Außen wird die naturnahe Materialisierung aus erdigem Kratzputz von einem Skelett aus filigranen Glasfaserbetonelementen zusammengehalten. Ein einheitliches Fenstermodul bespielt die unterschiedlichen Fassaden: Ralph Brogles und Marco Zbindens Sprossenfenster wurden als zweiteilige Schiebefenster mit Minimalprofilverglasungen ausgebildet. In den überdachten Bereichen lassen sie sich bei Bedarf komplett in einer Wandtasche verstauen.
von Katharina Matzig
Zu den Gretchenfragen in der Architektur gehören vermutlich die folgenden beiden: Sprossenfenster: ja oder nein? Grundriss- und Fassadensymmetrie: ja oder nein? Die Antworten scheinen klar: nein. Und nein. Nicht im Jahr 2020. Das war es dann mit dem Auftrag am Zürichsee. Schade.
Es sei denn, die beauftragten Architekten heißen Ralph Brogle und Marco Zbinden. Deren Büro heißt ganz offensichtlich nicht nur Think Architecture, die Architekten agieren auch dementsprechend: Sie denken erst, bevor sie planen und bauen. Sie machen es sich nicht leicht und werfen ihre Prinzipien nicht über Bord, nicht für Honorar. Sodass aus einem Sprossenfenster ein ästhetisch anspruchsvolles, filigranes und minimalprofiliertes Schiebeelement wird. Und aus einem symmetrischen Haus ein Solitär, der elegant und durchaus auch repräsentativ ist, wie es sich auf einem solch großen Grund gehört. Was hätte hier alles schiefgehen können! Entstanden jedoch ist eine wunderbar wohnliche und einladende Villa. Sie bietet öffentliche Räume ebenso wie private Rückzugsbereiche. Sie protzt nicht, sie prunkt nicht: Wertig und wohlproportioniert behaust sie eine Familie.
Quod erat demonstrandum: Man kann Ja zur Symmetrie sagen. Und Ja zum Sprossenfenster. Statt eines lebensfernen hierarchischen Ordnungssystems entwickelte Think Architecture ein Haus, das seine Bewohner nicht auf Distanz hält und Benehmen verlangt, sondern in dem es sich leben lässt. Sehr gut vermutlich.
Wenn Architekten sich so souverän in der Architekturgeschichte bewegen und Elemente der Antike, der Renaissance und des Barock so zeitgemäß und qualitativ hochwertig zu interpretieren wissen, dann ist das anerkennenswert. Wer die Vergangenheit in die Zukunft denkt, vor dem verneigt sich die Jury.
Eine abgesenkte Außenlounge rahmt den Baum im Hof. Er markiert den Abschluss einer Reihe von symmetrisch ausgerichteten Repräsentationsräumen, die die gesamte Tiefe des Hauses bereits beim Eintritt erlebbar machen.
Das Schlafzimmer
Im Uhrzeigersinn: Küche; Enfilade Wohnen, Hof, Küche; Blick in den Wohnraum; Veranda
„Wir stellen grundsätzlich vermehrt fest“, meint Marco Zbinden, „dass Bauherren über soziale Medien wie Pinterest oder Instagram bereits viele Eindrücke gesammelt haben, wie ihr Haus, gewisse Räume, Materialien und sogar Details aussehen sollen. Wir finden es positiv, wenn sich die Bauherrschaft bereits intensiv mit ‚guter‘ Architektur befasst hat und eine Vorstellung hat, was ihr gefällt. Unsere Aufgabe wird neben dem Kreieren von Räumen jedoch vermehrt auch das Kanalisieren von Ideen und das Aufzeigen, welche ‚Bilder‘ wie interpretiert werden können. Nur so entsteht mehr als eine Reproduktion und Addition von Gesehenem. Bei diesem Projekt hat das sehr gut geklappt.“ Stimmt.
Querschnitt
Längsschnitt
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Untergeschoss
Material/Hersteller: Außenwand/Fassade: Betonelemente, Elementwerk Istighofen, Istighofen, Kratzputz, Isi & Hegglin, Stäfa | Fenster: Filigranverglasungen Sky-Frame, Frauenfeld | Sonnenschutz: Spezialanfertigung, MD-Morandi, Erlenbach | Innentüren: Schreinerei Burger, Endingen | Beschläge: USW Piet Boon | Parkett und Laminat: DiLegno Fischgrätparkett in Eiche, Woodrangers, Meilen, Kolly & Schweizer, Höri | Fliesen und Naturstein: Solid Nature | Armaturen: Dornbracht Tara | Beleuchtung innen: PS Lab, Stuttgart | Küche: Schreinerei Burger, Endingen • Beteiligte Unternehmen: Zusammenarbeit Innenarchitektur: Atelier Zürich, Zürich | Landschaftsarchitektur: Enea, Rapperswil-Jona
Maßstab
M 1:400
1Eingang
2Halle
3Veranda, Hof
4Wohnen
5Musik
6Kochen
7Arbeiten
8Schlafen
9Bad
10Garage
11Lager
12Wein
13Zimmer
14Ankleide
„Das Haus am Weinberg erbringt den Beweis, dass die symmetrische Raumorganisation nach wie vor ihre Berechtigung hat und zeitgenössisch umgesetzt werden kann.“
Think Architecture
Ralph Brogle, Marco Zbinden
www.thinkarchitecture.ch
Anzahl der Bewohner:
4
Wohnfläche (m 2):
480
Grundstücksgröße (m 2):
1.200
Standort: Zürich (CH)
Bauweise: Massivbau
Fertigstellung: 05/2019
Architekturfotografie:
Simone Bossi, Malnate
www.simonebossi.it
Lageplan
Das Steinhaus
Anerkennung
VON
wespi de meuron romeo architekten bsa
IN
Ascona (CH)
Abgerissen werden durfte das Haus nicht, aufgrund der Grenzabstände hätte es nicht wiederaufgebaut werden können. Erhaltenswert war es aber auch nicht. Den Umbau gestalteten die Architekten ortstypisch und dabei zeitgemäß.
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