– Sei ruhig!
Sie blieben schweigend Hand in Hand sitzen und blickten sich an, und er sagte:
– Wie ich mich nach Dir gesehnt habe!
Sie wiederholte:
– Sei ruhig!
Man hörte, wie das Mädchen im Nebenzimmer mit Tellern klapperte.
Er stand auf:
– Ich will nicht so nah bei Dir bleiben, ich verliere ganz den Kopf.
Die Thür öffnete sich:
– Es ist angerichtet.
Und er bot ihr förmlich den Arm.
Sie frühstückten, einander gegenübersitzend, und blickten sich unausgesetzt lächelnd an, nur mit sich selbst beschäftigt, ganz gefangen von jenem süßen Netz einer beginnenden Liebschaft. Sie aßen, ohne zu wissen was. Er fühlte einen kleinen Fuß unter dem Tisch und nahm ihn zwischen die seinen und behielt ihn, indem er ihn mit aller Kraft drückte.
Das Mädchen kam und ging, brachte die Schüsseln und nahm die Speisen wieder fort mit gleichgiltigem Gesicht, sie schien nichts zu merken.
Nachdem sie mit essen fertig waren, gingen sie in den Salon und setzten sich wieder Seite an Seite aufs Sofa.
Allmählich schmiegte er sich an sie an, und versuchte sie zu umarmen. Aber sie wehrte ihn ruhig ab.
– Vorsicht! Es könnte jemand hereinkommen.
Er flüsterte:
– Wann könnte ich Dich einmal allein sehen, um Dir recht zu sagen, wie ich Dich liebe?
Sie neigte sich zu ihm und sagte ihm leise ins Ohr:
– Ich mache Dir dieser Tage einen kleinen Besuch. Er fühlte, wie er rot ward:
– Aber bei mir – bei mir ist es sehr bescheiden – Sie lächelte:
– Thut nichts. Ich will doch Dich besuchen und nicht die Wohnung!
Da drang er in sie, wann sie kommen würde; sie bestimmte einen Tag in der folgenden Woche, und er bat sie mit stotternden Worten, leuchtenden Augen, indem er sie befühlte, ihr die Hände drückte mit rotem, fieberhaftem Gesicht, durchwühlt von Begierde, von jener ungestümen Begierde wie sie nach einer Mahlzeit zu Zweien erwacht, sie solle doch einen näheren Termin bestimmen.
Es machte ihr Spaß, daß er mit solchem Ungestüm bat, und bei seinen Worten ließ sie in Zwischenräumen immer einen Tag ab. Endlich rief er:
– Morgen, sage doch morgen!
Sie war einverstanden:
– Gut, morgen um fünf!
Er stieß einen langen Freudenseufzer aus, und sie schwatzten nun fast ruhig mit solcher Vertraulichkeit, als kennten sie sich schon seit zwanzig Jahren.
Es klingelte und sie fuhren zusammen. Wie auf Kommando entfernten sie sich ein Stück von einander.
Sie murmelte:
– Das wird Laurachen sein.
Das Kind erschien, blieb verwirrt stehen, lief auf Duroy zu und klatschte ganz glückselig vor Freude, als sie ihn sah, m die Hände, indem sie rief:
– Ach, der Liebling!
Frau von Marelle fing an zu lachen:
– Nein, so was, der Liebling! Laurachen hat Sie getauft, das ist ein wunderhübscher Freundschaftsname für Sie, ich werde Sie auch »Liebling« nennen.
Er hatte das kleine Mädchen auf die Kniee genommen und mußte mit ihr all die kleinen Spiele spielen, die er sie gelehrt.
Gegen drei Uhr erhob er sich, um in die Redaktion zu gehen, und auf der Treppe, an der halb offenen Thür, flüsterte er ihr noch zu:
– Also morgen um fünf! Die junge Frau antwortete:
– Ja.
Mit einem Lächeln verschwand er.
Sobald er seine tägliche Arbeit vollendet hatte, überlegte er sich, wie er wohl sein Zimmer herrichten könnte, um die Geliebte zu empfangen und die Armseligkeit seiner Wohnung möglichst zu verbergen. Und er kam auf den Gedanken, allerlei kleine japanische Spielereien an die Wand zu heften. Für fünf Franken kaufte er einen ganzen Haufen solcher winziger Nichtse, kleine Fächer, kleine Schirmchen, und mit ihnen verbarg er die zu auffälligen Flecken der Tapete. An die Fensterscheiben klebte er durchsichtige Bildchen, ein Boot auf dem Flusse darstellend, oder ein paar Vögel, die durch einen roten Himmel schossen, Damen in allerlei Farben auf dem Balkon, und dann eine ganze Reihe von kleinen, schwarzen Männchen auf weiten, schneebedeckten Ebenen.
Sein Zimmer, das gerade groß genug war, um darin zu schlafen und sich zu setzen, sah bald aus wie eine gemalte Papierlaterne von innen. Er meinte, es wäre so gut genug und brachte noch den ganzen Abend damit zu, auf die Decke Vögel zu kleben, die er aus den bemalten Bilderbogen geschnitten, die ihm noch übrig geblieben waren.
Dann ging er zu Bett, und das Pfeifen der Züge unter ihm sang ihm das Wiegenlied.
Am nächsten Tage kehrte er zeitig heim mit einer Düte Kuchen und einer Flasche Madeira, die er gekauft. Er mußte noch einmal ausgehen, um sich zwei Teller und zwei Gläser zu besorgen. Und den kleinen Imbiß stellte er auf den Waschtisch, dessen schmutziges Holz mit einer Serviette bedeckt ward. Waschschale und Wasserkrug wurden unten versteckt.
Dann wartete er.
Sie kam um ein viertel sechs. Und als sie das bunte Gewirr der Schmetterlinge und kleinen Dinge sah, rief sie:
– Nein, das ist ja reizend bei Dir! Aber auf der Treppe in diesem Haus begegnet man so viel Menschen –
Er hatte sie in die Arme geschlossen und küßte ungestüm ihr Haar zwischen der Stirn und dem Hut durch den Schleier hindurch.
Anderthalb Stunden später brachte er sie zum Droschkenhalteplatz an der Rue de Rome zurück. Als sie in der Droschke saß, flüsterte er ihr zu:
– Dienstag um die selbe Zeit! Sie sagte:
– Um dieselbe Zeit Dienstag.
Und da es dunkel geworden war, zog sie seinen Kopf in den Wagen und küßte ihn auf die Lippen. Als der Kutscher sein Tier angetrieben hatte, rief sie:
– Adieu, Liebling!
Und der alte Schimmel zog in müdem Trabe den alten Kasten davon.
So kam drei Wochen lang alle zwei bis drei Tage, bald morgens, bald abends, Frau von Marelle zu Duroy.
Als er eines Nachmittags auf sie wartete, entstand auf der Treppe ein großer Lärm, sodaß er den Kopf zur Thür heraussteckte. Ein Kind heulte, und eine wütende Männerstimme rief:
– Was heult denn dat verfluchte Wurm da!
Die kreischende, verzweifelt klingende Stimme einer Frau antwortete:
– Dat Saumensch, dat immer zu den Zeitungsschreiber ruffkommt, hat Nikolaus uf de Treppe umjeschmissen. So’ne Frauenzimmer, die nich mal ufpassen un die Kinder aus dem Weje jehen können, sollte man mal jehörig uf den Kopp kommen!
Duroy zog sich erschrocken zurück, denn er hörte das Rauschen eines Kleides und einen eiligen Schritt auf der Treppe unter ihm.
Gleich darauf klopfte es an seiner Thür, die er eben wieder geschlossen. Er öffnete; Frau von Marelle stürzte ins Zimmer, verzweifelt, außer Atem und rief:
– Hast Du’s gehört?
Er that, als wüßte er von nichts:
– Nein, was?
– Wie sie mich beschimpft haben?
– Wer denn?
– Die gräßlichen Leute, die unten wohnen!
– Aber nein – was ist denn nur?
Sie fing an zu schluchzen und konnte nicht sprechen.
Er mußte ihr den Hut abnehmen, ihr das Kleid aufmachen, sie aufs Bett legen, und ihr die Schläfen mit einem nassen Taschentuch reiben. Sie stöhnte. Als ihre Aufregung sich etwas gelegt hatte, entlud sich ihre ganze empörte Wut.
Sie wollte, daß er sofort hinunterginge und sich mit ihnen schlüge, sie tötete.
Er sagte:
– Aber das sind Arbeiter, grobe Flegel; man könnte höchstens zur Polizei gehen und dann würde Dein Name festgestellt, Du würdest arretiert werden. Mit solchen Leuten muß man sich nicht einlassen.
Sie ging auf etwas anderes über:
– Wie wollen wir’s jetzt anfangen. Ich kann nicht mehr hierher kommen.
Er antwortete ganz einfach:
– Ich ziehe aus.
Sie meinte:
– Ja aber das wird doch lange dauern.
Dann plötzlich hatte sie einen Einfall und sagte, wieder heiterer werdend:
– Nein, weißt Du was, ich hab’s gefunden. Laß mich nur die Geschichte machen, Du brauchst Dich um gar nichts zu kümmern. Ich schicke Dir morgen früh einen Rohrpostbrief.
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