Forestier kam dazu, außer Atem, sehr eilig und verstört:
– Ah gut, schön, daß ich euch finde, ich brauche euch alle beide.
Und er nannte ihnen eine ganze Reihe von politischen Erkundigungen, die noch bis zum Abend eingezogen sein mußten.
Duroy gab ihm seinen Artikel:
– Hier ist die Fortsetzung über Algerien!
– Schön, gieb her. Ich werde es dem Chef geben.
Das war alles.
Saint-Potin schleppte seinen neuen Kollegen mit sich und als sie im Korridor standen, sagte er:
– Sind Sie schon an der Kasse gewesen?
– Nein, warum?
– Warum? Um Ihr Gehalt zu holen. Wissen Sie, man muß damit immer einen Monat im Voraus sein, man weiß nie, was passieren kann.
– Ja, mir soll’s recht sein!
– Ich will Sie dem Kassierer vorstellen, da wird er weiter keine Schwierigkeiten machen. Bei uns wird sehr gut bezahlt.
Und Duroy erhob seine zweihundert Franken und dann achtundzwanzig Franken für seinen Artikel vom Tage vorher, so daß er, mit dem, was ihm von dem Gehalte von der Eisenbahn blieb, dreihundertvierzig Franken im Vermögen besaß.
Er hatte noch nie eine so große Summe in der Tasche gehabt, und er meinte, sie könnte nie alle werden.
Dann nahm ihn Saint-Potin mit in die Redaktion von vier oder fünf Konkurrenzblättern, um dort ein wenig zu schwatzen. Er hoffte, daß die Erkundigungen, die sie einziehen sollten, vielleicht schon dort von anderen eingezogen waren. Wenn es so war, würde er sie schon herauskriegen, dank seinem Redefluß.
Als es Abend geworden war, ging Duroy, der nichts mehr zu thun hatte, wieder in die Folies-Bergère und mit ziemlicher Dreistigkeit sagte er dem Kontroleur:
– Ich heiße Georg Duroy, Redakteur von der ›Vie française‹ . Ich bin neulich mit Herrn Forestier gekommen, der mir versprochen hatte, mir Eintritt zu verschaffen. Ich weiß nicht, ob er daran gedacht hat.
Man sah in einem Verzeichnis nach, aber sein Name fand sich nicht eingetragen. Doch der Kontroleur, ein sehr zuvorkommender Mann, fagte:
– Bitte, gehen Sie nur immer hinein und tragen Sie Ihre Bitte dem Herrn Direktor selber vor, der sie sicher genehmigen wird.
Er ging hinein und begegnete fast augenblicklich Rahel, dem Mädchen, das er den ersten Abend mitgenommen hatte.
Sie näherte sich ihm:
– Guten Tag, Kleiner. Geht Dir’s gut?
– Sehr gut. Und Dir?
– Mir nicht schlecht. Denk Dir mal, ich habe seit neulich zwei Mal von Dir geträumt!
Duroy lächelte geschmeichelt:
– Ah, und was bedeutet das?
– Das bedeutet, daß Du mir gefallen hast und daß Du zu mir kommen kannst, wenn Du Lust hast.
– Heute, wenn Du willst.
– Schön, meinetwegen.
– Heute – aber hör erst mal –
Er zögerte, denn er war doch ein wenig verlegen über das, was er thun wollte:
– Weißt Du, heute abend habe ich nicht einen roten Heller, ich komme eben aus dem Klub und habe alles verjeut.
Sie blickte ihm forschend in die Augen. Sie ahnte, daß er löge, mit dem praktischen Instinkt der Dirne, die an allerlei Betrügereien und Versuche abzuhandeln von seiten der Männer gewöhnt ist und sagte:
– Hör mal, nicht sohlen! Weißt Du, bei mir zieht das nicht.
Er lächelte verlegen:
– Wenn Du zehn Franken haben willst, das ist alles, was ich noch besitze.
Sie murmelte mit der Gleichgiltigkeit einer Dirne, die sich mal einen Spaß leisten will:
– Wieviel Du geben willst, Kleiner. Ich will nur Dich. Und sie blickte den Schnurrbart des jungen Mannes begehrend an, nahm seinen Arm, stützte sich verliebt darauf und sagte:
– Komm, wir wollen erst mal einen Syrup trinken. Und dann bummeln wir noch ‘n bißchen zusammen. Ich möchte gern in die Oper gehen, so mit Dir, um mich mit Dir zu zeigen. Und dann gehen wir zeitig nach Haus, nicht wahr?
Er schlief bis spät in den Tag hinein bei dem Mädchen, Es war schon hell, als er fortging und ihm kam der Gedanke, sofort die “Vis francaise” zu kaufen. Mit fiebernder Hand öffnete er die Zeitung, sein Artikel stand nicht darin. Er blieb auf dem Trottoir stehen und durchlief mit ängstlichem Auge die Druckspalten, in der Hoffnung, endlich das zu finden, was er suchte. Plötzlich fiel es ihm wie eine Last auf die Seele, denn nach den Anstrengungen der Nacht traf ihn dieses Ereignis, bei seiner Müdigkeit, wie ein reines Unglück.
Er stieg in seine Wohnung hinauf und schlief angekleidet, wie er war, auf dem Bett ein.
Als er ein paar Stunden später in die Redaktion kam, ließ er sich bei Herrn Walter melden und sagte:
– Ich bin ganz erstaunt gewesen, heute früh meinen Artikel über Algerien nicht gefunden zu haben.
Der Chef blickte auf und meinte trocken:
– Ich habe ihn Ihrem Freunde Forestier gegeben mit der Bitte, ihn durchzulesen. Er fand ihn ungenügend, Sie müssen ihn noch einmal machen.
Duroy ging wütend hinaus, ohne ein Wort zu sprechen und trat hastig in das Zimmer seines Kollegen:
– Warum hast Du denn heute früh meinen Artikel nicht erscheinen lassen?
Der Journalist rauchte eine Zigarette, lag im Lehnstuhl, hatte die Füße auf den Tisch gelegt, indem er mit den Absätzen einen eben begonnenen Artikel beschmutzte. Er sagte ganz ruhig in gelangweiligtem Ton, dumpf, als spräche er aus einem Loch heraus:
– Der Chef hat ihn schlecht gefunden und hat mir aufgetragen, ich solle ihn Dir wiedergeben, damit Du ihn noch einmal machst. Na, da ist er!
Dabei deutete er auf die unter einem Briefbeschwerer liegenden Blätter.
Duroy wußte nicht, was er darauf sagen sollte, und wie er seine Arbeit in die Tasche steckte, fuhr Forestier fort:
– Heute mußt Du zuerst auf die Präfektur gehen.
Dann bedeutete er ihm eine ganze Anzahl von Geschäftsgängen und von Neuigkeiten, die einzuholen waren.
Duroy ging, ohne die boshafte Antwort gefunden zu haben, die ihm auf der Zunge lag.
Am nächsten Tag brachte er seinen Artikel wieder. Er bekam ihn von neuem zurück. Dann machte er ihn ein drittes Mal und als er abermals abgelehnt wurde, begriff er, daß er zu schnell hatte vorwärts wollen und daß nur Forestiers Unterstützung ihm den Weg ebenen könnte.
Er sprach also nicht mehr über die »Erinnerungen eines Chasseur d’Afrique,« nahm sich vor, möglichst geschmeidig und schlau zu sein, weil er mußte, und, bis sich Besseres böte, eifrig seinem Reporterdienst nachzugehen.
Er lernte die Kulissen des Theaters und die der Politik kennen, die Vorzimmer und Korridore der Staatsmänner, die Abgeordnetenkammer, die wichtigen Angesichter der Kabinetssekretäre und die verschiedenen mürrischen Mienen verschlafener Thürsteher.
Er hatte unausgesetzt zu thun mit Ministern, Portiers, Generälen, Polizeiagenten, Prinzen, Zuhältern, Dirnen, Botschaftern, Bischöfen, Kupplern, Emporkömmlingen, Herren von Welt, Falschspielern, Droschkenkutschern, Kellnern und einer Menge anderer Menschen. Er war der treue und verschwiegene Freund all dieser Leute geworden, er warf sie in seiner Achtung durcheinander, maß sie alle mit dem gleichen Maß, blickte sie mit denselben Augen an, da er sie täglich sah, zu jeder Stunde, ohne Veränderung und da er mit ihnen allen von denselben Dingen sprach, die seinen Beruf betrafen. Er verglich sich selbst mit einem Manne; der nach einander Proben der verschiedensten Weine kosten muß und bald dahin gelangt, den Chateau-Margaux vom Pariser Vorstadtgewächs nicht mehr zu unterscheiden.
Mit der Zeit ward er ein vorzüglicher Reporter, der seine Erkundigungen sicher einzog, er ward gerissen, schnell, fein, eine wirkliche Perle für die Zeitung, wie der alte Walter meinte, der sich auf seine Redakteure auskannte.
Aber da er nur zehn Centimes für die Zeile bekam außer seinen zweihundert Franken Fixum, und da das Leben auf den Boulevards, in den Cafés und Restaurants teuer ist, hatte er nie einen Sou in der Tasche und war außer sich über seine Dürftigkeit.
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