Zum Andenken an Reginald Danielewski,
meinen geliebten Vater,
der mich beim Schreiben begleitet hat.
Jadefisch und Motecuzoma
Historischer Roman
von
Ida Spix
Impressum
Die zerbrochenen Flöten, Ida Spix
TraumFänger Verlag Hohenthann, 2021
1. Auflage eBook Januar 2022
eBook ISBN 978-3-948878-13-9
Lektorat: Michael Krämer
Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag
Datenkonvertierung: Bookwire
Titelbild: Benjamín Orozco
Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG, Hohenthann
Die Erwählung
Die Höhle des Toltekenkönigs
Maisblüte
Die Entführung
Das Jadeherz
Die Zeit des hundeköpfigen Gottes
Die Stadt der Grünfederschlange
Die dreizehn Unglückstage des Windes
Das blaue und das gelbe Wasser
Die Ankunft des Gesandten
Glänzender Adler
Das Ultimatum
Toxcatl
Personen, Orte, Begriffe
Atlixca: Feldherr von Motecuzoma. Titel: Herr-Des-Richterhauses
Baumleguan: Cihuacoatl und Stellvertreter von Motecuzoma
Cacama: Herrscher von Tetzcoco
„Cihuacoatl“: Weibliche-Schlange, Stellvertreter des Herrschers, der die Erdgöttin verkörperte – Baumleguan
Cortés, Hernán: Konquistador, Anführer des spanischen Invasionsheers
Cuitlahua: Bruder von Motecuzoma und Herrscher der Stadt Iztapalapan
Eins-Affe: Liedmeister im Tempel des Tezcatlipoca
Erdsonne: Jadefischs Mutter
Goldfasan: junger Krieger aus Jadefischs Gefolge
Ixiptla: Abbild, Jadefischs Titel
Jadefisch: Sohn von Nachtjaguar und Abbild des Tezcatlipoca
Maisblüte: Tochter von Motecuzoma und Jadefischs Geliebte
Malin-tzin: Übersetzerin von Cortés
Motecuzoma: Der Wie-Ein-Herr-Zürnt. Herrscher in Mexico-Tenochtitlan und wichtigster Herrscher des aztekischen Bundes
Nachtjaguar: Jadefischs Vater, Herrscher eines Teils von Cholollan
Opossum: Herr-Des-Schwarzen-Hauses, Ratgeber des Herrschers
Quetzalcoatl: Grünfederschlange, einer der Schöpfergötter, Titel der beiden Hohepriester
Quetzalmatte: zweite Hauptgemahlin von Motecuzoma, Maisblütes Mutter
Reiherfeder: Nebenfrau von Motecuzoma, Schwester von Cacama
Sechs-Tod Feuerpfeil: Halbbruder von Jadefisch
Sternfinder: der Priester-Weise im Tempel des Tezcatlipoca (↓)
Tepehua: Motecuzomas Bruder und Feldherr. Titel: Herr-Des-Speerhauses
Tezcatlipoca: Rauchender Spiegel, einer der Schöpfergötter
Tlacotl: Speerschaft, um übertragenen Sinn auch so viel wie Tapferer Krieger, rechte Hand des Herrn-Des-Schwarzen-Hauses und dessen Amtsnachfolger
Totecuiyo: Unser Herr, Anrede des Herrschers
Vanilleblume: Ixtlilxochitl, Bruder und Rivale von Cacama
Erstes Kapitel
Die Erwählung
1
Die Musik erhob sich wie ein Vogel. Mit schrillem Ruf, leicht federnd, sprang sie ab und zog dann kraftvoll immer höher. Als sie genügend Raum gewonnen hatte, hielt sie inne. Sie trug sich selbst, sie schwebte schwerelos. Dann stieg sie wieder. Sie begann zu oszillieren. Sie stieg, sie ließ sich fallen, stieg und fiel und fing sich wieder und drängte doch unbeirrt weiter empor, hin zu dem einen Ton aus Schatten und Licht, der wie kein anderer die Gegenwart des willkürlichen Gottes Tezcatlipoca, Rauchender Spiegel, verkündet. Jadefisch ließ die Finger auf der Blumenflöte tanzen. Mühelos umkreiste er den Ton, die dunkle Mitte, wo der Gott Tezcatlipoca wohnte. Eins-Affe sah die runde, modellierte Blüte wippen, das schmale Rohr, auf dem sie saß, und dachte an den süßen Duft der weißen Winde, der berauschte und betörte, und an die dunklen, runden Samen, durch die der Mensch zu der Gottheit gelangte. Das war der Augenblick! Der Ton erklang. Eins-Affe schloss die Augen. ‚O Nacht, die eine neue Sonne hütet, in Demut nehmen wir unser Schicksal entgegen. Vernichte uns nicht!‘
Beinahe schmerzhaft vibrierte ihm dieser Ton im Bauch; endlich, endlich verschob er sich ins Helle. ‚Licht, Erneuerung!‘, dachte Eins-Affe. Er vernahm Flügelschlagen, und unter seinen Augenlidern zeichnete sich ein makelloser, bläulich schimmernder Reiher ab: Der Gott war ihm in Tiergestalt erschienen. Die Flöte sang jetzt noch höher, das dunkle Motiv wie am Himmel spiegelnd. Dann, plötzlich, stürzte sie ab. Die Spannung löste sich in einer Kadenz falscher Töne. Der blaue Reiher floh.
Eins-Affe öffnete enttäuscht die Augen. Warum konnte sein begabtester Schüler das Blumenlied des Gottes Tezcatlipoca nicht fehlerlos spielen?
Die übrigen neun Schüler, die mit gekreuzten Füßen vor ihm saßen, taten unbeteiligt. Hinter ihnen stand der alte Priester-Weise, der Eins-Affe unterstützte. Während Eins-Affe ihnen die Melodien und die Technik des Flötenspiels beibrachte, kümmerte Sternfinder sich um ihre geistige Führung. Gleich würde er Jadefisch mit dem Agavendorn stechen, um dessen Fleisch zu lehren, was sein Verstand anscheinend nicht begriff.
Doch dies geschah nicht. Sternfinder ließ den Stachel sinken und ging in die Hocke, um die Geste des Erdessens zu vollziehen. Dafür legte er zwei Finger seiner rechten Hand erst auf den Boden, dann auf die Lippen. Eins-Affe machte es ihm unwillkürlich nach, obgleich er noch nicht sehen konnte, wen Sternfinder da grüßte. Auch die Schüler rollten kopfüber.
Nur der ungeschickte Spieler blieb stehen. Beschämt und wütend auf sich selbst bohrte er die Blicke in den Boden.
Schritte näherten sich von der Seite. „Der Große Sprecher“, „unser geliebter Herrscher …“, raunte es im Saal.
Jadefischs Schläfen pochten: ‚Mo-tecu-zo-ma, Der-Wie-Ein-Herr-Zürnt‘!
Der König auf dem Jaguarthron in der Metropole Mexiko-Tenochtitlan! Der das aztekische Bündnis anführte, mit dessen Hilfe er nun schon fast die ganze Welt beherrschte. Cemanahuac, die Welt im Ring des Wassers, erstreckte sich vom Seenland im Ring der Berge bis an die Meere im Osten und Westen. Tief im Süden und Südosten verloren sich die Wege in geheimnisvollen Regenwäldern, wo die Mayavölker wohnten, im Norden schließlich grenzte sie an dürre, karge Steppen, über die allein der Wind und wilde Jäger streiften. Und über das gewaltige Gebiet dazwischen gebot Motecuzoma! Nur wenige wagten es, ihm zu trotzen. Und dieser Mann war höchstpersönlich im Haus der Blasinstrumente erschienen. Er war gekommen, um den besten Flötenspieler zu bestimmen, jenen, der durch ein ganzes Sonnenjahr hindurch den Gott Tezcatlipoca verkörpern durfte. Bald jährte sich Sein Festtag, da Er sterben und sich durch den Tod erneuern würde. Ein Abbild würde ausgerufen werden, damit der wiedergeborene Gott erkennbar unter den Menschen weilte. Es würde Seine Blumenflöte spielen, geliebt, gefeiert und verehrt, um schließlich als Tezcatlipoca selbst zu sterben und in das Haus der Sonne zu gehen.
Der Herrscher hatte, ohne sein Gefolge, hinter einem der bemalten Pfeiler des Wandelganges zwischen Haus und Innenhof gelauscht. Die ungeheuerliche Zerstörung des anfänglich so gut gespielten Liedes berührte ihn wie ein Sakrileg. Drohend kam er aus der Deckung. Dem unglücklichen Jadefisch setzte der Herzschlag aus. Sein Gehirn wurde so leer wie eine Schale, aus der das Wasser gelaufen ist. Die Flöte glitt ihm aus der Hand, und als sie auf den Boden fiel, gab sie einen letzten, unpassenden Ton ab.
„So willst du unsern Gott erfreuen?” In Motecuzomas Stimme kämpften Zorn und Spott.
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