»Teis!«, sagte sie halblaut gebieterisch, worauf Teis seinen großen Bolzenschneider herauszog und geschickt ein Loch in das Tor der mit einer Betonmauer umgebenen Farm schnitt. Es war eine der kleinen – weder mit Elektrozaun noch mit fotozellengesteuerten Scheinwerfern. Nicht mal ein frei laufender Schäferhund. Das war fast zu einfach.
»Action!«, befahl sie, und einen Augenblick später hörte man das Rascheln, als fünfzehnhundert Nerzpfoten flach über den Boden wuselten.
Da war es 3 Uhr 18, und in Kopenhagen war der frühere, jetzt jämmerlich in Whisky aufgelöste Umweltminister immer noch paralysiert davon, gefeuert worden zu sein, die Entlassung brutal abgeliefert in einer kurz gehaltenen telefonischen Mitteilung, während die gerade Ernannte euphorisch den Versuch aufgab zu schlafen und resolut aus dem Bett stieg, um ihre Antrittsrede zu schreiben.
Aus Cathrine Rorbechs Blickwinkel würde das nicht den geringsten Unterschied machen.
»Sie war die größte Neuigkeit, unbedingt. Direkt nach der, dass Søren Schouw gefeuert worden war, natürlich. Um sich auszurechnen, dass der Mann nicht freiwillig gegangen war, ›auf eigenen Wunsch‹, wie es hieß, musste man kein Meister des investigativen Journalismus sein. Dass Frau Meyer auch ihre Finger im Spiel gehabt hatte, war ebenfalls offensichtlich. Da lag also eine gute Geschichte, die man einfach nur aufgreifen musste, wenn man fertig damit war, bei ihr Schlange zu stehen. Im Übrigen sah sie an diesem Vormittag auf dem Schlossplatz blendend aus. Sie fröstelte in ihrem kurzen Rock, der Etikette nach zu kurz, aber sie hatte schöne lange Beine, und dann hat sie ja auch dieses ländliche Vollmilch-Lächeln, das auf jeden Fall meinen wunden Punkt trifft. Den letzten, den ich noch habe, haha. Also, ich konnte sie eigentlich gut leiden, schon immer. Wünschte mir an und für sich das Beste für sie. Aber meine persönlichen Sympathien und Antipathien spielen für die Geschichte ja keine Rolle. Natürlich sollte sie ihre Chance haben. Bekam sie ja auch. Aber mal ehrlich, wie gesagt, Zeitungen müssen ja auch verkauft werden. Also, okay, wenn du so fragst – ja, ich war es, der sich das mit dem »Christbaumschmuck« ausgedacht hat. Was nett gemeint war, auch wenn sie stinksauer wurde, als sie es am nächsten Tag auf Seite i entdeckte. Ich hatte sie tatsächlich am Telefon. Persönlich. Aber sie hätte es ja auch einfach bleiben lassen können, in einem so kurzen Rock aufzutauchen und dann so zu lächeln.«
Das Lächeln zieht in den Wangen. Sie merkt selbst, dass es etwas zu breit ist, aber sie ist kurz davor, in hysterisches Lachen auszubrechen. Es ist zu surrealistisch, zu weit hergeholt: Sie war gerade eben zur Audienz bei der Königin gewesen, die ihr, ein wenig unterkühlt, aber mit verblüffender Präsenz dafür gedankt hatte, dass sie sich des Amtes angenommen hatte – »Ich weiß, dass es für eine junge Mutter besondere Anstrengung erfordert« –, und jetzt befindet sie sich als Nummer vier von rechts in der ersten Reihe in dieser traditionellen Aufstellung der neu ernannten Minister. Sie waren kaum aus der Tür getreten, als das Gebrüll losbrach, aus einer Mauer von Presseleuten mit und ohne Kameras, die eine dreif lügelige Front vor ihnen gebildet hatten.
»Gruppenbild mit drei Damen«, bemerkt der Staatsminister witzig, als er sie so sortiert hat, dass die neuen, unverbrauchten Namen in vorderster Reihe stehen und die Veteranen, die nur das Ministerium gewechselt haben, im Hintergrund platziert sind. Mit der galanten Ausnahme, dass Elizabeth Meyer, neu ernannte Außenministerin, neben Charlotte landet. Der Staatsminister selbst steht jetzt in der Mitte, flankiert von Charlotte und Christina Maribo, einem sozialdemokratischen Arbeitspferd, der schon im Vorfeld ein Platz in der neuen Regierung vorausgesagt worden war und die deshalb keine besondere Sensation als Stadtund Wohnungsbauministerin ist.
»Ich freue mich, mein neues Team vorstellen zu können«, sagt Per Vittrup und versucht, die Handwerker zu übertönen, die lärmend dabei sind, ein Gerüst unten bei den Kolonnaden über die Amaliegade abzubauen. Staub und Putz legen sich fein auf den blauen Anzug, zurechtweisende Blicke werden zu den Arbeitern geworfen, aber die machen ungerührt weiter. Das ist der letzte Tag vor den Weihnachtsferien, Mann!
Der Staatsminister macht einen tänzelnden Schritt zur Seite und breitet präsentierend die Arme aus.
»Wie Sie sehen, repräsentieren die neuen Minister sowohl Jugend als auch Weisheit«, leitet er jovial ein, »und an diesem Tag, dem kürzesten des Jahres, kann ich also gelassen sagen, dass wir lichteren Zeiten entgegengehen.«
Er nimmt seinen Platz im Zentrum ein, Fotografen auf hohen Leitern wechseln die Objektive, Kameraleute ändern den Winkel, und Neugierige drängeln, um etwas sehen zu können. Charlotte bemerkt seine Hand, die leicht um ihre Schulter greift, und es ist diese Berührung, die so sehr kitzelt, dass sie kurz davor ist loszulachen.
»Charlotte!«, ruft ein Fotograf. »Hierher schauen!« Sie gehorcht unwillkürlich und dreht den Kopf in Richtung des Rufes, obwohl sie kein Gesicht sieht, nur die Linse der Kamera.
Ihre Anspannung und die eisige Kälte, die über den Schlossplatz zieht, lassen sie mit den Zähnen klappern, aber dann ist da Meyer mit einem leisen »Entspann dich. Dann frierst du nicht«.
Sie lässt die Schultern fallen, holt tief Luft, so, wie sie es in der Geburtsvorbereitung gelernt hat. Das hilft, die Hysterie verschwindet, und sie ist schließlich wirklich anwesend. Ihr Lächeln ist weniger angespannt, sie merkt, wie der Nebel sich hebt und der Schlossplatz unter dem Schleier hervorkommt. Die Palais, die Ritterstatuen, die leuchtend roten Wachhäuschen, die Polizisten, die die Horde auf Abstand halten, und die Gruppe japanischer Touristen, die versehentlich Zeugen eines zutiefst dänischen Vorgangs werden. Sie besinnt sich auf sich, konzentriert sich auf das Presseaufgebot, und gerade hier vor ihren Objektiven, die alles und dennoch gar nichts sehen, geht die Häutung vonstatten. Sie legt die Unsicherheit ab, den Widerstand und die Vorbehalte, und nimmt die Rolle an. Sie ist nicht länger Charlotte. Sie ist Ministerin. Und als solche richtet sie sich kampfbereit auf. Erkennt ein paar Journalisten wieder, lächelt zu Andreas von den Fernseh-Nachrichten und erspäht auch ein paar der Kollegen aus dem Büro, die dastehen und grinsend mit Flaggen und Blumen winken. Thomas muss getratscht haben. Sie winkt diskret und denkt schon darüber nach, welche Botschaften sie für die Medien parat haben sollte, wenn die sich im Anschluss auf sie stürzen werden. Soundbites für die elektronischen Medien, ein paar markante Hauptsätze für die Tagespresse, etwas Langes und Perspektivenreiches für die »Information« und das Pi-Magazinprogramm, ein paar Mini-Sätze für die Boulevardblätter.
»Wollt ihr auch unsere Fingerabdrücke?«, ruft der neu ernannte Justizminister, einer der vorwitzigen Burschen, die gewöhnlich als Kronprinzen ausgerufen werden.
»Ja, das IST schließlich eine Ansammlung von Verbrechern«, gibt ein bauchlastiger Reporter des Ekstra Bladets mit Lederjacke zurück, den Charlotte mit einem gewissen Missbehagen wiedererkennt. Siggi nennt er sich, und er ist genauso verschlagen, wie er schmierig ist. Dennoch lacht sie mit – der Champagner, die Anspannung, die Nervosität bringen sie alle dazu, in dieser landschulheimartigen Partystimmung etwas über die Stränge zu schlagen, die sie von anderen Regierungspräsentationen kennt. Dass das nicht besonders kleidsam ist am nächsten Tag, weder auf dem Bildschirm noch in den Zeitungen, auch daran erinnert sie sich. Aber what the f uck, man hat ja wohl trotzdem das Recht, sich ein bisschen zu freuen. Es ist schließlich kein Verbrechen, Ministerin zu sein!
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