Er hatte dies vorgebracht ohne sie anzublicken, als ob er seine Worte in die Nacht hinaus vor sich hingestreut hätte.
Sie schien nichts gehört zu haben, so unbeweglich war sie geblieben, indem sie mit starren Blicken hinaussah in die weite mondbestrahlte Landschaft.
Lange blieben sie so neben einander, Arm an Arm, schweigend in Gedanken.
Dann murmelte sie:
– Es fängt an kalt zu werden – wandte sich um und schritt auf das Bett zu. Er folgte ihr.
Als er näher kam, spürte er, daß Forestier wirklich anfing zu riechen, und er rückte seinen Stuhl zurück, denn den Fäulnisgeruch hätte er nicht lange ertragen können. Er sagte:
– Er muß morgen früh eingesargt werden.
Sie antwortete:
– Ja, das ist schon bestimmt. Der Tischler kommt gegen acht Uhr.
Und als Duroy seufzend sagte:
– Armer Karl! – stieß auch sie einen langen Seufzer trüber Resignation aus.
Sie blickten ihn weniger häufig an, sie hatten sich schon an den Gedanken des Todes gewöhnt, indem sie anfingen sich damit vertraut zu machen, daß der dort gegangen war. Ein Gedanke der sie vorhin noch, sie, die auch sterblich waren, erschüttert und empört hatte.
Sie sprachen nicht mehr; sie hielten auf angemessene Art die Totenwache, zuerst ohne zu schlafen; aber gegen Mitternacht übermannte Duroy der Schlaf. Als er erwachte sah er, daß auch Frau Forestier schlummerte. Er setzte sich etwas bequemer und schloß wieder die Augen, indem er vor sich, hinbrummte:
– Verflucht nochmal, im Bett ist’s doch molliger.
Plötzlich fuhr er durch ein Geräusch auf: die Krankenwärterin war eingetreten. Es war hell. Die junge Frau, die ihm gegenüber saß, schien ebenso überrascht zu sein wie er. Sie war ein wenig bleich aber immer frisch, nett, reizend, trotz der auf dem Stuhl verbrachten Nacht.
Da fuhr Duroy, der einen Blick auf die Leiche geworfen, plötzlich zusammen und rief:
– Herr Gott, sein Bart! – In den paar Stunden war der Bart auf diesem Fleisch, das sich schon zersetzte, gewachsen, so stark wie er in einigen Tagen auf dem Antlitz eines Lebenden sproßt. Und sie erschraken über dieses Leben, das auf diesem Toten weiter blühte, wie vor einem schrecklichen Wunder, wie vor einer göttlichen Drohung der Auferstehung, vor einer jener übernatürlichen, fürchterlichen Erscheinungen, die Menschen um den Verstand bringen können.
Dann gingen beide bis gegen elf Uhr schlafen.
Um diese Zeit wurde Karl in den Sarg gelegt. Sie fühlten sich sofort erleichtert und beruhigt. Sie setzten sich einander gegenüber um zu frühstücken, indem ihnen das Bedürfnis kam von tröstlichen, heiteren Dingen zu sprechen, die sie in das Leben zurückführten, da sie mit dem Tode nun abgeschlossen.
Durch das Fenster, das weit offen stand, zog die weiche Wärme des Frühlings ein, und die Luft trug den Duft der Nelken herein, die vor der Thür blühten.
Frau Forestier machte Duroy den Vorschlag im Garten spazieren zu gehen; sie schritten langsam um den kleinen Rasenfleck herum und sogen mit Wonne die warme von Tannenduft und Eukalyptus geschwängerte Luft ein.
Und plötzlich sprach sie mit ihm, ohne den Kopf zu ihm zu wenden, wie er es während der Nacht gethan dort oben im Zimmer, langsam ernst mit gedämpfter Stimme:
– Hören Sie, lieber Freund! Ich habe schon nachgedacht über das, was Sie mir vorgeschlagen haben, und ich möchte Sie nicht abreisen lassen, ohne ein Wort zu erwidern. Ich will Ihnen nicht ›nein‹ und nicht ›ja‹ sagen, wir wollen warten, sehen wie es wird, uns besser kennen lernen. Überlegen Sie sich Ihrerseits ja die Sache genau. Gehorchen Sie nicht bei ersten Aufwallung. Aber wenn ich Ihnen davon spreche, ehe noch der arme Karl im Grabe ruht, so ist es deshalb, damit Sie, nach dem was Sie mir gesagt haben, genau wissen wer ich bin. Sie sollen den Gedanken an das, was Sie mir vorgeschlagen nicht nähren, wenn Sie nicht… nicht … Manns genug sind, mich zu verstehen und mich so zu nehmen, wie ich bin. Hören Sie wohl, für mich bedeutet die Ehe keine Fessel, sondern ein Band. Ich will frei sein, thun und lassen können, was ich will, kommen und gehen wie es mir paßt. Ich leide keine Überwachung, keine Eifersucht, keine Vorwürfe über mein Benehmen. Und daß wir uns recht verstehen, natürlich verpflichte ich mich, nie den Namen des Mannes, den ich geheiratet habe, zu kompromittieren, ihn zu beschmutzen oder lächerlich zu machen. Aber dieser Mann müßte auch in mir eine gleich Berechtigte sehen, den guten Kameraden, nicht ein unter ihm stehendes Wesen oder nur die gehorsame, ergebene Hausfrau. Ich weiß wohl, daß ich darin nicht denke, wie alle Welt, aber ich ändere mich nun nicht mehr. Das wollte ich Ihnen nur sagen.
– Und ich füge auch hinzu: antworten Sie mir gar nicht, es wäre unnütz und jetzt nicht passend. Wir werden uns schon wiedersehen und vielleicht später einmal davon reden. Nun gehen Sie spazieren, ich kehre jetzt zu ihm zurück. Heute abend auf Wiedersehen!
Er küßte lange ihre Hand und ging davon, ohne ein Wort zu erwidern.
Abends sahen sie sich nur beim Essen, und dann zogen sie sich beide auf ihre Zimmer zurück, sie waren beide totmüde.
Karl Forestier wurde am andern Tage ohne Pomp auf dem Kirchhof von Cannes begraben, und Georg wollte den Schnellzug nach Paris benutzen, ein Uhr dreißig.
Frau Foreftier hatte ihn an den Bahnhof gebracht. Sie gingen ruhig auf dem Bahnsteig auf und ab, warteten auf die Abfahrt und sprachen von gleichgiltigen Dingen.
Der Zug kam, er zählte nur fünf Wagen, ein richtiger Eilzug.
Der Journalist belegte einen Platz, und stieg dann wieder aus, um noch ein paar Augenblicke mit ihr zu sprechen. Plötzlich überkam ihn eine Traurigkeit, ein Kummer, die Angst sie zu verlassen, als ob er sie auf immer verlieren würde.
Ein Schaffner rief:
– Marseille! Lyon! Paris! Einsteigen!
Duroy stieg ein und lehnte sich ans Fenster, um ihr noch ein paar Abschiedsworte zu sagen. Die Lokomotive pfiff, und der Zug setzte sich in Bewegung.
Der junge Mann beugte sich aus dem Wagen und sah der jungen Frau nach, die unbeweglich auf dem Bahnsteig stand und ihm gleichfalls nachblickte. Plötzlich als er sie fast aus dem Gesichtstreis verloren, legte er die Finger an den Mund und warf ihr eine Kußhand zu.
Sie erwiderte die Kußhand kaum merklich, zögernd, nur angedeutet.
Inhaltsverzeichnis
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Georg Duroy führte wieder sein altes Leben.
In dem kleinen Erdgeschoß der Rue de Constantinople lebte er sehr solide, wie jemand der ein neues Leben beginnen will. Sogar seine Beziehungen zu Frau von Marelle hatten einen ehelichen Anstrich angenommen, als ob er sich schon im voraus auf das kommende Ereignis vorbereiten wollte; und seine Geliebte, die sich nachgerade über die ruhige Einförmigkeit ihres Verkehrs wunderte, sagte lachend:
– Du bist wahrhaftig noch hausbackener, wie mein Mann, da brauchte ich wirklich nicht zu wechseln.
Frau Forestier war noch nicht zurück gekommen. Sie blieb noch etwas in Cannes. Er bekam einen Brief von ihr, in dem sie ihre Rückkehr erst für Mitte April in Aussicht stellte, und mit keinem Wort ihren Abschied erwähnte. Er wartete. Er faßte jetzt den Entschluß alles in Bewegung zu setzen, um, wenn sie etwa zögerte, sie zur Heirat zu zwingen.
Aber er vertraute auf sein Glück, vertraute auf die Verführungskraft die er in sich fühlte, jene unwiderstehliche Gewalt, der alle Frauen unterlagen.
Ein paar kurze Zeilen benachrichtigten ihn, daß die Stunde der Entscheidung gekommen war:
»Ich bin wieder in Paris. Ich erwarte Sie.
Magdalene Forestier.«
Mehr schrieb sie nicht. Der Briefträger hatte den Brief um neun Uhr gebracht. Am selben Tage trat er um drei Uhr bei ihr ein. Sie streckte ihm beide Hände entgegen, ein liebenswürdiges Lächeln auf den Lippen. Ein paar Sekunden lang blickten sie sich an, dann sagte sie:
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