Trotz der Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen verlor Macquart den Mut nicht. Er sagte sich, daß er allein es zuwege bringen werde, die Rougon zu erwürgen, wenn er sie jemals in irgendeinem Winkel in seiner Gewalt haben würde. Seine Wut eines neidischen und hungernden Müßiggängers wuchs noch infolge einer Reihe von Unglücksfällen, die ihn nötigten, wieder zur Arbeit zu greifen. In den ersten Tagen des Jahres 1850 starb Fine an den Folgen einer Erkältung, die sie sich holte, als sie eines Abends die Wäsche der Familie in der Viorne wusch und dann in nassem Zustande auf dem Rücken heimtrug. Triefend von Wasser und Schweiß, keuchend unter der schweren Bürde war sie heimgekehrt und hatte das Siechbett nicht mehr verlassen. Dieser Todesfall versetzte Macquart in nicht geringe Bestürzung. Sein sicherstes Einkommen war weg. Als er nach einigen Tagen den Ofen verkaufte, auf dem Fine die Kastanien briet, und das Holzgestell, dessen sie sich bei dem Einflechten der Strohsessel zu bedienen pflegte, klagte er in rohen Worten den lieben Gott an, daß er ihm sein Weib genommen, diese starke Person, deren er sich stets geschämt hatte und deren ganzen Wert er jetzt erkannte. Um so gieriger warf er sich jetzt auf den Erwerb seiner Kinder. Allein Gervaise ward seiner unaufhörlichen Geldforderungen bald überdrüssig und ging einen Monat später ihrer Wege, mit ihren zwei Kindern und mit Lantier, dessen Mutter ebenfalls gestorben war. Das Liebespaar floh nach Paris. Niedergeschmettert von dieser Handlungsweise seiner Tochter geriet Antoine in schreckliche Wut und wünschte ihr, sie möge im Krankenhause enden wie ihresgleichen. Allein diese Lästerungen gestalteten seine Lage nicht besser, die eine entschieden schlimme war. Jean folgte bald dem Beispiele seiner Schwester. Er wartete einen Lohntag ab und wußte es so einzurichten, daß er selbst seinen Lohn in Empfang nahm. Beim Fortgehen sagte er einem seiner Freunde, der es dann Antoine wiedersagte, er wolle nicht langer seinen Taugenichts von Vater ernähren; wenn dieser ihn durch die Gendarmen zurückführen lassen solle, werde er Säge und Hobel nicht mehr anrühren. Als Antoine ihn am folgenden Tage vergebens suchte und sich ohne einen Sou allein sah in der Behausung, wo er sich zwanzig Jahre lang hatte aushalten lassen, geriet er in eine schreckliche Wut, stieß mit den Füßen nach den Möbeln und lästerte in ungeheuerlicher Weise. Dann sank er hin und stöhnte wie ein zu Tode Getroffener. Die Furcht, sein Brot verdienen zu müssen, machte ihn krank. Als Silvère zu Besuch kam, beklagte er sich weinend über die Undankbarkeit seiner Kinder. War er denn nicht immer ein guter Vater gewesen? Jean und Gervaise seien Ungeheuer, die ihm schlecht all das lohnten, was er für sie getan. Jetzt verließen sie ihn, weil er alt sei und sie ihn nicht mehr ausnützen konnten.
Aber Oheim, Sie sind doch noch in dem Alter, um arbeiten zu können, bemerkte Silvère.
Macquart hüstelte, krümmte sich und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, daß er selbst der mindesten Anstrengung nimmer fähig sei. In dem Augenblicke, als sein Neffe sich zum Gehen anschickte, borgte er zehn Franken von ihm. Einen Monat lebte er davon, daß er die alten Kleider seiner Kinder, ein Stück nach dem andern, zum Trödler trug; ebenso verschacherte er nach und nach die kleinen Gegenstände des Hausrates. Bald hatte er nichts, als einen Tisch, einen Sessel, sein Bett und die Kleider, die er am Leibe trug. Schließlich ging er so weit, das aus Nußholz gemachte Bett gegen ein solches von weichem Holze zu vertauschen. Als er mit allen Hilfsquellen zu Ende war, holte er wütend und mit der Miene eines Menschen, der sich zum Selbstmorde entschließt, das Bündel Weidenruten hervor, das seit einem Vierteljahrhundert in einem Winkel vergessen gelegen hatte.
Als er es aufhob, schien er einen Berg von der Stelle zu rücken. Und jetzt begann er wieder, Hand- und Holzkörbe zu flechten, wobei er die Menschheit wegen seiner Verlassenheit anklagte. Zu dieser Zeit hauptsächlich sprach er davon, mit den Reichen teilen zu wollen. Er zeigte sich als ein Schreckensmensch. Mit seinen Brandreden entzündete er die Kneipe fast, wo seine wilden Blicke ihm einen unbeschränkten Kredit verschafften. Übrigens arbeitete er nur dann, wenn es ihm nicht gelingen wollte, bei Silvère oder einem Saufkameraden ein Hundertsoustück zu pumpen. Er war nicht mehr »Herr« Macquart, der täglich rasierte und sauber gekleidete Arbeiter, der sich auf den Spießbürger aufspielte; er war jetzt wieder der schmutzige Geselle von ehemals, der auf seine Lumpen spekulierte. Jetzt, da er sich mit seinen Körben fast auf jedem Wochenmarkte einfand, wagte Felicité nicht mehr, in der Markthalle zu erscheinen. Einmal machte er ihr eine schreckliche Szene. Mit seinem Elend wuchs auch sein Haß gegen die Rougon. Er schwor unter fürchterlichen Drohungen, sich selbst Gerechtigkeit verschaffen zu wollen, da die Reichen sich untereinander verständigten, ihn zur Arbeit zu zwingen.
Unter so bewandten Umständen nahm Macquart die Kunde von dem Staatsstreiche mit der geräuschvollen Freude eines Hundes auf, der den Trieb wittert. Da die wenigen anständigen Liberalen in der Stadt sich nicht hatten verständigen können und sich daher abseits hielten, war es nur natürlich, daß Antoine einer der vordersten Agenten der Erhebung wurde. Trotz ihrer abfälligen Meinung von diesem Müßiggänger mußten ihn die Arbeiter bei dieser Gelegenheit für ein Banner ansehen, unter welchem sie sich scharten. Doch als die Stadt in den ersten Tagen ruhig blieb, glaubte Macquart, seine Pläne seien vereitelt worden. Erst bei der Nachricht von der Erhebung der Landbevölkerung begann er wieder zu hoffen. Um keinen Preis der Welt würde er Plassans verlassen haben. Darum ersann er einen Vorwand, um den Arbeitern nicht zu folgen, die am Sonntag morgen zu der aufrührerischen Bande von La Palud und von Saint-Martin-de-Vaulx stießen. Am Abende desselben Tages befand er sich mit einigen Getreuen in einer verdächtigen Kneipe der Altstadt, als ein Genosse herbeieilte, um sie zu benachrichtigen, daß die Aufrührer wenige Kilometer von Plassans stünden. Diese Kunde sei soeben durch einen Eilboten gebracht worden, dem es gelungen war, in die Stadt zu kommen, und der beauftragt war, der Bande die Stadttore öffnen zu lassen. Diese Kunde erregte ein Jubelgeheul. Besonders Macquart schien toll vor Begeisterung. Dieses unerwartete Eintreffen der Aufständischen betrachtete er wie eine gnädige Fügung der Vorsehung. Seine Hände zitterten vor Wonne bei dem Gedanken, daß er diese Rougon bald an der Gurgel haben werde.
Indes beeilten sich Antoine und seine Genossen, das Kaffeehaus zu verlassen. Alle Republikaner, die die Stadt noch nicht verlassen hatten, fanden sich alsbald auf der Promenade Sauvaire ein. Es war die Rotte, die Rougon gesehen hatte, als er in die Behausung seiner Mutter lief, um sich da zu verbergen. Als die Bande auf der Höhe der Banne-Straße ankam, hieß Macquart, der in der Nachhut geblieben war, vier seiner Genossen zurückbleiben; es waren dies kräftige Burschen mit wenig Grütze, die er mit seinen Kaffeehausreden beherrschte. Er redete ihnen ohne Mühe ein, daß man unverzüglich die Feinde der Republik dingfest machen müsse, wenn man schweren Unglücksfällen vorbeugen wolle. Die Wahrheit war, daß er fürchtete, Peter könnte in den Trubel, den der Einmarsch der Aufständischen in der Stadt verursachen mußte, ihm entrinnen. Die vier Burschen folgten ihm mit musterhafter Fügsamkeit und pochten an der Türe der Rougon. Unter diesen kritischen Umständen benahm sich Felicité mit bewundernswürdigem Mute. Sie ging hinab und öffnete die Haustür.
Wir wollen zu dir hinauf gehen, sagte ihr Macquart barsch.
Es ist gut, meine Herren, gehen Sie hinauf, erwiderte sie mit spöttischer Höflichkeit, indem sie tat, als erkenne sie ihren Schwager nicht.
Читать дальше