Einen weiteren, 18-stündigen Zwischenstopp legen wir auf den Bermudas ein, um einem Tief auszuweichen, Diesel zu tanken und die Wasservorräte aufzufüllen. Ich nutze ihn für einen Ölwechsel bei dem neuen Motor. Einige Tage nachdem wir die Bermudas verlassen haben, geraten wir in ein zweites Tief, dem wir leider nicht ausweichen können. Es ist mein erster richtiger Sturm. Das Meer um uns herum kocht. Überflutet von etwa zehn Meter hohen Wellen und von 50 Knoten Windgeschwindigkeit angeheizt, saust YVINEC mit der Nase voran flüssige Abhänge hinunter.
14.7.
Die restliche Überfahrt, die sich viel geruhsamer gestaltet als in den ersten Tagen, folgt dem Rhythmus der Sonnenuntergänge. Meer und Sonne verschmelzen in einer Palette aus Mauve, Gold, Purpur und Blau. Großartige Landschaften, die aussehen wie Aquarelle. Oft tanzen Delfine und Wale um das Boot. Das sind die Momente, die mir auf wunderbare Weise ins Gedächtnis zurückrufen, warum ich das hier tue.
Mein erster richtiger Sturm. Das Meer um uns herum kocht.
17.7.
Der Wind kommt von hinten und bläst augenblicklich nur mit 12 Knoten. Es ist an der Zeit, den Spinnaker zu setzen. Ich liebe dieses Segel, vor allem wegen seiner Farben. Normalerweise wird es gesetzt, wenn der Wind stetig von hinten kommt. Mein Spinnaker misst 90 Quadratmeter, es ist nicht einfach, ihn allein zu setzen, aber ich habe mich daran gewöhnt. Das Segel ist so groß, dass man schnell sein und aufpassen muss: Im richtigen Moment, ehe eine Bö von der falschen Seite das Boot aus dem Gleichgewicht bringt, ist er einzuholen. Sonst droht er wie bei der Atlantiküberquerung zu zerreißen.
Monique legt in ihrem Verschlag weiterhin fast jeden Morgen ein Ei. Ich bin jedes Mal überglücklich und staune Bauklötze, dass ich mitten auf dem Ozean frische Eier essen kann. Seither habe ich gelernt, erfindungsreich zu sein. Hart oder weich gekocht, als Spiegel- oder Rührei zur Garnierung von Reisgerichten: kurz, ich liebe Eier in allen Variationen. Jetzt, wo wir in höhere Breitengrade gelangen, beginnt die Kälte sich bemerkbar zu machen. Ich habe im Inneren der Kabine einen Stall für Monique eingerichtet, dort wird sie es warm und trocken haben.
HALIFAX
Nach 15 Tagen auf See und 1.600 Meilen legen wir am 23. Juli 2015 in Halifax an. An unsere Einfahrt in den langen Kanal werde ich mich noch lange erinnern. 4 Knoten Strömungsgeschwindigkeit, praktisch keine Sicht und haushohe Frachtschiffe, die das Wasser aufwühlen. Nichts scheint diese Seeungeheuer aufhalten zu können. Diesmal hat Monique Muffensausen: Ängstlich bleibt sie drinnen im Warmen. Ich muss kaltblütig bleiben, damit wir gesund und unversehrt ankommen. Das Manöver ist heikel, aber in Panik zu geraten bringt nichts und hindert am Denken.
25.7.
Ich habe alles gekauft, was ich für die große Kälte brauche: einen Mantel, einen Schlafsack für Temperaturen bis –40 °C, Skier, Handschuhe, Mütze, Kocher, Merinounterwäsche usw. Ich bin bereit, den arktischen Polarkreis zu überqueren.
SAINT-PIERRE UND MIQUELON
Nach einigen Tagen wohlverdienter Ruhe haben wir die Leinen losgemacht. YVINEC gleitet sanft auf unser neues Ziel zu: Saint-Pierre und Miquelon.
3.8.
Seit Halifax unter Spinnaker segelnd, lief bis Saint- Pierre alles perfekt. Keinerlei Regulierung war nötig, nichts. YVINEC sauste, vom Wind getrieben, ganz ruhig dahin. Saint-Pierre und Miquelon ist nicht nur das einzige französische Gebiet im Nordatlantik, sondern auch das älteste – und mit seinen 242 Quadratkilometern eines der kleinsten. Die schöne, wilde Natur, die vor den Eingriffen des Menschen geschützt ist, erinnert mich an »meine« Bretagne. Hier dreht sich praktisch alles um die Fischerei. Die bunten Holzhäuser sind ein Ebenbild ihrer Bewohner: fröhlich, herzlich, gastlich.
13.8.
Wir müssen schon wieder los: Wie bei jedem Zwischenstopp fällt die Trennung schwer. Die Laderäume von YVINEC sind mit Nahrungsmitteln vollgestopft. Ich bin gerührt und verlegen ob der Großzügigkeit, die die Bewohner mir erwiesen haben. Ich betrachte die Krümmung des Horizonts. Gletscher, Bären und Polarlichter erwarten mich.
Home! Auf der kleinen französischen Insel fühlt Monique sich wie zu Hause.
Gute Gesellschaft: Wale gesellen sich zu uns und schließen sich uns an.
Je höher die Breitengrade, umso stürmischer wird es. Ich bin am Bug, um die Segel zu richten, als eiskaltes Wasser sich über mich ergießt und bis auf die Haut durchnässt.
AUF NACH GRÖNLAND!
Je höher die Breitengrade, umso stürmischer wird es. Ein Tief kommt direkt auf uns zu. Ich bin am Bug, um die Segel zu richten, als eiskaltes Wasser sich über mich ergießt und bis auf die Haut durchnässt. Das Windrad dreht sich im Sturm wie verrückt. Umso besser. Es sorgt dafür, dass ich Strom an Bord habe, autonom bin. Das Sonnenlicht wird zusehends spärlicher, und die Nächte werden länger. Auf die Sonnenkollektoren kann ich nicht länger bauen.
18.8.
Der Wecker klingelt. Ich lasse mich alle 30 Minuten wecken, um die Segel zu überprüfen, den Kurs zu überwachen und zu checken, ob in der Nähe andere Schiffe kreuzen. Man nennt das Wache halten. Mein Körper hat sich schnell daran gewöhnt, ich bin kein großer Schläfer. In dieser Nacht ist alles klar. Kein Schiff. Die Luft ist kühl.
19.8.
Wir kommen hervorragend voran. Die Nächte unter dem mit Sternen übersäten Himmel sind schön. An diesem Abend ist es anders: Polarlichter tanzen am Himmel. Eine neue Premiere für mich. Ich kenne die rationale Erklärung für dieses Phänomen, werde aber von der Magie des Augenblicks davongetragen.
20.8.
Gestern ist der Süßwassertank ausgelaufen. Glücklicherweise habe ich noch Flaschen mit Mineralwasser. Ich werde mich einschränken und mit Salzwasser kochen müssen. Eine bittere – oder sollte ich lieber sagen »gesalzene«? – Erfahrung, wie ich beim Mittagessen feststellen durfte. Wie dem auch sei, es ist wirklich nicht toll.
Polarlichter tanzen am Himmel. Ich lasse mich von der Magie des Augenblicks davontragen.
23.8.
Plötzlich taucht er vor mir auf: mein erster Eisberg. Ich mag meinen Augen gar nicht trauen. Ein Berg aus Eis, mit 1.000 Facetten von Blau und Grün, gebieterisch zwischen Himmel und Wasser aufragend. Ich habe so sehr darauf gewartet. Künftig muss ich doppelt vorsichtig sein; Eisberge und Growler (Eisschollen) werden in diesen Gewässern immer zahlreicher. Eine Kollision könnte fatal sein. Wenn alles gut geht, müssten wir Grönland von hier aus in zwei oder drei Tagen erreichen.
Читать дальше