Forestier sagte er nichts von dem Besuch.
Aber die folgenden Tage erinnerte er sich noch daran. Ja, es war mehr als Erinnerung. Er hatte eine Art von Gefühl, als sei diese Frau im Geiste beharrlich in seiner Nähe. Es war ihm, als hätte er etwas von ihr mit fortgenommen. Das Bild ihres Äußeren stand ihm noch vor Augen, und die ganze Anmut ihres Seins und Wesens hatte sich in sein Herz tief eingeprägt. Er blieb in ihrem Bann, wie es einem manchmal geht, wenn man ein paar schöne Stunden mit einem Menschen verlebt. Man meint ganz besessen zu sein von diesem seltsamen, intimen, köstlichen, verwirrenden Reiz, weil er etwas wie von einem Geheimnis hat.
Nach ein paar Tagen machte er einen zweiten Besuch.
Das Mädchen führte ihn in den Salon und die kleine Laura erschien sofort. Sie streckte ihm nicht bloß die Hand entgegen, sondern bot ihm gleich die Stirn und sagte:
– Mama läßt Sie bitten, zu warten. Es dauert noch eine Viertelstunde, sie ist noch nicht angezogen. Ich werde Ihnen inzwischen Gesellschaft leisten.
Duroy machte die förmliche Art des kleinen Mädchens Spaß:
– Sehr wohl, gnädiges Fräulein. Ich bin glücklich, eine Viertelstunde mit Ihnen verbringen zu dürfen. Aber das sage ich Ihnen gleich: ich bin gar nicht etwa sehr ernst aufgelegt, ich mache nur Dummheiten! Wollen wir nicht haschen spielen?
Das kleine Mädchen war ganz betroffen, dann lächelte sie wie eine Dame über diese Idee, die sie ein bißchen kränkte und in Verwunderung setzte. Und sie sagte:
– Im Zimmer kann man das nicht spielen.
Er antwortete:
– Das ist mir ganz gleich. Ich spiele überall. Also nun los. Jetzt haschen Sie mich mal.
Und nun lief er um den Tisch und reizte sie, ihn zu verfolgen, während sie ihm lächelnd mit einer Art herablassender Artigkeit folgte, ab und zu einmal die Hand ausstreckte, um ihn zu berühren, aber sich doch nicht herbeiließ, auch nur einen Schritt zu laufen.
Er blieb halten, duckte sich, und als sie mit ihrem kleinen, zögernden Schritte näher kam, schnellte er empor, wie der Teufel aus dem Kasten springt, und machte dann ein paar mächtige Sätze bis zum andern Ende des Salons. Sie fand das komisch, lachte endlich, wurde angeregt und begann hinter ihm herzulaufen, indem sie einen fröhlichen oder ängstlichen Ruf ausstieß, wenn sie glaubte ihn zu fangen. Er schob die Stühle hin und her, baute Hindernisse damit, und zwang sie darum herumzulaufen, rannte dann davon und nahm wieder einen anderen Stuhl. Die kleine Laura sprang jetzt hin und her und war ganz Feuer und Flamme im neuen Spiel. Mit rosigem Gesichtchen stürzte sie sich wie ein glückliches Kind mit einem großen Satze auf ihn, jedesmal, wenn er floh, jedesmal, wenn er eine List gebrauchte, jedesmal, wenn er sie angeführt.
Da plötzlich, als sie meinte, jetzt hätte sie ihn gleich, nahm er sie in die Arme, hob sie bis zur Decke empor und rief:
– Gefangen!
Das kleine Mädchen war glückselig, strampelte mit den Beinen, um sich loszumachen und lachte aus vollem Halse.
Da trat Frau von Marelle ein und rief ganz erstaunt:
– Aber so was! Laurachen … Laurachen spielt! Nein, Herr Duroy, Sie sind wirklich ein Hexenmeister!
Er setzte das kleine Mädchen wieder zu Boden, küßte die Hand der Mutter und sie nahmen Platz, das Kind zwischen sich. Sie wollten schwatzen, aber Laurachen, die immer noch beim Spiel war, obwohl sonst so stumm, schwatzte nun fortwährend und mußte auf ihr Zimmer geschickt werden.
Sie gehorchte ohne Widerrede, aber sie hatte Thränen in den Augen.
Sobald sie allein waren, ließ Frau von Marelle die Stimme sinken:
– Denken Sie mal, ich habe einen großen Plan und habe dabei an Sie gedacht. Es ist nämlich Folgendes. Ich esse jede Woche einmal bei Forestiers und ab und zu revanchiere ich mich und lade sie ins Restaurant ein. Ich liebe es nicht, bei mir Gesellschaften zu geben, ich passe nun mal nicht dazu. Übrigens verstehe ich auch nichts von der Wirtschaft, und gar von der Küche, aber auch garnichts. Ich liebe es, ungebunden zu leben. Also ich lade sie ab und zu ins Restaurant ein. Aber wenn wir bloß zu dritt sind, ist’s nicht gerade sehr lustig! Und meine übrigen Bekannten passen nicht recht zu ihnen. Ich sage Ihnen das, um Ihnen eine Einladung, die etwas außergewöhnlich ist, zu erklären. – Sie begreifen, nicht wahr, – also wollen Sie nächsten Sonnabend im Café Riche um halb acht mit uns essen? Sie kennen doch das Restaurant?
Er nahm mit großer Freude an und sie fuhr fort:
– Wir sind bloß zu vieren! Zwei Herren und zwei Damen. Solche kleinen Feste sind riesig spaßhaft für uns Damen, die wir das nicht gewöhnt sind.
Sie trug ein dunkelbraunes Kleid, das kokett und herausfordernd ihre Taille, ihre Hüften, ihre Brust, ihre Arme abzeichnete. Und Duroy empfand etwas wie ein verlegenes Staunen, beinahe ein Geniertsein, dessen Grund er nicht begriff, darüber, wie wenig die raffinierte und gewählte Eleganz ihrer Kleidung zu der offenbaren Gleichgiltigkeit, die sie für ihre Wohnung an den Tag legte, paßte.
Alles, was sie an hatte, alles, was direkt ihren Körper berührte, war zart und fein, aber was um sie herum war, schien ihr gleichgiltig zu sein.
Er verließ sie, indem er wie damals das Gefühl ihrer Nähe, wie eine Art Sinnestäuschung, in seiner Seele behielt, und er erwartete den Tag des Diners mit wachsender Ungeduld.
Zum zweiten Mal hatte er sich einen Frack geborgt, denn seine Mittel erlaubten ihm noch nicht, dieses Kleidungsstück zu kaufen. Er war der erste beim Stelldichein. Ein paar Minuten vor der festgesetzten Stunde.
Man wies ihn zum zweiten Stock in einen kleinen rottapezierten Salon, dessen einziges Fenster auf den Boulevard ging.
Ein viereckiger Tisch, vier Gedecke darauf, stand da mit feinem weißen Tischtuch, das leuchtete als wäre es lackiert. Und die Gläser, die Bestecke, der Speisewärmer glänzten lustig beim Schein von zwölf Lichtern auf zwei hohen Armleuchtern.
Draußen sah man einen großen, hellgrünen Fleck: die Blätter eines Baumes, den das Licht aus den Cabinets particuliers bestrahlte.
Duroy setzte sich auf ein niedriges Sofa, das rot war wie die Tapete und dessen lahme Federn sich tief unter ihm bogen, so daß er ein Gefühl empfand, als sinke er in ein Loch. Man vernahm in dem ganzen, großen Hause einen unbestimmten Lärm, jenes Geräusch der großen Restaurants, von hin-und hergetragenem Porzellan, Gläsern, Silber, vom eiligen Hin-und Hergehen der Kellner, das durch die Teppiche auf den Gängen gedämpft wird, von dem Schlagen der Thüren, die einen Augenblick offen gelassen und aus denen man dann das Stimmengewirr aus all den Räumen, wo Leute bei Tische sitzen, hört.
Forestier trat ein und drückte ihm freundschaftlich die Hand, wie er es in der Redaktion der ›Vie française‹ nie that.
– Die beiden Damen kommen zusammen, sagte er. Diese kleinen Diners sind sehr nett.
Dann musterte er den Tisch, drehte die Gasflamme, die klein brannte, ganz aus, schloß einen Fensterflügel aus Furcht vor Zug und wählte sich einen recht geschützten Platz, indem er sagte:
– Ich muß mich sehr in Acht nehmen. Jetzt ist mir’s vier Wochen lang besser gegangen, aber vor ein paar Tagen habe ich wieder was erwischt: ich muß mich am Dienstag erkältet haben, als ich aus dem Theater kam.
Die Thür ging auf, und vom Oberkellner gefolgt erschienen die beiden jungen Frauen tief verschleiert, und mit jener gewissen Heimlichkeit, die Damen annehmen, wenn sie in solche Lokale treten, wo Begegnungen zweifelhafter Art nicht ausgeschlossen sind.
Als Duroy Frau Forestier begrüßte, machte sie ihm Vorwürfe darüber, daß er sie nicht wieder besucht hatte. Und dann fügte sie hinzu, indem sie ihre Freundin lächelnd anblickte:
– Sehen Sie, Sie ziehen mir eben Frau von Marelle vor. Für die haben Sie Zeit.
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