Das Dessert kam, dann der Kaffee. Der Likör brachte in die erregten Geister eine schwerere und schwülere Trunkenheit. Frau von Marelle war, wie sie es schon vorausgesagt, als sie sich zu Tisch setzten, ein bißchen angeheitert: und mit der lustigen, schwatzhaften Liebenswürdigkeit einer Frau, die, um ihre Gäste zu erheitern, einen ganz kleinen Schwips übertreibt, gestand sie es auch ein.
Frau Forestier schwieg jetzt, vielleicht aus Vorsicht, und Duroy, der zuviel getrunken hatte, blieb, um sich nicht zu kompromittieren, in geschickter Reserve.
Zigaretten wurden angesteckt, doch plötzlich fing Forestier an zu husten.
Er bekam einen schrecklichen Anfall, der ihm die Brust zerriß, und mit rotem Gesicht, Schweiß auf der Stirn, hielt er sich die Serviette vor. Als der Anfall vorübergegangen war, rief er wütend:
– Ich kann nun mal solche Sachen nicht vertragen! Es ist zu dumm!
Seine gute Laune war verschwunden bei dem Schreck über seine Krankheit, der alle seine Gedanken beherrschte.
– Wir wollen gehen, sagte er.
Frau von Marelle klingelte dem Kellner und verlangte die Rechnung. Sie bekam sie fast augenblicklich. Sie versuchte sie zu lesen, aber die Zahlen tanzten vor ihren Augen, und sie gab das Papier an Duroy:
– Da bitte, bezahlen Sie für mich, ich kann nichts mehr sehen, ich habe einen zu großen Schwips.
Zu gleicher Zeit schob sie ihm ihr Portemonnaie in die Hand.
Die Rechnung betrug im ganzen einhundertdreißig Franken. Duroy prüfte sie, fand, daß sie stimmte, gab zwei Kassenscheine, nahm das Geld, das er herausbekam, und fragte halblaut:
– Wieviel Trinkgeld?
– Ach, was Sie wollen, ich weiß nicht!
Er legte fünf Franken auf den Teller und reichte dann der jungen Frau das Portemonnaie zurück mit den Worten:
– Soll ich Sie bis an Ihr Haus begleiten?
– Natürlich. Ich finde mich absolut nicht mehr nach Haus.
Sie drückten Forestiers die Hand, und Duroy war allein mit Frau von Marelle in einer Droschke, die die Straße hinabrollte.
Er fühlte sie an seiner Seite so nahe, eingeschlossen mit ihr in diesem dunklen Kasten, den ab und zu während einer Sekunde die Gasflammen vom Trottoir her erleuchteten. Durch den Ärmel hindurch empfand er die Wärme ihrer Schulter. Er wußte nichts, aber auch gar nichts zu sagen, denn sein Geist war wie gelähmt von dem Wunsch, sie in die Arme zu schließen.
Er dachte: wenn ich´s nun riskierte, was würde sie wohl thun? Und der Gedanke an all die Zweideutigkeiten, die sie während des Essens gesagt, gab ihm Mut, aber zu gleicher Zeit hielt ihn die Furcht vor einem Skandal zurück.
Auch sie sprach nicht und lehnte unbeweglich in der Ecke. Er hätte denken können, daß sie schliefe, wenn er nicht jedesmal, wenn ein Lichtstrahl in den Wagen siel, ihre Augen hätte leuchten sehen.
Was dachte sie? Er fühlte wohl, daß er nicht sprechen durfte. Ein Wort, ein einziges Wort, das die Stille unterbrach, konnte alle seine Aussichten zerstören. Aber der Mut fehlte ihm, der Mut zur That.
Plötzlich fühlte er ihren Fuß sich bewegen. Sie hatte eine kurze, nervöse Bewegung ungeduldig oder herausfordernd gemacht, und bei der fast unfühlbaren Berührung lief ihm von Kopf bis zu Füßen ein Schauer über die Haut. Da plötzlich drehte er sich herum, warf sich über sie und suchte mit dem Munde ihre Lippen und ihren bloßen Körper mit der Hand.
Sie schrie nur ganz schwach, wollte sich aufrichten, sich wehren, ihn zurückstoßen, dann gab sie nach, als ob ihr die Kraft gefehlt, länger zu widerstreben.
Aber der Wagen hielt bald vor ihrem Hause, und Duroy konnte in seiner Überraschung nicht gleich Worte der Leidenschaft finden, um ihr seine dankbare Liebe auszudrücken. Aber sie erhob sich nicht, bewegte sich nicht, sie war ganz verstört durch das, was geschehen. Da fürchtete er, der Kutscher möchte Verdacht schöpfen und stieg zuerst aus, um der jungen Frau die Hand zu reichen. Endlich kletterte auch sie stolpernd, ohne ein Wort zu sprechen, aus der Droschke. Er klingelte, und da sich die Tür öffnete, fragte er zitternd:
– Wann werde ich Sie wiedersehen?
Sie murmelte so leise, daß er es kaum verstand:
Kommen Sie morgen zu mir zum Frühstück.
Sie verschwand im Dunkel des Flurs; hinter ihr fiel der schwere Thürflügel mit lautem Krach ins Schloß.
Er gab dem Kutscher fünf Franken und ging seines Weges, schnell und triumphierend, unsägliche Wonne im Herzen.
Endlich hatte er eine erwischt, eine verheiratete Frau, eine Dame der Gesellschaft, der wirklichen, der Pariser Gesellschaft. Wie das leicht und plötzlich gegangen war!
Er hatte sich bis dahin eingebildet, daß, um sich einem der so begehrten Geschöpfe zu nähern und es zu gewinnen, lange Mühe, unendliche Geduld, eine geschickte Belagerung mit allerhand Artigkeiten, Liebesworten, Seufzern und Geschenken nötig sei. Und nun ergab sich ihm plötzlich beim ersten Angriff die erste, der er begegnet, so schnell, daß er ganz paff war.
Sie war betrunken, dachte er, morgen wird’s ganz anders klingen, morgen wird sie wohl heulen. Dieser Gedanke beunruhigte ihn etwas. Aber dann sagte er: na meinetwegen, jetzt habe ich sie nun mal und lasse sie nicht, wieder los.
Und in den verrückten Phantasien, die seine Hoffnungen annahmen, seine Träume von Größe, Erfolg, Berühmtheit, Glück und Liebe, sah er plötzlich, etwa so wie ganze Reihen von Tänzerinnen, in der Theaterapotheose, eine ganze Prozession von eleganten, einflußreichen Frauen vor sich, die lächelnd vorübergingen, um eine nach der andern in den goldenen Wolken seiner Träume zu verschwinden.
Als er am nächsten Tag die Treppe zu Frau von Marelle hinaufging, war er etwas erregt. Wie würde sie ihn empfangen? Und wenn sie ihn nicht annahm, wenn sie verboten hatte, daß er angenommen würde! Wenn sie erzählte, – aber nein, sie konnte nichts sagen, ohne die ganze Wahrheit erraten zu lassen. Er war Herr der Situation.
Wieder öffnete das kleine Dienstmädchen die Thür. Sie machte ein Gesicht wie sonst. Und er wurde ruhiger, da er sich eingebildet hatte, das Mädchen müsse erschrocken dreinschaun.
Er fragte:
– Ist gnädige Frau wohl?
Sie antwortete:
– Jawohl, wie immer.
Und sie ließ ihn in den Salon treten.
Er ging gerade auf den Kamin zu, um seine Frisur und seinen Anzug zu mustern; als er vor dem Spiegel seine Kravatte zurecht zog, sah er die junge Frau darin, die ihn anblickte, von der Schwelle ihres Zimmers aus.
Er that, als hätte er sie nicht bemerkt, und sie beobachteten sich ein Paar Sekunden im Spiegel, belauerten sich, ehe sie vor einander standen.
Er drehte sich herum. Sie war nicht von der Stelle gewichen und schien zu warten. Er trat vor und stammelte:
– Ich liebe Sie so sehr! Ich liebe Sie – ich liebe Sie! Sie öffnete die Arme und sank an seine Brust. Dann hob sie den Kopf zu ihm und sie küßten sich lange.
Er dachte: das ging leichter als ich geglaubt hatte, es fluscht!
Und als sich ihre Lippen trennten, lächelte er ohne ein Wort zu sagen, indem er versuchte, in seinen Blick unendliche Liebe zu legen.
Auch sie lächelte, mit jenem Lächeln, mit dem die Frauen ihre Wünsche, ihr Gewähren, ihre Bereitwilligkeit, sich hinzugeben, auszudrücken pflegen.
Sie flüsterte:
– Wir sind allein. Ich habe Laurachen zum Frühstück zu einer Freundin geschickt.
Er seufzte und küßte ihr die Hand.
– Tausend Dank, ich bete Dich an!
Dann hakte sie sich in seinen Arm, als ob er ihr Mann wäre, und führte ihn ans Sofa, wo sie sich Seite an Seite niederließen. Er wollte das Gespräch auf geschickte, verführerische Weise beginnen. Aber da er nichts fand, wie er es sich wünschte, stammelte er:
– Du bist also nicht zu böse?
Sie legte ihm eine Hand auf den Mund:
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