Graf Kusmetz, von dem Lärm angelockt, stürmt herein.
Alexeij hat den Brief während der Reise, als er ihr galant die Dose hielt, im Puder versteckt, sagt sich Mac und reibt stöhnend die Augen. „Ich Narr! Das konnte ich mir doch denken!“
„Was sagen Sie?“ fragt Graf Michael und deckt mit dem Körper seine bebende Frau, die endlich den Kimono übergeworfen hat.
„Erklären Sie, Mr. Lee, was ist hier vorgegangen?“
„Erst Wasser,“ stöhnte Mac. Herbeigerufene Miliz-Soldaten treten ein. Die Direktoren des Hotels folgen.
Die Szene ist erfüllt von gestikulierenden Menschen.
Mac Lee schreit die Soldaten an: „Verhaften Sie ...“
Hauptmann Odojewskij will er sagen. Da stürzt schreckensbleich ein Angestellter herein.
„Herr Direktor — ein Mord —“
Er muss erst Atem holen.
„Der Herr von Nr. 19 — Hauptmann Odojewskij.“
„Was? Was ist los?“ schnauzt der führende Offizier.
„Erschossen!“
Christine presst die Hand gegen die Brust.
Das Zimmer ist schon leer. Unter Führung Macs eilen die Soldaten, die Direktoren und Graf Michael nach Zimmer 19.
In Zimmer 19 liegt starr und regungslos — — —
„Das ist doch nicht Hauptmann Odojewskij,“ sagt Mac.
„Das ist doch —“ stammelt mit schief zurückgelegtem Kopf der erste Direktor — „unser neuer Zimmerkellner,“ ergänzt der lautlos hinzugetretene zweite Direktor.
„Verstehen Sie das?“ sagt der erste Direktor zu dem zweiten.
Die Soldaten suchen das Zimmer ab. Alles ist durcheinandergeworfen. Umgestürzt. „Es hat ein heftiger Kampf stattgefunden,“ sagt der führende Sergeant. „Ihr Hotel scheint eine Verbrechergesellschaft zu beherbergen.“
Der erste Direktor widerspricht heftig, und es entspinnt sich eine erregte Diskussion.
Mac kniet neben dem Toten.
„Knock out,“ sagt er anerkennend.
„Wie meinen Sie?“ fragt der Sergeant.
„Er ist knock out geschlagen,“ wiederholt Mac. „Da sehen Sie —“
Der Tote bewegt sich.
Alles drängt hinzu. Aber der Hieb sass zu gut. Der Mann bleibt bewusstlos.
Hauptmann Odojewökij hat ihm die Zähne ausgeschlagen, denkt Mac Lee. Er ist so erregt, dass er es halblaut vor sich hinsagt.
„Nicht möglich! Einem Kellner?“ bemerkte der Sergeant. „Warum? Wer ist dieser Hauptmann?“
„Kellner!“ sagt Mac Lee leise. „Kellner! Er ist einer der besten Männer des französischen Nachrichtendienstes! Verstehen Sie, Sergeant? Mit solchen Zwischenfällen muss man rechnen. Er scheint auch Wind bekommen zu haben, was der Hauptmann vorhat!“ Mac legitimiert sich. Die Miliz zieht sich zurück. Alle gehen.
Mac Lee steht noch lange vor dem Regungslosen.
Lange.
Lässt ihn nicht aus den Augen.
Dann untersucht er seine Kleider genau, sehr genau. Naht für Naht. Mac Lees Finger zittern vor Aufregung. Er fühlt einen harten Gegenstand unter dem Hemd.
Fühlt noch einen Gegenstand.
Einen Dritten.
Reisst mit einem Ruck das Futter auf — und hält drei Perlen in Händen.
Drei wertvolle Perlen.
Köstlich schimmernd im Licht.
Seine Augen schmerzen.
Er atmet schwer.
Und schwer hebt der „Tote“ die Hand und stützt sich mühsam auf einem Ellenbogen auf.
Aus verschwollenen Tränensäcken starren zwei tiefliegende, gelbbraune Augen hasserfüllt auf Mac.
Der Detektiv birgt die Perlen in der Tasche.
„Wieder munter?“ fragt er gallig.
„Ja.“ Und mit einem schnellen Blick zur Schulter:
„Sie haben mir die Perlen genommen.“
„Abgenommen.“
Der Mann macht einen verzweifelten Versuch, hochzukommen, und steht endlich mit taumelnden Beinen.
Lehnt sich an die Wand.
Mac Lee schiebt die Unterlippe vor. „Viel zu schwach für einen Boxkampf mit Odojewskij,“ meint er französisch.
„Ja.“
„Hast tüchtig eins abgekriegt.“
„Der Satan ...“
„Du bist Franzose?“ fährt Mac Lee in leichtem Gesprächston fort.
„Nein. Ungar.“
„Russe, Mann. Wozu die Lüge? Ich kenne alle Leute vom französischen Nachrichtendienst.“
„Was schert es Sie? Sie haben mich bestohlen, und ich verlange ...“ seine Hand tastete nach der Klingel.
„Gebt euch keine Mühe,“ meint Mac Lee und hebt ein wenig den einen Revers seines Rockes.
Die Augen des Taumelnden kleben an dem kleinen Schild.
„Konterspionage,“ sagt er leise.
„Detektiv. Amerika. Bei dem Direktorium hier akkreditiert.“
„Und Sie haben —“
„Ich habe die Perlen, mit denen Odojewskij hier die französische Armee bestechen will und die Sie ihm, als Kellner verkleidet, gestohlen haben.“
„Ach, Sie wissen, dass ich Kellner war?“
„Zum Schein, ja. Eine Ihrer Masken, Kossarow.“
„Kossarow. Wer ist das?“
„Das sind Sie, Mister, geheimnisvoller Kurier im Auftrag der Sowjet. Sollten den Hauptmann bewachen. Haben wieder ein besonderes Mandat!“
„Sie sind gut orientiert,“ höhnt der Russe.
„Ich weiss auch, dass die drei kostbaren Perlen, mit denen hier die Entente unterwühlt werden soll, gestohlen sind. Sie waren in der Mongolei.“
„Auf einem Transport —“
„Richtig. Der Transport enthielt die Kriegskasse jenes Mannes, den man ‚Fürst von Urga’ nennt.“
Kossarow schweigt. „Woher wissen Sie dies alles, Mr. Lee?“
„Mein Freund, ich pflege die Vorgeschichte jeder Affaire, die ich verfolge, aufs genaueste zu studieren. Doch wir wollen in der Feststellung des Tatbestandes fortfahren, denn es ist notwendig, dass wir in Zukunft mit offenen Karten spielen, Mr. Kossarow. Ich weiss, Sie werden alles daran setzen, mir die Perlen abzujagen, wie Sie sie dem Hauptmann abgejagt haben, der mir an Fähigkeiten beinahe überlegen ist.“
„Odojewskij steckte die Perlen in dem Augenblick, in dem er das Hotel betrat, in eine der grossen Vasen im Vestibül. Sie beachteten es nicht, Mr. Lee! Ich sah es. Denn ich beobachtete ihn bereits. Ich nahm die Perlen an mich, schob sie sofort in das bereitgehaltene Rockfutter, wurde aber von Odojewskij überrascht. Er zerrte mich in sein Zimmer. Ich bekam in dem darauffolgenden Boxkampf eins ab,“ sagte Kossarow.
Mac Lee steckte sich eine Zigarre an.
„Er hat einen harten Schlag. Doch wiegen Sie sich nicht in der Hoffnung, dass Sie mir die Perlen ebenso überraschend abjagen können, wie Ihnen das bei Hauptmann Odojewskij gelungen ist. Ich wache Sie vor allen Dingen darauf aufmerksam, dass mir alle Polizeibehörden Odessas zur Seite stehen, dass ich jeden Moment Unterstützung verlangen kann.“
„Die Behörden Odessas,“ meint Kossarow mit offensichtlicher Geringschätzung.
„Ich weiss,“ murmelt Mac Lee. „Aber in einem so klaren Fall wie dem vorliegenden, ist auch die Polizei Odessas für Sie gefährlich, Kossarow.“
In diesem Augenblick klopft es.
Krankenwärter treten in Begleitung eines Soldaten mit einer Bahre herein.
„Hier ist der Tote,“ sagt Mac Lee und deutet auf Kossarow.
Der Soldat lacht, die Krankenwärter ziehen ab, und alles scheint in bester Ordnung. Aber Mac Lee fährt fort:
„Ich mache Sie darauf aufmerksam, Sergeant, dass dieser Mann keinerlei Ausweispapiere besitzt. Schauen Sie sich den Mann genau an, Sergeant. Gleicht er nicht aufs Haar jenem vierfachen Mörder ...“ und während der Soldat mit offenem Mund und wenig geistreichem Gesicht den Russen ansieht und sich vergeblich bemüht, festzustellen, von welchem vierfachen Mörder der Detektiv spricht, zieht Mac Lee einen Steckbrief hervor. Der Soldat wirft einen Blick auf die Photographie. Es ist Kossarow.
Darunter steht: Wegen dringenden Verdachtes vierfachen Mordes festzunehmen und nach der nächsten Milizkaserne zu bringen.
Kossarows Kiefer bewegt sich krampfhaft, aber ehe er einen Entschluss fassen kann, sitzt ihm die „eiserne Acht“ des blitzschnell vorgehenden Sergeanten am Handgelenk.
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