Und er dachte, als er sah, wie verschiedene seiner Kollegen immer Geld vollauf besaßen, ohne daß er begreifen konnte, welche geheimen Mittel sie nur anwendeten, um es sich zu verschaffen: den Kniff muß ich auch ‘rauskriegen. Und neidisch ahnte er allerlei verdächtige, ihm unbekannte Manipulationen, erwiesene Dienste, ein ganzes Schleichhandelsystem auf Gegenseitigkeit. Dahinter mußte er noch kommen, er mußte in diese unter einer Decke steckende Geheimzunft aufgenommen werden und die Kollegen zwingen, mit ihm zu teilen.
Und oft zerbrach er sich abends, wenn er von seinem Fenster aus die Züge hin und her eilen sah, den Kopf, wie er das wohl anstellen könnte.
Inhaltsverzeichnis
Zwei Monate waren vergangen. Der September nahte, und das Glück, das Duroy schnell erhofft, schien recht langsam zu kommen. Vor allen Dingen ärgerte ihn die untergeordnete Stellung, die er einnahm, und er sah noch keinen Weg, wie er die Höhen des Lebens erklimmen könnte, wo Ansehn, Macht und Geld winkten.
Er war verdammt zu diesem höchst mäßigen Reporterberufe, eingemauert darin, einen Ausgang suchend und sah keinen. Man schätzte ihn zwar, aber man achtete ihn doch nur seiner Stellung gemäß. Selbst Forestier, dem er Dienste leistete, lud ihn nicht mehr zum Essen ein, behandelte ihn im ganzen wie einen Untergebenen, wenn er ihn schon als alten Freund duzte.
Ab und zu allerdings bot sich Duroy die Gelegenheit, einen kleinen Artikel einzuschmuggeln. Und da er durch seine Lokalnachrichten einige Federgewandtheit und einen gewissen Takt sich erworben, der ihm noch gefehlt, als er seinen zweiten Artikel über Algerien schrieb, lief er nicht mehr Gefahr, daß man seine aktuellen Arbeiten nicht annahm. Aber von dieser Thätigkeit bis zu Feuilletons oder bis zur kritischen Beleuchtung politischer Tagesfragen in Leitartikeln ganz nach seiner Phantasie und nach seinem Wunsch, war ein Sprung wie vom Kutscher, der durch das Bois de Boulogne fährt, bis zum Herrn, der das eigene Gespann lenkt. Was ihn vor allen Dingen demütigte, war das Gefühl, daß ihm die Gesellschaft verschlossen blieb, daß er keine Beziehungen hatte, wo er als Gleicher unter Gleichen galt, daß er den Damen nicht näher kam, obgleich ihn hier und da einmal eine bekannte Schauspielerin aus Berechnung etwas familiär empfangen hatte.
Dabei wußte er aus Erfahrung, daß er über alle Damen von Welt wie Halbwelt eine gewisse Gewalt besaß, eine plötzliche Sympathie, die jedesmal für ihn erwachte, und, ungeduldig wie ein Pferd, das der Zügel zurückhält, grollte er darüber, daß er diejenige nicht kennen lernte, in deren Hand seine Zukunft lag.
Er hatte oft daran gedacht, Frau Forestier einen Besuch zu machen. Aber der Gedanke an ihre letzte Begegnung hielt ihn ab und demütigte ihn. Auch erwartete er eine Aufforderung des Mannes. Da dachte er wieder an Frau von Marelle und erinnerte sich, daß sie ihn doch gebeten hatte, sie zu besuchen. Und eines Nachmittags, als er gerade nichts vorhatte, ging er zu ihr.
– Bis drei Uhr bin ich immer zu Haus, hatte sie gesagt.
Sie wohnte in der Rue de Verneuil im vierten Stock.
Er klingelte an ihrer Türe um halb drei.
Ein Mädchen machte auf mit etwas unordentlichem Haar; sie band sich erst die Haube fest, während sie antwortete:
– Ja, die gnädige Frau ist zu Haus. Aber ich weiß nicht, ob sie schon auf ist.
Und sie öffnete die Thür des Salons, die nicht geschlossen war.
Duroy trat ein. Der Raum war ziemlich groß, mit wenigen Möbeln ausgestattet und sah etwas lüderlich aus. Die etwas verbrauchten Stühle mit ihrem abgenutzten Überzug, standen längs der Wände in einer gewissen Ordnung, wie sie eben die dienstbaren Geister gestellt. Nirgends merkte man etwas von der Hand einer Frau, die auf ihr Heim hält. Vier armselige Bilder, ein Boot auf dem Fluß, ein Schiff auf dem Meer, eine Mühle in der Ebene und Holzfäller im Walde, hingen an ungleichen Schnuren schief an der Wand. Man ahnte, daß sie schon seit langer Zeit so hingen, weil es dem Auge der Herrin gleichgiltig war. Duroy setzte sich und wartete. Er wartete lange. Dann öffnete sich eine Thür und Frau von Marelle stürmte herein in einem japanischen Morgenrock aus rosa Seide, auf den in Gold Landschaften gestickt waren, blaue Blumen und weiße Vögel. Und sie rief:
– Denken Sie bloß, daß ich noch zu Bett war! Das ist aber nett von Ihnen, mich zu besuchen. Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen!
Sie hielt ihm mit freudiger Miene beide Hände entgegen, und Duroy, dem die mäßige Eleganz der Wohnung eine gewisse Sicherheit gab, nahm sie und küßte die eine, wie er es von Norbert von Varenne gesehen.
Sie bat ihn, Platz zu nehmen. Dann musterte sie ihn von Kopf zu Fuß:
– Nein, wie Sie sich verändert haben! Aber zum Vorteil! Paris scheint Ihnen gut zu thun. Nun erzählen Sie mir aber etwas Neues.
Und sofort fingen sie an zu schwatzen, als ob sie alte Bekannte wären, indem eine plötzliche Familiarität zwischen ihnen erwachte, und sie fühlten, daß sie ein Strom von Vertrauen, Intimität und Zuneigung zusammenband, der Wesen vom selben Charakter und derselben Art binnen fünf Minuten zu Freunden macht.
Plötzlich unterbrach sich die junge Frau und sagte erstaunt:
– Es ist doch sonderbar, wie ich mit Ihnen bin. Mir ist´s, als kennte ich Sie schon seit zehn Jahren. Wir wollen gute Freunde sein! Wollen Sie?
Er antwortete: – Aber natürlich! – mit einem Lächeln, das noch mehr bedeutete.
Er fand sie sehr verführerisch in ihrem Morgenrock, so leuchtend und weich, weniger fein als die andere in ihrem weißen Morgenkleide, weniger zart, weniger Katze, aber aufregender, gepfefferter.
Wenn er Frau Forestier neben sich fühlte, mit ihrem stereotypen, graziösen Lächeln, das anzog und abstieß zugleich, das zu sagen schien: du gefällst mir, aber im selben Atem: hüte Dich, dessen wahren Sinn man nie verstand, dann überkam ihn vor allen Dingen der Wunsch, ihr zu Füßen zu stürzen oder die seinen Spitzen an ihrem Halse zu küssen und langsam den warmen, parfümierten Duft einzuatmen, der aus ihrem Busen strömte.
Bei Frau von Marelle empfand er ein gröberes, bestimmteres Gefühl, einen Wunsch, der durch seine Finger zuckte, angesichts ihrer unter der leichten Seide hervortretenden Formen.
Sie sprach immer noch und aus jedem Satz leuchtete die Grazie ihres Geistes, die ihr zur zweiten Natur geworden, wie ein Arbeiter die schwierigsten Dinge mit spielender Leichtigkeit vollbringt, zum größten Erstaunen der Zuschauer – weil er es eben gewöhnt ist. So hörte Duroy ihr zu und dachte: das müßte man sich aufschreiben, man brauchte die bloß über die Tagesereignisse ein bißchen schwatzen zu lassen und könnte daraus reizende Pariser Feuilletons machen.
Aber es klopfte leise, ganz leise an der Thür, durch die sie eingetreten, und sie rief:
– Du kannst ‘rein kommen, Kleine!
Das kleine Mädchen erschien, ging sofort auf Duroy zu und reichte ihm die Hand.
Die Mutter sagte erstaunt:
– Da haben Sie aber eine Eroberung gemacht! Ich kenne sie ja gar nicht wieder.
Der junge Mann hatte das Kind geküßt, ließ es an seiner Seite niedersitzen und erkundigte sich nun mit ernster Miene und ein paar spaßigen Fragen darnach, was Laurachen getrieben, seit sie sich nicht gesehen.
Sie antwortete mit leise flötender Stimme und dem Benehmen einer Erwachsenen.
Die Uhr schlug drei. Der Journalist stand auf.
– Kommen Sie doch öfters, sagte Frau von Marelle. Dann schwatzen wir wie heute. Ich werde mich freuen, Sie zu sehen. Aber warum sieht man Sie denn nicht mehr bei Forestiers?
Er antwortete:
Ach, ich weiß nicht, ich habe viel zu thun. Vielleicht treffen wir uns dort an einem dieser Tage.
Und er ging; in gehobener Stimmung, ohne daß er wußte warum.
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