Aber kaum war er zu Hause angelangt, so beunruhigte ihn der Gedanke an Frau von Marelle, und er schrieb ihr sofort und bat sie um ein Stelldichein am folgenden Tage.
»Das wird eine schwierige Geschichte werden«, dachte er, »das giebt einen ekligen Zusammenstoß.«
Dann fand er sich mit jener natürlichen Leichtlebigkeit damit ab, die ihn über die unangenehmen Dinge des Lebens hinweghuschen ließ. Und er machte sich an einen Artikel über neue Steuern, die erhoben werden müßten, um das Gleichgewicht des Staatshaushaltes herzustellen. Er forderte für das einfache Adelsprädikat eine Steuer von hundert Franks jährlich und für die Titel vom Baron bis zum Prinzen Steuern von fünfhundert bis tausend Franken.
Das unterzeichnete er: D. von Cantel.
Am folgenden Tage erhielt er ein Stadttelegramm von seiner Geliebten mit der Nachricht, sie würde um ein Uhr kommen.
Er erwartete sie mit einiger Erregung, jedoch fest entschlossen, die Dinge bis zum äußersten zu treiben und sofort mit der Thür ins Haus zu fallen und alles zu sagen, wobei er dann nach der ersten Erregung ihr genau alle Gründe auseinander setzen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht auf ewige Zeiten Junggeselle bleiben könnte und er daran habe denken müssen, da nun einmal Herr von Marelle beharrlich leben blieb, eine andere zu seinem legitimen Ehegespons zu machen.
Aber er war doch erregt, und als die Glocke klang, klopfte ihm das Herz.
Sie fiel ihm um den Hals:
– Guten Morgen, Liebling! Aber dann fand sie, daß er sie nur kühl umarmte, betrachtete ihn und fragte:
– Was hast Du denn?
– Setz Dich bitte, sagte er, wir müssen einmal was Ernstes reden.
Sie setzte sich, ohne den Hut abzunehmen, schlug nur den Schleier auf und wartete.
Er hatte die Augen gesenkt und suchte wie er anfangen sollte. Endlich begann er langsam:
– Liebe Freundin, ich muß Dir etwas gestehen, was mich in große Verlegenheit setzt und mich sehr traurig macht. Ich liebe Dich! Ich liebe Dich aus tiefster Seele, und ich kann Dir sagen, daß die Befürchtung, Dir weh zu thun, mich trauriger stimmt, als das was ich Dir mitzuteilen habe.
Sie ward bleich, zitterte und stammelte:
– Was ist denn los? So sag doch!
Er antwortete in entschlossenem Ton, mit jener geheuchelten Niedergeschlagenheit, die man annimmt, um ein glückliches Unglück mitzuteilen:
– Ich will heiraten.
Sie stieß einen Seufzer aus, wie eine Frau, die in Ohnmacht fällt, einen schmerzlichen Seufzer, der aus der Tiefe ihrer Seele kam, dann schnappte sie nach Luft und konnte nicht sprechen vor Atemnot.
Als er sah, daß sie nichts sagte, begann er:
– Du kannst Dir nicht vorstellen, was ich gelitten habe, ehe ich zu diesem Entschluß gekommen bin. Aber ich habe keine sichere Stellung, kein Geld, ich bin allein, verloren in Paris. Ich mußte jemand mir zur Seite haben, vor allem jemand der mir einen Rat geben könnte, einen Trost, eine Stütze. Ich habe sozusagen eine Verbündete, eine Genossin gesucht und gefunden.
Er schwieg, in der Hoffnung sie würde antworten, und war auf einen fürchterlichen Wutausbruch, auf allerlei Gewaltthätigkeiten und Beschimpfungen gefaßt.
Sie hatte eine Hand auf ihr Herz gepreßt, als müßte sie es halten, und atmete noch immer mühsam, stoßweise, daß ihre Brust arbeitete und ihr Kopf zuckte.
Er nahm die andere Hand, die sie auf die Stuhllehne gestützt hatte, aber sie entzog sie ihm heftig; dann murmelte sie wie stumpfsinnig:
– O … mein Gott!
Er kniete vor ihr hin, aber er wagte nicht sie zu berühren, und er stammelte mehr bedrückt durch ihr Schweigen, als er es durch einen Wutausbruch hätte sein können:
– Clo, liebe kleine Clo, denke Dich doch einmal in meine Lage, überleg Dir einmal wie es mit mir steht. Ja, wenn ich Dich hätte heiraten können, Dich, da wäre ich ja so glücklich gewesen! Aber Du bist verheiratet! Was sollte ich denn thun? Überleg Dir doch einmal, bitte überleg Dir doch. Ich muß mir eine Stellung in der Welt machen, und so lange ich kein Heim habe, kann ich es nicht. Ach, wenn Du wüßtest …..es hat Stunden gegeben, wo ich Deinen Mann hätte ermorden können.
Er sprach mit seiner weichen, verschleierten, verführerischen Stimme, die wie Musik ins Ohr klang.
Er sah, wie zwei dicke Thränen langsam in die starren Augen der Geliebten stiegen und dann die Wangen hinabperlten, während sich schon zwei andere wieder am Lidrande bildeten.
Er stammelte:
– Ach weine doch nicht. Ich bitte Dich, weine doch nicht, es zerreißt mir das Herz.
Da nahm sie sich zusammen, so sehr sie konnte, um stolz und würdig zu erscheinen und fragte mit jenem meckernden Ton einer Frau, die halb im Schluchzen ist:
– Wer ist sie?
Er zögerte eine Sekunde, aber dann sah er ein, daß er es ja doch sagen mußte und sprach:
– Magdalene Forestier.
Frau von Marelle bebte am ganzen Leib, dann blieb sie starr und stumm und dachte so angespannt nach, als hatte sie ganz vergessen, daß er ihr zu Füßen kniete.
Und zwei helle Tropfen stiegen unausgesetzt in ihren Augen auf, fielen herab und bildeten sich wieder.
Sie erhob sich. Duroy erriet, daß sie gehen wollte ohne ihm ein Wort zu sagen, ohne Vorwurf, aber auch ohne ihm zu verzeihn. Das verletzte ihn und demütigte ihn tief, er wollte sie zurückhalten, umfaßte ihr Kleid und umspannte ihre runden Beine, die er durch den Stoff sich strecken fühlte, um ihm zu widerstehen.
Er flehte:
– Ich beschwöre Dich, so darfst Du nicht fortgehen.
Da blickte sie ihn an von oben bis unten mit jenem feuchten, verzweifelten Auge, reizend und traurig zugleich, das den tiefsten Schmerz eines Frauenherzens enthüllt, und stammelte:
– Ich habe … ich habe Dir nichts zu sagen … ich will gar nichts ….. Du hast ganz recht ….. Du hast Dir das gewählt, was für Dich paßt.
Und indem sie zurücktrat, machte sie sich frei und ging davon, ohne daß er versucht hätte sie länger zurück zu halten.
Er war allein. Er erhob sich, ganz verstört, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen; dann fand er sich damit ab und brummte:
– Ach was! Meinethalben, es ist ‘runter von der Leber, es hat keine Szene gegeben, das ist mir noch das liebste! – Und plötzlich, wo ihm dieses Riesengewicht von der Seele gefallen, fühlte er sich frei und befreit, zufrieden mit seinem neuen Los und fing an mit den Fäusten gegen die Wand zu trommeln, in der Trunkenheit des Erfolges und einer Art überschäumenden Kraftgefühls, als hätte er sich mit dem Schicksal selbst geschlagen.
Als Frau Forestier ihn fragte:
– Hast Du es Frau von Marelle gesagt? – antwortete er ganz ruhig:
– Gewiß.
Ihr helles Auge ruhte forschend auf ihm:
– War sie nicht sehr erregt?
– Nein, durchaus nicht! Sie fand unsere Verbindung im Gegenteil sehr passend.
Die Neuigkeit wurde bald bekannt. Die einen waren sehr erstaunt, andere behaupteten, das hätten sie vorher gesehen; wieder andere lächelten, indem sie durchblicken ließen, das wundere sie weiter nicht.
Der junge Mann unterzeichnete von nun ab seine Feuilletons: D. von Cantel, die Lokalnachrichten: Duroy und die politischen Artikel, die er von Zeit zu Zeit jetzt schrieb: du Roy. Er verbrachte jetzt die Hälfte seiner Zeit bei seiner Braut, die ihn mit schwesterlicher Zärtlichkeit behandelte, in die sich jedoch wirkliche, wenn auch noch unterdrückte Liebe mischte, etwas wie ein heimlicher Wunsch, wie eine Schwäche.
Sie hatte beschlossen, daß die Hochzeit ganz im stillen stattfinden sollte, nur in Gegenwart der Zeugen, und am selben Abend wollten sie nach Rouen fahren. Am nächsten Tage würden sie dann die alten Eltern des Journalisten aufsuchen und ein paar Tage bei ihnen bleiben.
Duroy hatte sich alle Mühe gegeben, sie von diesem Plane abzubringen, aber da es ihm nicht gelungen, so hatte er sich endlich darein gefügt.
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