Am zehnten Mai also kamen die jungen Leute, nachdem sie kurz auf dem Standesamt gewesen, nach Haus um zu packen. Sie hatten eine kirchliche Trauung, da sie doch niemand eingeladen hatten, für unnötig erachtet.
Mit dem Sechs-Uhrzug abends fuhren sie vom Bahnhof Saint-Lazare nach der Normandie davon.
Bis sie im Wagenabteil allein saßen, hatten sie kaum zwanzig Worte mit einander gewechselt. Sobald der Zug in Bewegung war, blickten sie sich an und fingen an zu lachen, um eine gewisse Verlegenheit zu verbergen, die sie nicht zeigen mochten.
Der Zug glitt langsam durch den langgestreckten Bahnhof Batignolles, dann durcheilte er die kahle Ebene, die sich von den Festungswerken bis zur Seine erstreckt.
Duroy und seine Frau wechselten ab und zu ein paar gleichgiltige Worte und blickten dann wieder aus dem Fenster.
Als sie über die Brücke von Asnières fuhren, freuten sie sich über den mit Schiffen bedeckten Strom, an dem Angler saßen, auf dem Ruderer ihre Boote lenkten.
Die leuchtende Maisonne fiel in schrägen Strahlen auf die Boote und auf den ruhig daliegenden Fluß, der unbeweglich schien, ohne Strömung, als sei er geronnen unter der Hitze und dem Licht des sterbenden Tages. In der Mitte des Stromes glitt ein Segelschiff dahin, das nach beiden Seiten zwei große dreieckige Segel entfaltet hatte um auch den geringsten Lufthauch aufzufangen. Es sah aus, wie ein riesiger Vogel, der davon ftiegen will.
Duroy sagte:
– Ach ich liebe die Umgegend von Paris so sehr. Ich denke noch immer an die Bratfische hier draußen, die besten die ich je gegessen.
Sie antwortete:
– Und die Boote! Ach es ist doch zu schön bei Sonnenuntergang über das Wasser zu gleiten.
Dann schwiegen sie, als wagten sie nicht, diese Ergüsse über ihr vergangenes Leben fortzusetzen. Sie blieben stumm und genossen vielleicht schon leise den poetischen Zauber, mit dem die Reue Verlornes umkleidet.
Duroy saß seiner Frau gegenüber, er nahm ihre Hand und küßte sie langsam:
– Wenn wir wieder zu Hause sind, wollen wir manchmal nach Chatou zum Essen hinausfahren? Nicht?
Sie flüsterte:
– Ach wir werden so viel zu thun haben – in einem Ton, der soviel sagen sollte als: Wir müssen das Angenehme dem Nützlichen opfern.
Er hielt noch immer ihre Hand und fragte sich ängstlich, wie er den Übergang zur Zärtlichkeit finden sollte.
Die Unschuld eines jungen Mädchens hätte ihn nicht in Verlegenheit gesetzt, aber die Gerissenheit und Erfahrung, die er in Magdalene witterte, machte ihn befangen.
Er fürchtete, ihr thöricht vorzukommen, entweder zu schüchtern oder zu roh vorzugehen, zu langsam oder zu schnell.
Er drückte ab und zu ihre Hand, aber sie gab den Druck nicht zurück.
Er sprach:
– Es ist doch zu komisch, daß Du meine Frau bist. Das schien sie in Erstaunen zu setzen. – Warum denn?
– Ich weiß nicht, mir kommt es komisch vor, ich möchte Dich küssen und ich wundere mich, daß ich das Recht dazu habe.
Sie hielt ihm ruhig ihre Wange hin, die er wie die einer Schwester küßte.
Er begann von neuem:
– Weißt Du, das erste Mal als ich Dich gesehen habe, weißt Du bei dem Diner, zu dem mich Forestier eingeladen hatte, dachte ich: Donnerwetter! Wenn ich mal so ‘ne Frau fände! Na, und nun ist sie da! Ich habe sie!
Sie flüsterte:
– Das ist nett von Dir. – Und blickte ihm mit immer lächelnden Augen gerade ins Gesicht.
Er dachte: Ich bin zu kalt. Ich bin ein Stoffel! Ich müßte forscher sein. Und er fragte:
– Wo hast Du eigentlich Forestiers Bekanntschaft gemacht?
Sie antwortete boshaft und grob:
– Fahren wir eigentlich nach Rouen, um von ihm zu sprechen?
Er wurde rot:
– Ja, ich bin wirklich dämlich! Weißt Du, daß Du mich furchtbar einschüchterst?
Das freute sie:
– Ich? Ist doch nicht möglich! Woher denn?
Er hatte sich ganz nahe an ihre Seite gesetzt, da rief sie plötzlich:
– O, da ein Hirsch!
Der Zug eilte durch den Wald von Saint-Germain und sie hatte ein erschrockenes Reh gesehen, das mit einem Satz über den Weg sprang.
Duroy hatte sich vorgebeugt, während sie durch das offene Fenster blickte, und drückte einen langen zärtlichen Kuß auf die Härchen hinten am Hals.
Sie hielt ein paar Augenblicke still, dann bog sie den Kopf zurück:
– Das krabbelt, laß doch! – Aber er blieb dabei und ließ langsam in entnervender, langer Zärtlichkeit seinen Schnurrbart über ihre weiße Haut gleiten.
Sie schüttelte sich:
– Laß doch!
Er hatte mit der rechten Hand, die er hinter sie geschoben, ihren Kopf gepackt und wandte ihn sich zu.
Dann warf er sich auf ihren Mund, wie ein Sperber auf seine Beute.
Sie wehrte sich, drängte ihn zurück, versuchte sich los zu machen. Endlich gelang es ihr, und sie rief noch einmal:
– Aber so laß doch!
Doch er hörte nicht auf sie, umschlang sie, küßte sie mit gierigen zitternden Lippen, indem er versuchte sie auf die Polster des Coupés zu werfen.
Sie machte sich mit aller Gewalt los und fuhr lebhaft auf:
– Aber Georg, laß doch! Wir sind doch keine Kinder mehr, wir können doch warten, bis wir in Rouen sind.
Er blieb mit rotem Gesicht sitzen, aber diese verständig kühlen Worte waren ihm wie ein Eimer kalten Wassers über den Kopf. Als er dann seine Ruhe wieder gewonnen hatte, sagte er heiter:
– Gut, ich warte, aber bis wir ankommen, rede ich nicht zwanzig Worte mehr, und bedenke, daß die Station eben erst Poissy war!
– So werde ich eben sprechen, sagte sie und setzte sich ruhig wieder neben ihn.
Und sie redete ganz nüchtern über alles, was sie thun wollten, wenn sie erst wieder zurück wären. Sie mußten die Wohnung behalten, die sie mit ihrem ersten Mann bewohnt, Duroy erbte ja auch Posten und Gehalt Forestiers bei der › Vie française ‹.
Übrigens hatte sie vor der Hochzeit mit der Sicherheit eines Geschäftsmannes alle pekuniären Angelegenheiten ihrer Ehe geordnet.
Sie hatten sich unter dem Prinzip der Gütertrennung geheiratet. Alle Eventualitäten waren vorgesehen: Tod, Scheidung, Geburt eines oder mehrerer Kinder. Der junge Mann brachte viertausend Franken, wie er behauptete, in die Ehe, aber davon hatte er sich fünfzehnhundert Franken geborgt, das andere stammte von Ersparnissen, die er in Hinblick auf seine Ehe das Jahr über gemacht hatte. Die junge Frau brachte vierzigtausend Franken mit, die sie, wie sie behauptete, von Forestier geerbt.
Jetzt fing sie auch von ihm an zu reden und stellte ihn als Muster hin: – Er war sehr sparsam, sehr ordentlich, sehr fleißig, der hätte in kurzer Zeit ein Vermögen erworben.
Duroy hörte nicht mehr zu, ihm ging anderes im Kopf herum. Manchmal hielt sie inne, um ihren Gedanken still nachzuhängen, dann fing, sie wieder an:
– In drei oder vier Jahren kannst Du ganz gut dreißig bis vierzigtausend Franken jährlich verdienen, das hätte Karl gehabt, wenn er am Leben geblieben wäre.
Georg fand diese Betrachtungen etwas langweilig und sagte:
– Ich dachte, wir führen nicht nach Rouen, um von ihm zu reden..
Sie gab ihm einen Klaps auf die Wange:
– Sehr richtig, es war unrecht von mir! – Sie lachte. Und er faltete ganz still die Hände und that wie ein artiger, kleiner Junge:
– So siehst Du aber dumm aus! – sagte sie.
Er antwortete:
– Das bin ich ja auch, Du hast mich eben noch daran erinnert, und ich werde es auch immer bleiben.
Sie fragte:
– Warum?
– Weil Du die Leitung des ganzen Hauses in die Hand nimmst und sogar mich am Gängelbande führst. Als Witwe mußt Du ja den Rummel können.
Sie fragte erstaunt:
– Was soll denn das heißen?
– Das soll heißen, daß Du eine Erfahrung besitzest, die meine Unwissenheit ausgleichen und eine Praxis in der Ehe, die meiner Junggesellen-Unbeholfenheit zu Hilfe kommen muß. So! Na, das ist es!
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