War es ein Vortheil für den Menschen, seine Hände und Arme frei zu haben und fest auf seinen Füßen zu stehen, woran sich nach seinem so ausgezeichneten Erfolge in dem Kampfe um's Dasein nicht zweifeln läßt, dann kann ich keinen Grund sehen, warum es für die Urerzeuger des Menschen nicht hätte vortheilhaft gewesen sein sollen, immer mehr und mehr aufrecht oder zweifüßig zu werden. Sie würden dadurch besser im Stande gewesen sein, sich mit Steinen und Keulen zu vertheidigen oder ihre Beute anzugreifen oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen. Die am besten gebauten Individuen werden in der Länge der Zeit am besten Erfolg gehabt haben und in größerer Zahl am Leben geblieben sein. Wenn der Gorilla und einige wenige verwandte Formen ausgestorben wären, würde man mit großer Überzeugungskraft und scheinbar mit sehr viel Recht zu dem Schlusse getrieben werden, daß ein Thier nicht allmählich aus einem Vierfüßer in einen Zweifüßer umgewandelt worden sein könnte, da alle Individuen in einem Zwischenzustand erbärmlich schlecht zum Gehen angelegt gewesen wären. Aber wir wissen (und dies ist wohl der Überlegung werth), daß mehrere Affen jetzt factisch sich in diesem Zwischenzustand befinden, und Niemand zweifelt, daß sie einen im Ganzen ihren Lebensbedingungen gut angepaßten Bau haben. So läuft der Gorilla mit einem seitlich watschelnden Gang, schreitet aber gewöhnlich so fort, daß er sich auf seine gebeugten Hände stützt. Die langarmigen Affen gebrauchen gelegentlich ihre Arme wie Krücken, indem sie ihren Körper zwischen denselben nach vorwärts schwingen, und einige Arten von Hylobates können, ohne daß es ihnen gelehrt worden wäre, mit ziemlicher Schnelligkeit aufrecht gehen oder laufen. Doch bewegen sie sich ungeschickt und viel weniger sicher als der Mensch. Kurz, wir sehen bei den jetzt lebenden Affen verschiedene Abstufungen zwischen einer Form der Bewegung, welche streng der eines Vierfüßers gleicht, und der eines Zweifüßers oder des Menschen; doch nähern sich, wie ein unparteiischer Beurtheiler betont, 133die anthropomorphen Affen in ihrem Bau mehr dem zweifüßigen als dem vierfüßigen Typus.
In dem Maße, wie die Urerzeuger des Menschen mehr und mehr aufrecht wurden, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und zu andern Zwecken, und ihre Beine und Füße gleichzeitig zur sichern Stütze und zur Ortsbewegung modificiert wurden, werden auch endlose andere Veränderungen im Bau nothwendig geworden sein. Das Becken muß breiter, das Rückgrat eigenthümlich gebogen und der Kopf in einer veränderten Stellung befestigt worden sein; und alle diese Veränderungen sind vom Menschen erlangt worden. Professor Schaaffhausen 134behauptet, daß »die kräftigen Zitzenfortsätze des menschlichen Schädels das Resultat seiner aufrechten Stellung sind«, und diese Fortsätze fehlen beim Orang, Schimpanse u. s. w. und sind beim Gorilla kleiner als beim Menschen. Es ließen sich noch verschiedene andere Bildungen hier speciell anführen, welche mit der aufrechten Stellung des Menschen im Zusammenhange stehend erscheinen. Es ist sehr schwer zu entscheiden, wie weit alle diese in Correlation stehenden Modificationen das Resultat natürlicher Zuchtwahl und wie weit sie das Resultat der vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs gewisser Theile oder der Wirkung eines Theils auf einen andern sind. Ohne Zweifel wirken diese Mittel der Veränderung gleichzeitig mit einander; wenn z. B. gewisse Muskeln und die Knochenleisten, an welchen sie befestigt sind, durch beständigen Gebrauch vergrößert werden, so zeigt dies, daß gewisse Handlungen gewohnheitsgemäß ausgeführt werden und von Nutzen sein müssen. Es werden daher diejenigen Individuen, welche sie am besten ausführten, in größerer Zahl leben zu bleiben neigen.
Der freie Gebrauch der Hände und Arme, welcher zum Theil die Ursache, zum Theil das Resultat der aufrechten Stellung des Menschen ist, scheint auf indirecte Weise noch zu andern Modificationen des Baus geführt zu haben. Wie vorhin angegeben wurde, waren die frühen männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit großen Eckzähnen versehen; in dem Maße aber, wie sie allmählich die Fertigkeit erlangten, Steine, Keulen oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnladen und Zähne immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen in Verbindung mit den Zähnen an Größe reduciert worden sein, wie wir nach zahllosen analogen Fällen wohl ganz sicher annehmen können. In einem späteren Capitel werden wir einen streng parallelen Fall anführen, nämlich die Verkümmerung oder das vollständige Verschwinden der Eckzähne bei männlichen Wiederkäuern, welches allem Anscheine nach zu der Entwicklung ihrer Hörner in Beziehung steht, ebenso bei Pferden, wo jene Verkümmerung mit dem Gebrauch in Bezug steht, mit den Schneidezähnen und Hufen zu kämpfen.
Wie Rütimeyer 135und Andere behauptet haben, ist bei den erwachsenen Männchen der anthropomorphen Affen entschieden die Wirkung der Kiefermuskeln, welche bei ihrer bedeutenden Entwicklung auf den Schädel derselben ausgeübt worden ist, die Ursache gewesen, weshalb dieser letztere in so vielen Beziehungen so beträchtlich von dem des Menschen abweicht und »eine wirklich schreckenerregende Physiognomie« erhalten hat. In dem Maße also, wie die Kinnladen und Zähne bei den Vorfahren des Menschen allmählich an Größe reduciert wurden, wird auch der erwachsene Schädel nahezu dieselben Charaktere dargeboten haben, welche er bei den Jungen der anthropomorphen Affen darbietet, und wird hierdurch sich immer mehr dem des jetzt lebenden Menschen ähnlich gestaltet haben. Eine bedeutende Verkümmerung der Eckzähne bei den Männchen wird fast sicher, wie wir später noch sehen werden, in Folge der Vererbung auch die Zähne der Weibchen beeinflußt haben.
Wie die verschiedenen geistigen Fähigkeiten nach und nach sich entwickelt haben, wird auch das Gehirn Beinahe mit Sicherheit größer geworden sein. Ich denke, wohl Niemand zweifelt daran, daß die bedeutende Größe des Gehirns des Menschen im Verhältnis zu seinem Körper und im Vergleich mit dem Gehirn des Gorilla oder Orang, in enger Beziehung zu seinen höheren geistigen Kräften steht. Streng analogen Thatsachen begegnen wir bei Insecten; so sind unter Anderem die Kopfganglien bei den Ameisen von außerordentlichen Dimensionen, während diese Ganglien überhaupt bei allen Hymenoptern viele Male größer sind als bei den weniger intelligenten Ordnungen, wie z. B. bei den Käfern. 136Auf der andern Seite denkt Niemand daran, daß der Intellect irgend zweier Thiere oder irgend zweier Menschen genau durch den cubischen Inhalt ihrer Schädel gemessen werden kann. Es ist sogar sicher, daß eine außerordentliche geistige Thätigkeit bei einer äußerst kleinen absoluten Masse von Nervensubstanz existieren kann. So sind ja die wunderbaren verschiedenen Instincte, geistigen Kräfte und Affecte der Ameisen allgemein bekannt, und doch sind ihre Kopfganglien nicht so groß wie das Viertel eines kleinen Stecknadelkopfs. Von diesem letzteren Gesichtspunkte aus ist das Gehirn einer Ameise das wunderbarste Substanzatom in der Welt und vielleicht noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen.
Die Annahme, daß beim Menschen irgend eine enge Beziehung zwischen der Größe des Gehirns und der Entwicklung der intellectuellen Fähigkeiten besteht, wird durch die Vergleichung von Schädeln wilder und civilisierter Rassen, alter und moderner Völker und durch die Analogie der ganzen Wirbelthierreihe unterstützt. Dr. J. Barnard Davis hat durch viele sorgfältige Messungen nachgewiesen, 137daß die mittlere Schädelcapacität bei Europäern 92,3 Cubikzoll, bei Amerikanern 87,5, bei Asiaten 87,1 und bei Australiern nur 81,9 beträgt. Professor Broca 138hat gefunden, daß Schädel aus Gräbern in Paris vom neunzehnten Jahrhundert gegen solche aus Gräbern des zwölften Jahrhunderts in dem Verhältnis von 1484:1426 größer waren, und daß die durch Messungen ermittelte Zunahme der Größe ausschließlich den Stirntheil des Schädels betraf, – den Sitz der intellectuellen Fähigkeiten. Auch Prichard ist überzeugt, daß die jetzigen Bewohner Groß-Britanniens »viel geräumigere Hirnkapseln« haben als die alten Einwohner. Nichtsdestoweniger muß zugegeben werden, daß einige Schädel von sehr hohem Alter, wie z. B. der berühmte Neanderthalschädel, sehr gut entwickelt und geräumig sind. 139In Bezug auf die niederen Thiere ist Mr. Lartet 140durch Vergleichung der Schädel tertiärer und jetzt lebender Säugethiere, welche zu denselben Gruppen gehören, zu dem merkwürdigen Schlusse gelangt, daß in den neueren Formen das Gehirn allgemein größer und die Windungen complicierter sind. Auf der andern Seite habe ich gezeigt, 141daß die Gehirne domesticierter Kaninchen an Größe beträchtlich reduciert sind, verglichen mit denen des wilden Kaninchens oder des Hasen; und dies mag dem Umstande zugeschrieben werden, daß sie viele Generationen hindurch in enger Gefangenschaft gehalten wurden, so daß sie ihren Intellect, ihren Instinct, ihre Sinne und ihre willkürlichen Bewegungen nur wenig ausgeübt haben.
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