Mögen wir alle uns sein Gebet zu eigen machen: ›Mache mich fähig zu glauben, als ob ich sähe; lass mich dich stets vor Augen haben, als wärest du allzeit leibhaftig und fühlbar gegenwärtig; lass mich immer bleiben in Gemeinschaft mit dir, du, mein verborgener, mein lebendiger Gott.‹ 79
Es ist Unsere Hoffnung, dass Ihr Symposium über Newmans Leben und Denken fruchtbar wird und einen spezifischen, wertvollen Beitrag zum Heiligen Jahr darstellt, im Dienst einer tief gehenden Erneuerung im Leben der Kirche. Wir begleiten Ihre Arbeit mit Unserem Gebet, indem Wir alles Licht und alle Kraft für Sie vom Herrn erflehen.«
Spontan fuhr der Papst in französischer Sprache fort: »Leider bin ich nicht so sehr Gelehrter, um Ihnen die Geheimnisse dieser Persönlichkeit eröffnen zu können … Aber vielleicht bin ich ebenso wie Sie ein Schüler, der von der Erfahrung dieses Mannes des Glaubens und der menschlichen Weisheit lernen möchte. Und ich wünschte, dass wir alle in seiner Erfahrung, in seinen Leiden und besonders in der Treue, mit der er seine Lebenslinie durchgehalten hat, ebenso den Frieden finden möchten, wie es in seinem Gedicht zum Ausdruck kommt: »Lead, kindly light , Führe du mich, liebes Licht, luce, light …« 80
Werner Becker
Bei der Wiedergabe der zahlreichen Zitate im zu übersetzenden Text war es mir eine selbstverständliche Pflicht, die vorliegenden deutschen Ausgaben der Werke Newmans – insbesondere die Ausgewählten Werke und die Gesamtausgabe der Predigten heranzuziehen. Wenn es mir in bestimmten Fällen trotz meines Respekts vor diesen sorgfältigen Übersetzungsleistungen geboten schien, von der bereits vorhandenen deutschen Fassung abzuweichen, habe ich in der Regel auf die entsprechenden Stellen zum Vergleich hingewiesen.
Es ist mir ein Bedürfnis, Herrn Pfarrer Dr. Werner Becker, Leipzig, der mit sachkundigem Rat und bereitwilliger Hilfe meine Arbeit an dieser Übersetzung unterstützte, aus ganzem Herzen meinen Dank zu sagen. Was dennoch unzulänglich geblieben ist, trifft selbstverständlich mich allein.
Der Übersetzer
Für eine Predigt, die Newman am 19. August 1832 in Tunbridge Wells und vierzehn Tage später in St Mary the Virgin in Oxford hielt und die Anfang 1834 veröffentlicht wurde, wählte er das Schriftwort: »Wenn ihr das wisset, so seid ihr selig, wenn ihr danach tut« (Joh 13,17). Und er fügte dem unmittelbar hinzu: »Auf kein Volk und kein Zeitalter der Vergangenheit lässt sich dieses Schriftwort besser anwenden als auf dieses unser Land in heutiger Zeit. Denn soweit wir zu urteilen vermögen, hatte bislang kein Volk eine bessere Kenntnis von der Art, Gott zu dienen, von unserer Pflicht, unseren Vorrechten und unserem Lohn, als wir.« 1Wenn auch der insulare Charakter dieser Feststellung teilweise dadurch erklärt werden kann, dass Newman damals noch der festen Überzeugung war, die römische Kirche sei mit der Sache des Antichristen verbunden, so bleibt dies dennoch ein erstaunlicher Anspruch für das England der industriellen Revolution im selben Jahr, in dem die erste Reform Bill (Gesetzesvorlage zur Reform der Abstimmungen im Parlament, Anm. d. V.) verabschiedet wurde.
Eine Predigt aus der gleichen Zeit macht den Sinn seiner Worte etwas deutlicher, wenn er davon spricht, dass »alles im Land, was Rang und Stellung, Intelligenz und Reichtum hat, sich zur Religion bekennt … dass die öffentlichen Einrichtungen unseres Landes auf der Anerkennung der Religion als der Wahrheit aufgebaut sind«. 2Noch als alter Mann, in seiner Kontroverse mit Gladstone im Jahr 1874, rief er aus: »Als ich jung war, hatte der Staat ein Gewissen, und der Oberrichter jener Zeit erklärte, das Christentum sei das Gesetz des Landes: nicht etwa als ein Bestandteil eines verstaubten Gesetzes, sondern als eine kraftvolle, lebendige Wahrheit.« 3Aber Newman dachte dabei noch an mehr. »Ist die Bibel die Religion der Protestanten«, die sie aufgrund ihres Privaturteils deuten, dann können wir sagen, dass der Protestantismus im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine größere Kraft im Leben der Engländer darstellte als zu irgendeiner Zeit davor oder danach. Während des vorausgehenden Jahrhunderts hatte sich dank der methodistischen Predigten unter den weniger gebildeten Schichten ein kraftvoller Protestantismus ausgebreitet, auf den dann in der Kirche von England die evangelikale Erneuerung folgte, die sogar noch weitere Kreise erfasste. Obwohl diese Bewegung in den 30er-Jahren an Schwungkraft verlor, gewann sie doch noch weitere Anhänger, besonders in den mittleren und wohlhabenden Schichten. Sie hatte eine kultivierende Wirkung auf die englische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und gab zugleich dem englischen Sonntag ein strengeres Aussehen. Vergleicht man dies alles mit der Strömung des Unglaubens, die sich von Frankreich ausgehend über Europa ausbreitete, dann erschien England als wahrhaft christliches Land. Newman sagte später vom Evangelikalismus 4: »Diese Lehre war für England ein großer Segen gewesen; sie hatte den Herzen Tausender die grundlegenden und vitalen Wahrheiten der Offenbarung wieder nahegebracht.« 5Diese Bewegung proklamierte die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens, der Hingabe der Sünder an den Erlöser und der Erfahrung der Bekehrung. So kann sie verglichen werden mit der franziskanischen Erneuerung oder der »Neuen Frömmigkeit« in den Niederlanden. Aber sie war protestantisch in ihrer Betonung der religiösen Erfahrung und der subjektiven Reaktion des Glaubenden, der sich um eine »geistliche Gesinnung« bemühen sollte, für die er dann bald andere zu gewinnen suchte. Die Gefahren einer religiös motivierten Selbstbespiegelung, der Verirrung in Scheinheiligkeit und Heuchelei waren offensichtlich. Davon zeugen unter anderem auch die Werke der großen Romanciers, in denen Gestalten wie Pecksniff, Mr Brocklehurst, Lady Sothdown, Mrs Proudie und viele andere diese Seite des Evangelikalismus verkörpern. Für die künftige Entwicklung war es jedoch noch gefährlicher, dass die Konzentration auf die inneren Gefühle zu einer Abwertung des sinnenfälligen und objektiven Bestandes der Religion, der Glaubenssätze, der Sakramente und der sichtbaren Kirche führte. Die Gefühle eines Menschen waren wichtiger als die Inhalte seines Glaubens. Die Theologie und die intellektuelle Grundlage der Religion wurden unterbewertet, sodass dem Rationalismus der Weg bereitet wurde. Noch fehlte es der latitudinarischen 6Richtung an Einfluss, die ihrerseits das Dogma noch weniger betonte als die Evangelikalen, mit diesen aber den gleichen unscharfen Kirchenbegriff teilte. Bald sollte Thomas Arnold den Vorschlag machen, alle Christen mit Ausnahme der Anhänger Roms in diese Kirche miteinzubeziehen, um auf diese Weise einen Verlust der gesetzlich garantierten Stellung der Kirche abzuwenden.
Obwohl solche Gefahren heraufzogen, war der Evangelikalismus für den Moment außerordentlich mächtig. Unter seiner Führung wurden Vereine zur Linderung leiblicher und geistlicher Not gegründet, denen viel Geld zufloss. Die Bibel- und Missionsgesellschaften verbreiteten die evangelikale Lehre bis in die Kolonien. Neben dieses Bild eines weitverbreiteten und einflussreichen Protestantismus muss man nun den in der Bevölkerung vorherrschenden Hass setzen, den die Bischöfe durch ihren Widerstand gegen die Reform Bill erregt hatten und der durch die Pfründenhäufung und den Reichtum der anglikanischen Kirche genährt wurde. Überwiegend richtete sich dieser Hass nicht gegen die Religion selbst, sondern gegen eine religiöse Körperschaft, die man als eine privilegierte Einrichtung des Staates ansah. Das Recht der weltlichen Macht, die Kirche zu kontrollieren, wurde als selbstverständlich hingenommen, und erastianische Auffassungen 7hatten fast alle Richtungen in der Kirche von England gemein. Bald sollte der Staat auf dem Wege eines typisch englischen Kompromisses Kirchenkommissare ernennen, die auf der einen Seite sicherzustellen hatten, dass Pfründenhäufung und ähnliche Missbräuche abgestellt wurden und dass auf der anderen Seite der Reichtum der Kirche erhalten blieb, wenn er auch eine gewisse Umverteilung erfuhr.
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