ ein Kriegsschiff Seiner Majestät Philipp III. von Spanien und keine Handelsgaleone, auf der jeder Schlendrian durchging.
Obwohl die Decksleute schnell und präzise arbeiteten, war Garcia überzeugt, daß sie noch nicht ihr Letztes gaben. Er winkte den ersten Offizier zu sich heran.
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