Raoul Hausmann. Dada-Berlin.
Künstlerfreundschaften
(1915–1926)
Das Foto zeigt einen jungen Mann in typischem Porträtformat (Abb. 2). Er trägt einen eleganten dunklen Anzug, einen dunklen Schlips und ein steifes weißes Oberhemd. Sein leicht vorgeschobener Unterkiefer und die vollen Lippen verleihen ihm einen energischen, fast brutalen Gesichtsausdruck, der durch den ernsten Blick verstärkt wird. Breite Schultern betonen seine Männlichkeit. Hausmann schaut nicht direkt in die Kamera, er fokussiert etwas, das sich links neben ihr befindet. Der Mann hat eine Vision, vermittelt unmissverständlich sein Blick aus dem Bild. Im Glas seines Monokels bricht sich das Licht. Die Sehhilfe erzeugt einen Lupeneffekt, der das dahinterliegende Auge vergrößert und verzerrt.
In dem Foto aus dem Jahr 1915 sind bereits alle stilbildenden Attribute angelegt, auf die Raoul Hausmann zukünftig bei seiner Selbstinszenierung als Künstler Wert legt. Dazu zählt die kämpferische Haltung, gepaart mit Eleganz. Auf das Monokel wird Hausmann kaum noch verzichten. Das konservative Image des Einglases steht im Kontrast zu seinem sonstigen Erscheinungsbild. Der Widerspruch verwandelt das Monokel in ein modisches Accessoire, das seinem Träger die nötige Lässigkeit verleiht. Doch das Monokel ist nicht nur Dekor. Hausmann leidet seit seiner Kindheit an Kurzsichtigkeit und ist auf seinem linken Auge fast blind. 1»Ich muß erwähnen, daß Monokeltragen zu der Zeit zwar etwas provozierend wirkte, es aber doch weit mehr benutzt wurde als heute; Hausmann kam wahrscheinlich schon mit Monokel auf die Welt. Denn schon als ich ihn kennenlernte, also längst vor DADA, wäre er sich ohne ... wie ohne Kleidung vorgekommen. Er hatte seine Augen, die schon immer einer Stütze bedurften, so an das Einglas gewöhnt, dass es saß wie eingewachsen. Er hat es auch nie an einer Schnur getragen. Und wenn er den ganzen Kurfürstendamm hinunter hätte Purzelbäume schlagen müssen, er hätte das Glas nicht einen Augenblick abgenommen oder gar verloren. Psychologisch gesehen gehörte es auch zu ihm, er musste es tragen aus der prinzipiellen Verneinung des Üblichen«, kommentierte Hannah Höch die Extravaganz ihres Partners im Rückblick. 2Modebewusstsein zählt zu seinen Charaktereigenschaften.
Hannah Höch notierte auf dem Foto, das sich heute in ihrem Nachlass in der Berlinischen Galerie befindet, »Raoul Hausmann 1915. Als ich ihn kennenlernte.« 3
Am 12. Juli 1886 wurde Raoul Hausmann in Wien in eine wohlhabende Künstlerfamilie geboren. Der Vater, Victor Hausmann, stammte aus Ungarn, aus einer betuchten Großkaufmannsfamilie. Zunächst zog er für ein Studium an der Kunstgewerbeschule und dann an der Wiener Akademie in die Hauptstadt der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Hier erarbeitete der Vater sich einen Ruf als Porträt- und Historienmaler. Dennoch zieht die Familie 1900 nach Berlin, in die südwestlichen Vorortbezirke nahe der Havel. Dort entsteht eine neue, großzügig angelegte bürgerliche Wohngegend im Grünen mit großen freistehenden Häusern, umgeben von Gartenanlagen. Berlin bedeutet für Hausmanns Vater einen Karrieresprung. Wilhelm II. berief ihn als Hofmaler in die kaiserliche Reichshauptstadt. Zudem verlangte die weiterhin von konservativen Kreisen dominierte Berliner Kunstszene anders als das im Aufbruch befindliche Wien von dem etablierten Maler nicht allzu große Anpassungen an neue Kunstauffassungen. 4
Der junge Raoul Hausmann wächst, zumindest was seine pekuniäre Situation anbelangt, in ähnlich behüteten Verhältnissen auf wie Hannah Höch. Über seine Kindheit ist wenig bekannt. Wahrscheinlich ist, dass der Vierzehnjährige in Berlin nicht mehr eine Schule besucht, sondern sich autodidaktisch weiterbildet. Ursache für die Entscheidung der Eltern, ihren Sohn nicht noch einmal in eine schulische Einrichtung zu geben, mögen seine Schwierigkeiten mit Autoritäten gewesen sein: »In dem Wiener Realgymniasium habe ich wirklich nichts als Unfug gemacht, und als ich dann nach Berlin kam, war mein Vater so davon überzeugt, dass ich in keiner Schule zu halten sei, dass er mich der Malerei und dem Radfahren überließ«, kommentiert Hausmann. 5
Als er Hannah Höch 1915 kennenlernt, war das Verhältnis zu seinen Eltern und seiner Schwester Mira, die er 1916 zum letzten Mal sieht, distanziert. 6Seine Eltern nehmen sich 1920 gemeinsam das Leben. Über die Ursachen für die Tat erfährt man aus der Korrespondenz zwischen Raoul Hausmann und der Künstlerin nichts. Die Inflation und der Verlust von Ansehen nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie und dem Ende des Kaiserreiches hatten das Selbstverständnis des akademischen Hofmalers zerstört. 7
Sowohl Raoul Hausmann als auch Hannah Höch haben die Stimmung ihrer ersten Begegnungen in Gedichten füreinander eingefangen. Im April schreibt Hannah Höch ihr Poem »Erstes Rendez-vous«:
»Stille, mit dem Tau in Verbund.
Alle Geräusche verzehrte die Nacht,
Ein Stern steigt von Stunde zu Stund’ behutsam weiter.
Einer wandernden Wolke Pracht
lockt den Mond in weiße, steife Schleifen,
damit nicht seiner Neugier Licht
die aufgeschloss’nen Straße streife
auf deinem und meinem Angesicht.« 8
Ausgedehnte Spaziergänge im Berliner Grunewald waren ein regelmäßiger Bestandteil gemeinsamer Unternehmungen des Paares. Im November 1915, kurz nach Hannah Höchs sechsundzwanzigstem Geburtstag, verfasst Raoul Hausmann für sie ein Gedicht. Ihre Beziehung besteht nun seit einem halben Jahr.
»Zwei Tage erinnere ich.
Der eine,
Jener 28. April dieses Jahres
An dessen Abend ich,
zurückgezogen auf mein innerstes Selbst
hingeführt wurde in die Prinz-Albrecht-Straße
wo ich Dich gewann, weil ich die äußerlich egoistischen Schranken
fallengelassen hatte und Du Dich in mir spiegeln konntest;
das wussten wir Beide nicht.
Und der andre Tag ist
Der 3. Juli danach gewesen.
Wir hatten im Bad Wannsee
Whitman gelesen.
Er ist der Tag,
an dem ich das Erste mal
furchtsam, zitternd – aber doch
willentlich und wissentlich
Deinen Schoß in meine Hand nahm.
An diesen beiden Tagen,
so verschieden sind sie,
hängt unser ganzes Schicksal.« 9
Hannah Höch wird sich rückblickend dem Kunsthistoriker Heinz Ohff gegenüber äußern: »Raoul Hausmann war der erste von den bedeutenden Menschen, die in meinem Leben eine Rolle spielen. Er soll hier nur kurz Erwähnung finden. Vom Leben habe ich in dieser Zeit mit ihm unendlich viel erfahren. Auch: ausweglosen Tiefen philosophischen Denkens nachzuspüren. Auch: der irdischen Liebe meinen Tribut zu zollen.« 10Lange Zeit hat es die Künstlerin vermieden, über ihre Beziehung zu Hausmann zu sprechen. 11
In seinem Gedicht aus der Anfangsphase ihrer Liebe klingen zukünftige Konflikte an. Nach Höchs Tod wurde das Verhältnis zwischen der Künstlerin und Raoul Hausmann in der Literatur vielfach beleuchtet. Zu den umfangreichsten und einfühlsamsten Schilderungen zählt Karoline Hilles detaillierte und lebendige Darstellung der psychisch belastenden Auseinandersetzungen des Paares. Erst jüngst erschien die Dissertation von Silke Wagener, die die Künstlerbeziehung in den Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen am Ende des Ersten Weltkriegs und zu Beginn der zwanziger Jahre einordnet. Sie analysiert die von Hausmann rezipierte psychoanalytische und philosophische Literatur und untersucht, wie er das angelesene theoretische Wissen auf seine Beziehung anwendet. Exemplarisch für die Geschlechterbeziehungen der Avantgarden beschreibt sie das Rollenverständnis von Höch und Hausmann. Beide Autorinnen werten die zahlreichen Briefe und Dokumente aus, die sich in Raoul Hausmanns und Hannah Höchs Nachlass befinden. Ebenso wird der Einfluss der Beziehung auf die künstlerischen Arbeiten Hannah Höchs thematisiert.
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