Eine gewisse Spannung, Herausforderung in verschiedenen Lebensabschnitten ist wichtig zur Persönlichkeitsformung, denn sie lässt Pflicht, Verantwortung und sogar berufliche Drucksituationen entsprechend positiv verarbeiten. Die Chance, aus Belastung und Ausgleich den Körper und Geist reifen zu lassen, ist und wird ein wertvoller Trainingsverlauf für das (spätere) Leben! Der Aufbau von Anpassung, Stabilität und Gleichgewicht führt uns in einen harmonischen Zustand – modern bezeichnet als »Work-Life-Balance«.
Die größte Gefahr – und das versuchte ich eindringlich zu transportieren – sei die möglicherweise falsche »Programmierung« eines heranwachsenden jungen Menschen, die ihn zu der Annahme verleiten könnte, dass es gegen jede Form von Belastung (Stress, Exposition) ein entsprechendes Mittel gäbe. Aufgrund einer solchen Erwartungshaltung könnte in späteren Lebensabschnitten der Zugang zu »beruhigenden Hilfsmitteln« jeglicher Art von Alkohol, Medikamenten oder anderen abhängig machenden Substanzen vorgezeichnet sein. Leider musste ich dies bei manchen Jugendlichen, die ich über viele Jahre kannte, tatsächlich beobachten, daher die angesprochene Betroffenheit meinerseits. Wachsen Kinder mit der Information auf, dass sie in Belastungssituationen Globuli und bei leichtesten Infekten Vitaminsäfte oder propagierte immunstärkende »Aufbaumittel« erhalten, erliegen sie möglicherweise einer irreführenden Prägung.
Heilen helfen – eine Wegbeschreibung
Zuwendung durch die Kraft der Worte, Zuwendung durch körperlichen Kontakt im Sinne des Wortes »behandeln«, also »Hand anlegen«, bildet eine wesentliche Grundlage eines Heilerfolges. Berühren erzeugt Heilkraft und verursacht durch die taktilen Reize vielfältige Signale, die wiederum Botenstoffe unseres Körpers in Bewegung setzen, um eine positive Regulation zu bewirken. Soma, die Gesamtheit des Körpers, der Leib, und die Psyche, der Ort menschlichen Fühlens und Denkens, reagieren über unseren Steuernerv Vagus, der jede einzelne Zelle kontrolliert. Hier liegt die Wurzel unserer regulatorischen Systeme, die den Körper in Form von Ausgleich und Heilung beeinflussen. Im Prinzip läuft ein ständiger Selbstheilungsprozess, den wir durch unseren Lebensstil und Gedanken (Emotionen) beeinflussen. So glaube ich, wird jeder Mensch den Wunsch haben, gesund zu bleiben oder gesund zu werden. Ebenso muss der Heiler/Arzt den Wunsch in sich tragen, durch seine Beeinflussung dem Klienten Heilung zu bringen. Moralische und physische Gesundheit des Behandlers sind wichtige Grundbausteine einer heilhelfenden Person. Der Heiler, in den meisten Fällen der Arzt, ist wie ein Katalysator Antreiber oder Beschleuniger zu Gesundungsprozessen. Viele »Heilhelfer« unterschiedlichster Anschauungen und Behandlungsarten nutzen ebenso mit Erfolg solche Heilwege. Heil, gesund zu werden ist wohl nicht in jedem Fall ein klar definierter Weg, der bei allen Menschen in gleicher Weise funktionieren und gelingen kann. Die Beeinflussung dazu, »gesund zu werden« oder »gesund zu sein«, bleibt im Rahmen der Selbstheilung, des Regulationsgeschehens in vielen Aspekten ein verborgenes Geschehen. Welche »Mitspieler« hier ihre Kraft entwickeln und welche Signale weitergegeben werden, entscheidet eine noch sehr geheimnisvolle Welt. Ein Faktor ist gewiss der heilsuchende Mensch, ein zweiter der Behandler. Unbestritten bleibt: Wir sind (beeinflussbare) Lebewesen und keine (funktionierenden) Automaten!
Betrachten wir das Wunderwerk des menschlichen Körpers, der mit so vielen erforschten und wohl noch verborgenen Funktionen ausgestattet ist. Jeder einzelne Körper vermag aufgrund seiner Regulationssysteme seine Homöostase wohlgeordnet ablaufen zu lassen. Das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen ist eine Mitursache für unsere Selbstheilungskräfte. Somit heilt, regeneriert sich der Körper selbst (vorausgesetzt, wir behindern ihn nicht dabei) – es arbeitet sozusagen unser innerer Arzt. Diese biologisch-physiologisch-chemisch-elektrischen Abläufe sind »Leben«. Hier liegt eine große Gefahr, derartige Prozesse zu unserem Nachteil zu stören. Auf den Körper zu hören, seine Regulationskräfte arbeiten zu lassen oder zu fördern sollte Aufgabe für unsere Gesundheit sein. Wesentlich ist die Verinnerlichung, dass wir ein hohes Maß an Selbstverantwortung haben, solch positive Reaktionen zuzulassen und nicht zu beeinträchtigen. Wir müssen uns auch der Tatsache stellen, dass wir mit Naturgesetzen nicht verhandeln können; es ist nicht möglich, sich von ihnen freizukaufen. »Um der Natur befehlen zu können, muss man ihr gehorchen!«, hat schon der englische Philosoph Francis Bacon postuliert. Darüber könnte jeder von uns gelegentlich nachdenken – ich versuche im Buch, einen solchen Denkanstoß zu bewirken.
Was ist Gesundheit, was ist Krankheit?
Unser aller Wunsch ist, gesund zu sein, sich rundum wohlzufühlen. Kann uns dies gelingen und gegebene Tatsache werden? Wunschdenken und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander. Wann bin ich gesund, wie wird Gesundheit definiert? »Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen«, lautet eine Erklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Gibt es nach dieser Bestimmung überhaupt gesunde Personen?
Die Grenzen zwischen einer Befindlichkeitsstörung und einer Krankheit sind feststellbare Störungen der normalen Funktionen des Körpers, der Organe beziehungsweise des seelischen oder psychischen Zustands. Interessanterweise denken wir über Gesundheit erst nach, wenn sich in der Umgebung jemand befindet, der »nicht der Norm« entspricht oder falls wir selbst davon betroffen sind. Philosophen, Naturwissenschaftler oder Theologen stellen Überlegungen dazu an und kommen zu ganz unterschiedlichen Erkenntnissen. »Gesundheit ist (…) weniger ein Zustand als eine Haltung, und sie gedeiht mit der Freude am Leben«, ist etwa Thomas von Aquin überzeugt, während der deutsche Journalist und Kritiker Ludwig Börne behauptet: »Es gibt tausend Krankheiten, aber nur eine Gesundheit.« Der deutsche Hochschullehrer Heinrich Schipperges sagt über den Begriff Gesundheit: »Gesundheit ist kein Begriff, sondern eine Einstellung, kein Zustand, sondern ein Habitus«, und das medizinische Wörterbuch Pschyrembel bietet folgende Definition an: »Gesundheit ist das subjektive Empfinden des Fehlens körperlicher, geistiger und seelischer Störungen oder Veränderungen bzw. ein Zustand, in dem Erkrankungen und pathologische Veränderungen nicht nachgewiesen werden können.«
Immer schon dürften sich (betroffene) Menschen bei körperlichen, geistigen oder seelischen Abweichungen Gedanken gemacht haben über die Ursachen einer subjektiv empfundenen »Erkrankung«. Wodurch entsteht ein »irregulärer« physischer oder/und psychischer Zustand – ein sogenanntes Krankheitsgeschehen? Das ist ein für jede Person interessantes, wohl auch geheimnisvolles und in den meisten Fällen nicht sicher definierbares Geschehen. Über Jahrtausende gibt es Erklärungsversuche, welche dem Thema Krankheit eine »Ursache« geben wollen. Die Ursachen vermutet man an vielen unterschiedlichen Stellen und mannigfaltigen Quellen und interpretiert sie dementsprechend. Der Mensch in seinem Wissensdrang und oft auch in vorhandener religiöser Abhängigkeit versucht Lebensabläufe zu verstehen und zu begreifen, aber auch immer wieder hinter so manches Geheimnis zu blicken. Besonders im Mittelalter neigte man dazu, Krankheiten als eine Strafe Gottes im Zusammenwirken mit der Macht des Teufels zu deuten. Folglich könne Heilung lediglich durch die Kräfte und das Wohlwollen Gottes erfolgen. Doch auch bei den »heidnischen« Göttern lassen sich unterschiedliche Qualitäten festmachen, um uns Menschen zu strafen, abhängig von unserem Lebenswandel.
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