So vergaßen sie fast, daß sie zum Kaffee eingeladen waren. Nur einmal sagte Otto, indem er mit der Nase schnupperte:
„Ich will sehen, wann es eigentlich angeht. Man riecht gar nichts.“
Die Turmsette schien dasselbe zu denken. Sie sah an die Wanduhr:
„Schon zwanzig Minuten vor vier Uhr!“
„Ja, eher etwas mehr“, sagte Frau Schnezler und dachte, die Turmsette gehe nun wieder und nehme die Kinder vielleicht mit.
„Es ist nur wegen dem Kaffee“, fuhr die Turmsette fort. „Ich kann ja mit in die Küche gehen und dir ein wenig helfen.“
Frau Schnezler sah sie verwundert an.
„Mein Kaffee? Der ist nachher schnell gemacht.“
„Schnell gemacht? Ein Kaffee und was dazu gehört für sieben Personen? Das ist keine Kleinigkeit. Ich war wirklich erstaunt über die Einladung. Respekt vor dir!“
Frau Schnezler sah ganz verständnislos drein.
„Was sagst du, Sette —? Ich eine Einladung? Eine Kaffeegesellschaft?“
„Treib jetzt keine Späße, sondern mach vorwärts! Die Kinder möchten gewiß schon lange gern etwas haben.“
Frau Schnezler sank entsetzt in ihr Sofa zurück.
„Du wirst doch nicht sagen wollen, ich habe dich — ich habe die Kinder eingeladen —!“
Nun wurde die Turmsette böse.
„Kommt daher, Otto und ihr andern — sind wir zu Frau Schnezler eingeladen oder nicht —?“
„Ja“, meldete Otto, „auf heute punkt drei Uhr zum Kaffee, hat Edith gesagt.“
„Edith —? diese Edith —? Es — es ist kein Wort wahr — kein Wort! Das ist ja ein gräßliches Kind —“
Vor Empörung konnte Frau Schnezler nicht weiter sprechen. Die Turmsette und die Kinder waren ebenfalls starr und stumm. Nur der Rabe Peter sagte: „Kräh!“ aber weiter wußte er auch nichts.
Da läutete die Hausglocke.
„Vielleicht noch ein paar Kaffeegäste?“ sagte Frau Schnezler grimmig.
Als sie jedoch aufmachte, erblickte man den Albert vom Obertorbäcker mit einem Brett, auf dem ein gewaltiger goldbrauner Butterkranz lag. Die Butterkränze vom Obertorbäcker waren berühmt. Am Arm trug Albert einen Korb voll weißgezuckerter Rosinen- und Mandelstengel. Im Nu war Frau Schnezlers Gang und Stube von dem herrlichen Duft durchzogen, den Otto vorhin vermißt hatte.
Frau Schnezler aber streckte abwehrend die Hand aus.
„Was willst denn du? Du bist nicht am rechten Ort. Ich habe keinen Butterkranz bestellt — behüte!“
„O weh!“ dachten die Kinder. „Den schönen Butterkranz und die Stengel wieder fortschicken —!“
„Der Vater hat gesagt, das gehöre zur Frau Schnezler“, entgegnete Albert und blieb hartnäckig stehen.
„Ja, ja, dieses Knabe ist an den rechte Ort!“ rief jetzt eine helle Stimme, und durch die offene Haustüre trat Edith herein.
„So, da kommt sie noch selber, das unartige, naseweise Kind!“ sagte Frau Schnezler. „Wart nur, das will ich deiner Tante erzählen —! Einer rechtschaffenen Frau so etwas anzustellen —!“
„Nicht bös sein, Frau Schnezler! Jetzt der Anfang von Gesellschaft ist gemacht. Alle sind da, Frau Turmsette und die Kinder und das Vogel —“
Aber Frau Schnezler schüttelte mit der Hand.
„Mach daß du gehst! Ich will dich gar nicht mehr sehen! Und die Kinder können grade mit. Und du, Sette, wirst ja wohl so viel Vernunft haben —“
„Hör“, sagte die Turmsette. „Es wäre am besten, du nähmest selber Vernunft an. Der Butterkranz und die Stengel sind jetzt einmal da — ich weiß zwar nicht, wie sie herkamen —“
„Habe ich bestellt und bezahlt von meines neue Taschengeld“, erklärte Edith.
„Siehst du“, nahm Sette wieder das Wort, „nun wird es dir schon wohler. Komm, wir werden doch einen Kaffee zu stand bringen. Die Kinder helfen.“
„Ja, ja, wir helfen!“ riefen die Kinder.
Frau Schnezler sagte nichts. Ihr Zorn hatte sich noch nicht ganz gelegt; aber sie folgte der Turmsette in die Küche.
„Zucker und Kaffee hast du gewiß“, fuhr die Turmsette fort. „Die Milch übernehme ich, damit ich auch meinen Teil habe an dieser merkwürdigen Gesellschaft. Trudi und Edith geht hinüber in den Hirschen. Dort haben sie immer Milch.“
Trudi und Edith liefen mit zwei großen Töpfen. Hans und Otto mahlten Kaffee, daß die Bohnen flogen. Marianne deckte mit Lotti den Tisch. Es ging, wie wenn die Heinzelmännchen lebendig geworden wären im Haus, und nach kurzer Zeit saß Groß und Klein beim Kaffee. Der Rabe Peter thronte auf Turmsettes Schulter; er bekam von links und rechts Kuchenbrocken und krähte vergnügt mit, wenn die Kinder, die durch die Verwirrung noch übermütiger geworden, lachten und durcheinander schwatzten.
„Jetzt machen wir Spiele!“ rief Lotti, nachdem alle dem Kaffee, dem Butterkranz und den Stengeln gehörig zugesprochen hatten.
„Ja, Kinder! und wir sehen zu“, sagte die Turmsette.
Aber bald wurden die beiden Frauen mit hineingezogen; denn es stellte sich heraus, daß die Spiele der Kinder dieselben waren, die man schon vor vierzig Jahren in Larstetten gespielt hatte: Das Tellerspiel, das Kompliment- und das Handwerkerspiel; dann „Wie gefällt dir dein Nachbar?“ und „Alle Apothekerbüchsen rühren sich!“ Es ging sehr laut und lustig zu in Frau Schnezlers sonst so stiller Stube. Der Rabe, der zuerst munter um den rollenden Teller und zwischen den Komplimenten der Kinder herumgehüpft war, flüchtete auf die Kommode und sah erstaunt auf das Treiben hinunter.
Als schöner Schluß kam noch das Nachtwächterspiel. Alle setzten sich auf die in eine Reihe gestellten Stühle; die Lampe wurde ausgelöscht, und Hans ging mit einer Kappe des verstorbenen Herrn Schnezler, einem Laternchen und einem Stock ringsum, indem er mit lauter Stimme verkündete:
„ Seht die Nachtwach kommt heran
Mit einem langen Stocke.
Haltet fest und haltet fest,
Haltet fest am Rocke!“
Die Person, vor der er dreimal mit dem Stocke klopfte, mußte hinter ihm herziehen durch den Hausgang oder die Küche. Es war sehr spannend, wenn der Nachtwächter alsbald wieder erschien, um eines zu holen. Je mehr der Schwanz wuchs, desto größer wurde die Wanderung. Es ging zum Dachboden hinauf und durch das nächtliche Gärtchen, und schließlich, als die ganze Gesellschaft anhing, hinaus in die Seilergasse.
„Kinder, Kinder“, wehrte die Turmsette. „Das geht nicht. Was werden sie im Städtchen sagen!“
„Nicht loslassen!“ riefen aber die Kinder. „Bitte, nur durch die Seilergasse! Das ist grad das Netteste!“
Sie trieben und zogen und fuhren im Chore fort:
„ Haltet fest und haltet fest,
Haltet fest am Rocke!“
„Wie das doch in letzter Zeit bei uns zugeht!“ sagten die Nachbarn, als die Nachtwache beim Schein des Laternchens daherkam. „Kürzlich der Zusammenlauf an dem Lebkuchenstand, dann bei Doktors das Theater, und die Geschichte mit dem Scheunentor auf dem Eschenweiher. Und jetzt noch ein Umzug — nein, die Turmsette —! Seid ihr beide nicht bei Trost?“
„Doch, doch! wir machen ein Spiel. Die Frau Schnezler hat eine Einladung gegeben.“
„Potz!“ sagten die Nachbarn.
Wieder vor dem Hause angelangt, trennte man sich. Die übermütige Edith schüttelte ihrer Nählehrerin die Hand.
„Nun Sie sehen, Frau Schnezler, daß ich habe gesagt wahr, Kaffeegesellschaft ist eine sehr hübsche Sache!“
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